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Volltext: Alte und Moderne Kunst XVI (1971 / Heft 115)

 
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Entgrenzung des Kreativen (zu BILD 35, S. 52). 
Eine kreative Potenz von ungewöhnlicher Wirkung und 
Ausstrahlun , das ist etwa der Stellenwert, den Joseph 
Beuys im ö entliehen Bewußtsein einnimmt. Er resultiert 
aus einer fast zehniährigen unablässigen Verwirklidiun 
plastischer Impulse in einer Utfentlidikeit, die Plasti 
unter einem Gattungsbegriff einordnen will, den aufzu- 
sprengen und zu entgrenzen sidi Beuys zur Aufgabe 
emacht hat. Er weiß sich im Einklang mit vielen 
enerationsgenassen, mit noch mehr An ehörigen der 
nachfolgenden Generation, kurz: Mit al denen, die 
Kunst nicht als einen eingefriedeten Bereich mit sorgsam 
dosierter Wirksamkeit in Leben und Gesellschaft ver- 
stehen und akzeptieren können, sondern als „einen 
zentralen und primären lmpuls" (G. Benn), dessen 
Dimension und Reichweite der Begrenzung spottet. Der 
zähe, hinhaltende, teilweise recht massive Widerspruch 
gegen sein Werk, in Öffentlichkeit und persönlichem 
Wirkungsbereich, hat die beharrliche Folge eigener 
Manifestationen, die sidi in sehr verschiedener Weise 
als Werke, Aktionen, Szenen, Gespräche präsentieren, 
nidit zum Erlie en kommen lassen. Eine Ermüdung ist 
vielmehr weder üben und drüben spürbar. 
Feststellbar bleibt bis in die iüngste Zeit wieder und 
wieder, daß die Arbeiten von Joseph Beuys - verglichen 
mit vielen ähnlich gelagerten Resultaten - ungawähnlidi 
vehemente Reaktionen hervorrufen, seien sie negativ 
oder positiv. Das hat wohl vor allem seinen Grund in 
der Vermeidung der vielen Normvorstellungen, die 
unsere innere Existenz in weit stärkerem Umfang regie- 
mentieren und verstümmeln, als uns bewuBt gemacht 
wird, dies gilt gleidierweise für Maße, Materialien 
und Situationen, in denen sidi sein Werk realisiert und 
durch seine ieweilige Ausformung das ganze Gebäude 
der gewohnten Determinationen in Frage stellt. Das 
Aufbredien aus ungewohnten Aus angspositionen mit 
ungewöhnlichen Materialien zu Zie en von schwer be- 
stimmbarer und noch schwerer abgrenzbarer Tragweite 
und Allgemeinverbindlicfikeit enthält zu viele Kompo- 
nenten der lrritation und der Befremdlichkeil, als daB 
man auf eine baldige einhellige Zustimmun zu seinen 
Schritten auf dem Wege einer entspannten gEinheit von 
Leben und Kunst redinen könnte. Diese Einheit würde 
die Hierarchie der von ganz bestimmten Materialeigen- 
schuften und Materialfetischismen geprägten Wertvor- 
stellungen einebnen zugunsten einer nidit nivellierenden, 
sondern gleichermaßen erhöhenden und auszeichnenr 
den Charakterisierung aller Mittel und Stoffe. Beuys hat 
eine große Stredre auf diesem Weg zurückgelegt, doch 
ist es sicher falsch, sein Tun als Kult des prinzipiell 
Poveren zu interpretieren oder in ihm einen Liebhaber 
des Verschlissenen und Abgenut-zten zu sehen. lhm geht 
es viel mehr um den Ausdrudxswert bestimmter Zustande 
eines Materials, im äußersten Falle iedes Materials, 
wobei nichts weniger angestrebt ist als Antithetik oder 
Kontrast. 
Beuys ist vielmehr ein Meister gleitender Übergänge, 
bis zur Verwedvselbarkeit einander angenäherter Affini- 
täten in Gestalt, Farbe, Gestus, Klang. So ist oudi seine 
Fähigkeit der Verwandlung zu begreifen, die ohne ein 
starres Gerüst von Grundformen oder routinierten Wen- 
dungen im Zeichnerisdien und Malerischen zwanglos 
Gestalthaftes in Räumliches überführt und umgekehrt. 
Beäreifbar wohl als ein Gleichgerictitetsein zu Natur 
un Kosmos, das seine Legitimaßion erhält aus unabr 
lössigem Eindringen in Erscheinung und Forschung. Die 
menschliche Gestalt entkleidet sich ihrer Aktivität gegen 
Tier, Ding, Natur; sie verschwistert sich allem. 
Die Wärme porträthofter Nähe eignet ihr ebenso wie 
die Kühle lypenhofter Farne, das Engagierte des Indivi- 
duellen findet ebenso seinen Raum wie die Unberühr- 
barkeit des Mythischen. Ob sich ein Thema mit spitzem 
Stift oder mit breitem Pinsel realisiert, immer erscheint 
das Resultat, das Werk als ein Zeugnis der Gesamtheit 
der Ersdieinun en und Geschehnisse, in die das einzelne 
ohne Zwang eingebettet ist. Der unermüdbare kreative 
Impuls naturhaft wie Atemholen und Wellen an findet 
in der Arbeit von Joseph Bauys eine Kristal isamon von 
großer Reinheit. Hans van der Grinten 
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