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Full text: Alte und Moderne Kunst XVI (1971 / Heft 115)

Bildhauerkunst brachte die aus den 
rlanden selbst stammende Künstlerper- 
hkeit Niclaus Gerhaerts in diese Land- 
. Nach einem Aufenthalt in Trier wirkte 
n etwa 1463 bis 1467 in Straßburg und 
dann der Einladung Kaiser Friedrichs III. 
n Hof nach Wiener Neustadt, wo er um 
starb. In Gerhaerts Werk werden wir 
was für den Oberrhein erstaunlich Neuem 
untiert. Wir begegnen hier einer eigen- 
en, individuellen künstlerischen Aussage, 
uf eigener Ansdiauung, auf realistischen 
cht-ungen beruht. Er eröffnete der Plastik 
ch grundlegend neue Ausdrucksmöglich- 
., die nicht nur für die Kunst am Ober- 
zukunftweisend wurden. Gerhaert model- 
len Stein ganz weich, wagt aber tiefe Un- 
neidungen, die ein reiches, lebhaftes Spiel 
idit- und Schattenpartien bewirken. Über- 
gibt er seinen Figuren lebendige Bewegt- 
clie anatomisch immer richtig gesehen ist. 
erhielt er den Auftrag, das Portal zur 
1 Kanzlei in Straßburg zu sdiaffen. Von 
einst berühmten Kunstwerk sind heute 
och die Köpfe des sogenannten „Grafen 
von Lichtenberg" (Abb. 1) und des soge- 
nannten „Bärbele von Ottenheim", die wohl 
eigentlich als Prophet und Sybille gedacht 
waren, erhalten. Durd1 die realistische Wieder- 
gabe, die diese beiden Figuren ursprünglich wie 
lebendige Individuen fast kokett aus dem Fen- 
ster blidten ließ, wurde der Volksmund sd1on 
im Mittelalter dazu verlockt, sie mit dem 
stadtbekannten „ungleichen Paar" zu identifi- 
zieren. In der Nadifolge Niclaus Gerhaerts 
wurde die Büste ein beliebtes Thema der Bild- 
schnitzer am Oberrhein. Die I-Iolzbiiste der 
hl. Margareta (Abb. 2) aus der ehemaligen 
Klosterkirche St. Peter und Paul zu Weißen- 
burg im Elsaß, die sich heute in Chikago befin- 
det, ist der Kunst des großen Vorbildes unmit- 
telbar verpflichtet. Seinen ehrenvollsten Auf- 
trag - das Grabmal Friedrichs III. in Wien - 
ließ Gerhaert unvollendet zurück. Nur die 
Tumba des Sarkophags im Stephansdom ist 
von Gerhaert eigenhändig geschaffen. Es scheint, 
daß er die Platte aus geflecktem Salzburger 
Marmor in Passau ausgehauen hat. 
Daß der bildnerisdae Stil Gerhaerts auch im 
Osten nicht ohne Wirkung blieb, ist nur zu 
begreiflich. Die Karlsruher Ausstellung zeigte 
hierfür zwei charakteristisdie Beispiele, den 
1 m. jakubus der Ältere. Wien (e) unter oberrheinxschem 
Eiufluß, um 1470-1480. Lindenholz, Höhe 115 cm. Wien. 
Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste 
4 Mem mit Kind. Wien (e; unter oberrlseinisdacm Einfluß. 
um 1480-1490. Holz, Höhe 97 cm. Wien, Niederösterrei- 
chisdzes Landesmuseum 
thronenden jakobus den Älteren (Abb. 3) und 
eine ebenfalls thronende Madonna mit Kind 
(Abb. 4). Die über einen Meter hohe Sitzfigur 
des Apostels zeigt zusätzlich Ähnlichkeit mit 
Stichen (besonders mit 1.. 115) des bis heute 
anonym gebliebenen Meisters E. S., der zwi- 
schen 1440 bis etwa Ende der sechziger Jahre 
am Oberrhein tätig war. Das auffallende Motiv 
des iibergeschlagenen Beines bei der Figur der 
thronenden Maria begegnet uns in ähnlicher 
Weise bei der Mutter Anna im Altarschrein aus 
Lautenbach im Elsaß. Vielleicht darf man dieses 
seltene Sitzmotiv auf ein gemeinsames Vorbild 
von Gerhaert zurückführen. 
Wie eine Gegenbewegung auf die von Niclaus 
Gerhaert und seinem Schüler, dem Meister des 
Nördlinger Hodialtares, an die Donau gebrachte 
Stilströmung flutet am jahrhundertende ein 
siidostdeutscher Einfluß an den Oberrhein. Am 
eigenwilligsten zeigt sidi dieser in der dynami- 
schen, geradezu „barocken" Kunst des Meisters 
H. L., des Schöpfers des Breisadier Hochaltares 
(tätig von 1511 bis 1526). Sein wilder, strudeln- 
der Stil scheint im Altar von Mauer bei Melk 
vorbereitet zu sein. In den Reliefs von I-I. I.., 
beispielsweise in den Seitenflügeln des Nieder- 
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