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Volltext: Alte und Moderne Kunst XVI (1971 / Heft 116)

Friedrich Welz 
OSKAR KOKOSCHKA ZUM 
85. GEBURTSTAG 
Es scheint mir fast vermessen, die Persönlichkeit 
und das geniale Werk eines der größten Künstler 
unseres Jahrhunderts auf wenigen Seiten zu würdi- 
gen. Die enge Verbundenheit, die Salzburg mehr 
als ein Dutzend Jahre mit dem Künstler pflegte und 
die Kokoschka mit dem Bild unserer Stadt im Jahre 
1950, mit einer unvergeßlichen szenischen Ausstattung 
von Mozarts Zauberflöte bei den Solzburger Fest- 
spielen 1955156 und mit einer zehnjährigen Be- 
mühung um die Künstleriugend in seiner „Schule 
des Sehens" honorierte, legt uns die freudige Pflicht 
auf, seines hohen Geburtstages nicht nur mit aller 
Herzlichkeit zu gedenken, sondern auch sein Werk 
in einer unseren räumlichen Möglichkeiten entspre- 
chenden Auswahl der Öffentlichkeit und inbesandere 
der iungen Generation zugänglich zu machen. Oskar 
Kokoschka war in allen seinen Entwicklungsphasen, 
vor allem ober am Beginn seiner künstlerischen 
Laufbahn, nur von wenigen verstanden worden. 
Der spontane Aufbruch seines lngeniums, seine 
vielseitige Begabung und die weitläufige Ausstrah- 
lung seiner neuen Ausdrucksmittel sind immer erst 
rückschauend begriffen worden. Als Maler und 
Zeichner, als Dichter, Schriftsteller und Dramatiker 
hat er nicht nur Akzente gesetzt, sondern elementare, 
bisher unbekannte Formelemente erfunden, die ihn 
als wahren Revolutionär der iungen österreichischen 
Kunst am Ende des ersten Jahrzehnts unseres 
Jahrhunderts ausweisen. 
In den Jahren 1907-1909 hat der iunge Kokoschka in 
Wien über drei Dutzend Bilder gemalt, die heute 
zu den bedeutendsten Werken der modernen Malerei 
gezählt und die größtenteils in europäischen und 
amerikanischen Museen verwahrt werden. Das 
„Stilleben mit Ananas" (1907), „Der Trancespieler" 
(1908), „Karl Kraus" (1908), „Adolf Loas" (1909), 
„Stilleben mit Hammel und Hyazinthe" (1909), „Kind 
mit den Händen der Eltern" (1909) sind nur einzelne 
Beispiele für ein geradezu eruptives Aufbrechen 
einer großen Künstlerpotenz. 
Die Bedeutung Kokaschkas wird besonders deutlich 
im Vergleich zu dem damals in hohen Ehren 
stehenden Gustav Klimt, der in diesen Jahren seine 
symbolistischen Bilder mit reicher, dekorativer Orna- 
mentik in Gold und Silber und elegante Frauen- 
bildnisse malte. Die sublime Kunst Klimts wird von 
Kokoschka durch expressive Wildheit und Deforma- 
tion ästhetizierender Formen ersetzt. Es darf an 
dieser Stelle der vielverbreitete lrrtum, daß 
Kokoschka Schüler Klimts gewesen wäre, richtig- 
gestellt werden. Er hatte den damals in hohen 
Ehren stehenden Gustav Klimt respektiert und diesen 
Respekt auch durch die Widmung seines publizisti- 
schen Erstlingswerkes „Die Träumenden Knaben" 
zum Ausdruck gebracht. Audi die immer wieder- 
kehrende Annahme, Kokoschka wäre in seiner 
iungen Jahren von Egon Schiele beeinflußt gewesen 
ist durch die Tatsache widerlegt, daß Kokoschkc 
seinen Zeichnungsstil schon in den Jahren 1906-190t 
eindeutig geprägt hatte. Durch die Zeichnungen zi 
seinem Drama „Mörder Hoffnung der Frauen", dir 
1908 entstanden sind, hat er erstmalig simultan: 
Darstellungen angewandt. Schiele hingegen fanc 
seine eigene Farm erst in den Jahren 1909-1910, die 
manches Mal eine gewisse Nähe zu Kokoschka 
erkennen läßt. 
Der Architekt Adolf Loas erkannte als erster dir 
große Begabung Kakoschkas. Er wurde sein Freunc 
und Förderer, führte ihn in den Literatenkreis urr 
Karl Kraus und Peter Altenberg ein und war ständig 
bemüht, ihm Aufträge zu verschaffen, die ihm eine 
freie Entfaltung seiner künstlerischen Kräfte ermögt 
lichten. Loas veranlaßte Kokoschka zur Lösung seine: 
Mitorbeiterverhältnisses an der Wiener Werkstätte 
in der der erklärte Feind des Ornaments eine 
Gefahr für den iungen Künstler zu erkennen glaubte 
Den Winter 1909110 verbringt Kokoschka in der 
Schweiz. Einen neuen Höhepunkt erreicht er dort in 
dem Gemälde „Dent de Midi", einer Winterland- 
schoft, die in einer faszinierenden Komposition des 
gewaltigen Bergmassivs mit den bis in die Mitte des 
Bildes hereinbrechenden Lichtbündeln einen unver- 
gleichlichen Gegensatz zu der sich im Vordergrund 
in horizontaler Gliederung gebauten Tallandschaft 
abhebt. Einen weiteren Markstein dieses Schweizer 
Aufenthaltes bildet das Porträt des Arztes Auguste 
Forel. Loas hatte den Auftrag gegen anfängliches 
Sträuben des Arztes durchgesetzt und Kokoschka 
bewies einmal mehr seine Meisterschaft einer 
psychoanalytischen Menschendarstellung, die zwei- 
fellos durch die Erkenntnisse Sigmund Freuds beein- 
flußt war. 
1910 beginnt für Kokoschka ein neuer Lebensab- 
schnitt. Herwarth Walden berief ihn als Mitarbeiter 
an die Zeitschrift „Der Sturm" nach Berlin. In diesen 
Jahren war Berlin ein europäisches Zentrum der 
Literatur, des Theaters und der bildenden Kunst. 
Für Kokoschka bot sich ein reiches Arbeitsfeld. Er 
malte Schauspieler, Regisseure, Literaten und zeich- 
nete für iede Nummer des „Sturm" Porträts aus 
der Literaten- und Theaterwelt: Herwarth Walden, 
den Herausgeber des „Sturm", die Schriftsteller und 
Journalisten William Wauer, Paul Scheerbart, Peter 
Baum, Rudolf Blümner, die Schauspielerinnen 
Yvette Guilbert, Tilla Durieux, Else Kupfer, den 
Rechtsanwalt Hugo Caro, die Schriftstellerin Lasker- 
Schüler und viele andere. Zu dieser Zeit beginnt 
seine Malweise opak zu werden. Höhepunkte dieser 
neuen, oszillierenden Gemälde sind die 1911 ent- 
standenen religiösen Bilder „Flucht nach Ägypten", 
 
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OSKAR KOKOSCHKA ZUM 
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