MAK

Volltext: Alte und Moderne Kunst XVI (1971 / Heft 115)

Detailskizze auf das späte Fresko von Strahov 
und nicht auf Klosterbruck zu beziehen. Die 
Probe aufs Exempel liefert Joseph Winter- 
halters Fresko im Bibliothekssaal im nieder- 
österreichischen Prämonstratenserkloster Geras 
(Abb. 14) von 1805 V3. Winterhalter hatte 
bekanntlich 1792 auf Wunsch des Abtes Mayer 
von Strahov das Fresko in Klosterbrudt ko- 
piert, um danach den Bibliothekssaal in 
Strahov grau in grau auszumalen. Der Auf- 
trag zerschlug sich zu Maulbertschs Gunsten, 
Winterhalter sollte erst zwölf Jahre später da- 
mit in Geras zum Zuge kommen. Programmtext 
und Nachzeichnung des Klosterbrudter Freskos 
bestätigen, daß sidn Winterhalter in Geras zu- 
meist an das ältere Vorbild gehalten, aber auch 
die jüngere Fassung von Strahov studiert hatte. 
Der gelehrige Maulbertsch-Nachahmer zwängt 
das umfangreiche Programm in die zweiteilige 
Kreiskomposition eines Kuppelfreskos. Im äu- 
ßeren, steinfarbig gemalten Ring versammelt er 
die Repräsentanten des Altertums und, durch 
bunte Farben hervorgehoben, des Alten Testa- 
ments. Alexander und Diogenes gehören noch 
zusammen wie auf dem Augsburger Bild, auch 
der „Levitendiener" mit dem Opfertier er- 
scheint wieder. Aus Salomo wurde, vielleicht 
infolge einer Ungenauigkeit beim Kopieren, 
eine Sängerin mit halb entblößtem Busen. 
Glaube, Hoffnung und Liebe sind auf die be- 
nachbarten Wandfelder verwiesen. Den inneren 
Ring hinter dem steinfarbigen Scheingesims 
nehmen die Großen der christlichen Religion 
ein: Paulus in Athen, Petrus, die Kirchenvater 
und anonyme Füllfiguren; darüber, getreu dem 
Text von 1778, der Genius mit dem Füllhorn, 
der Wille als junges Weib, Vernunft und Wol- 
lust, der Ruhm mit Doppeltrompete, die hande- 
faltende Andacht, die liliengekrönte Rein- 
heit als Putto, die Sanftmut als Lamm. Der 
Putto mit dem Füllhorn ersetzt vielleidit das 
„einen schweren Garben durch die Luft tra- 
gende Kind" des Programms von 1778, das 
die gesammelten Früchte der Wissenschaften 
anzeigen soll. Die sitzende Frauengestalt mit 
Schleier und Buch ist ebenfalls 1778 genannt: 
„Scheingründe, Wahn und Irrtum verschwin- 
den: welches in jener Person ausgedrücket ist, 
von dessen Gesicht ein Engelchen den Sd1leyer 
wegzieht und ein anderes das verschlossene 
Buch eröffnet; in welchem der Mensch bessere 
Tugenden kennenlernet". Die Larve unterhalb 
der Frauengestalt kommt ebenfalls schon in der 
Augsburger Skizze vor. Zur Prager Detail- 
skizze hingegen bestehen über die aus dem 
Klosterbrucker Fresko übernommenen Motive 
hinaus keine Beziehungen. Der Dämonen- und 
Titanensturz fehlt. 
Wenn damit ein weiterer Beleg für die Spät- 
datierung der Detailskizze gewonnen ist, so 
liegt die größere Bedeutung von Geras in der 
erneuten Abwandlung des Themas. Die göttli- 
che Weisheit und der Duldungsgeist, die beiden 
Leitfiguren der bisherigen Folge, sind ver- 
schwunden. Die Quelle des Lichtes bildet jetzt 
das Christuskind mit Kreuz und Palme im 
Strahlenkranz. Die Ecclesia der Augsburger 
Fassung ist zur Religion mit dem Evangelium 
erhöht, der Engel des Alten Testaments zum 
geschwisterlich sich anschmiegenden Herold des 
wahren Glaubens. Aus dem göttergleidien Ge- 
nius der Duldung aber ist ein demiitiger Engel 
26 
mit niedergeschlagenen Augen, Gesetzestafeln 
und Lamm geworden. Das Zeitalter, in dem 
„eine alles erschaffende Weisheit und Güte" 
als das Erhabenste betrachtet wurde, was dem 
„ordentlichen Nachdenken des Menschen auf- 
fallen konnte" (1778), ist vorüber. 
Winterhalter möchten wir auch die Detailskizze 
mit der Predigt des hl. Paulus zuweisen (Ab- 
bildung 7), die sich in Budapester Privatbesitz 
befindetlß. Für Maulbertsch selbst darf man 
sie nicht beanspruchen, wie jeder Strich der ent- 
sprechenden Partien in Augsburg bezeugt. 
Zum Erweis der Kopie genüge der Vergleich 
der Architektur, des Engels oder des Hierony- 
mus. Winterhalters unverkennbare Handschrift 
charakterisieren dieselben Vergröberungen, die 
auch seine Zeichnungen von denen seines Lehrers 
unterscheiden. Eine 1778 datierte und signierte 
„Vision des hl. Augustinus" im Mährischen 
Museum zu Brünn" stimmt in den ovalen 
Kopfformen, im Schnitt von Nasen und Augen, 
in der Kleinheit der Hände und in der müden 
Faltengebung der Gewänder eng mit der kaum 
später zu datierenden Budapester Detailkopie 
überein. Wahrscheinlich hatte sich Winterhalter 
dazu die Augsburger Fassung zum Vorbild 
genommen. Bei Maulbertschs bekannter Impro- 
visationsfreude ist nicht damit zu rechnen, daß 
die Ausführung im Fresko genau nach der 
Skizze erfolgt war, auch beschreibt das Pro- 
gramm von 1778 einen anderen Architektur- 
hintergrund und mehr Figuren. 
Daß das Augsburger Bild an den Beginn der 
Reihe zu setzen ist, wird durch eine scheinbar 
negative Eigenschaft bestätigt: Es legt nicht nur 
den geringsten Wert auf genaue Angabe zu 
Person und Sache, sondern verhält sich auch am 
gleiohgültigsten zur „historischen Treue". Als 
Kulisse für die zeitlidi weit auseinanderliegen- 
den Gruppen des Alten und Neuen Testaments 
verwendet sie ein und denselben barocken, 
durch nachträgliche Korrekturen sogar verein- 
heitlid1ten Architekturhintergrund. In der Pra- 
ger Gesamtskizze (Abb. 2) verzichtet die alt- 
testamentarische Gruppe mit Moses und Aaron 
auf den architektonisdien Hintergrund. Im 
Fresko von Strahov (Abb. 6, 8) wird sie von 
einer Zeltwand hinterfangen und die zuge- 
hörige „Historische Beschreibung" weiß, daß 
damit der „leicht bewegliche Tempel" vor- 
gestellt wird, „dessen sich die Israeliten auf 
ihrer Flucht in die Wüste bedienten, um ihren 
äußerlichen Gottesdienst nach Anordnung Got- 
tes zu verrichten". Der „mit Abschlaehtung des 
Opferthiers beschäftigte Levitendiener" (1778) 
ist verschwunden, ebenso die Spitzendecke und 
das Gesetzbuch auf dem Altar des Moses. Jetzt 
stehen steinerne Tafeln auf antikischem 
Steinsodtel, die Bundeslade ist archäologisch 
korrigiert, der siebenarmige Leuchter darf 
nicht mehr fehlen. Oben sdiwebt „ein ziemlich 
altes Weib" als Symbol des Alten Bundes. 
Das Fresko vollends mutet wie ein historisches 
Lehrstück an, das das Zentralthenia in mög- 
lichst zahlreid1en Beispielen zu veranschaulichen 
sucht. Den wichtigsten Unterschied zu den vor- 
hergehenden Fassungen bildet dic Einfügung 
von Figuren und Gruppen, die sich auf die 
aktuelle historische Situation, auf die Person 
des Auftraggebers, auf das Stift, auf Böhmen 
und Usterreidi beziehen: Der Sturz der "Neu- 
franken", Bildnis, Gedenkstein und Fahne mit 
Wappen des Abtes, die Landespatrone 
dius, Wenzel, Ludmilla, Johann von N1 
der Ordensstifter Norbert. Auch die 2 
Philosophen, Wissenschaftler und Gesi 
rer wurde vermehrt. Dadurch gelang 
Komposition gegenüber der Prager 
skizze in die Länge zu ziehen und di 
des Bibliothekssaales auf allen Seiten 
mäßig zu füllen. Mit 19 Klafter Lang 
Klafter Breite (etwa 32,3 X 15,30 m) 
Klosterbrucker Saal gut doppelt so l; 
breit. Der Saal in Strahov dagege 
32 X 10 m, also mehr als das Dreifz 
Breite. Von den Entwürfen kommt da 
burger Bild mit 151 X 73,5 cm den Pr 
nen des Freskos in Klosterbruck am r 
Die Prager Gesamtskizze mit 166,8 X 
schließt sich in den gedrungenen Propi 
weder Klosterbruck noch Strahov an. 
man darin eine oder die Vorlage für da. 
von Strahov, so muß man annehmen, c 
Maler die Ausmaße der dortigen De 
nächst unbekannt waren. Eine solche 
rung würde auch verständlich machen, 
die zusätzlichen Figuren und Motive vt 
in die Längsseite des Freskos eingereiht 
wobei die thematische und komposition 
schlossenheit empfindliche Einbußen erli 
Hinter der zunehmenden Historisiert 
Themas steht indessen nicht nur der all 
Zug der Malerei jener Zeit zur Geh 
sondern nicht minder der Einfluß der 1 
geber und ihrer Berater. Die „Historis 
klärung" des Klosterbrucker Freskos w 
dortigen Prämonstratenserpater Gregc 
bert Korber zugewiesen, der seit 1766 
lebte und zu den Vorkämpfern der kir 
Reformbestrebungen in den Habsburg 
dern gehörteß. Das Manuskript der „ 
sehen Erklärung" für Strahov stammt 
scheinlich von dem dortigen Prämonstr 
pater Gottfried Johann Dlabacz, dem 
teur des 1815 erschienenen „Allgemci 
storischen Künstler-Lexikons für Böhms 
Autor der Drudtausgabe von 1797 kon 
Strahover Prior Dr. Gilbert Luschka e 
werden. Der lebhafte Sdiriftwechs 
Mihaly Balasovits, Sekretär des 
Karoly Esterhäzy, aus den Jahren 1] 
1783 über die Ausmalung der Kirche i 
enthüllt den Umfang der Abhängigk 
Künstlers von seinen Auftraggebern. 
wieder muß Maulbertsch die Skizzen k 
ren. Am 24. Juli 1782 versichert er dem 
tlir „ich Habe nach aller meglichkeit de 
Vorschriften gefolget, auch das Daugli 
der Remischen Zeichnung bei behalti 
heilligkeit, die stille ordnung, das Ken 
der Kleidung, Und Wirdtsame bedeittt 
Historie..."". Durch den Brief des l 
Johannes Szily in Steinamanger vom 17 
ber 1791 mußte er sich sogar belehren 
daß „zu Zeiten des Pauli noch kein Pa; 
lich war"". Von solchem Nachhilfeun 
läßt die Augsburger Skizze noch nidits 
nen. Es gibt im Gegenteil sogar Anzeicl 
für, daß Maulbertsch selbst das Aug 
Programm einfacher und allgemeiner 
pretiert hatte, als es die gedruckte Erl 
von 1778 annehmen läßt. 
Der Wandel im Kompositionsstil wi 
klarsten siditbar im Verhältnis der G
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.