Wilhelm Mrazek
MYTHEN UND BILDER -
HANS FRONIUS
MYTHOGRAPHIA
In weltgeschichtlichen Umbruchszeiten, wa Über-
kommenes und Erstarrtes der Zerstörung und Auf-
lösung anheimföllt und wo das Neue und Zukünftige
noch nicht manifest geworden ist, in solchen Über-
gangszeiten, wo das Alte nicht mehr genügt und
das Neue nach nicht gültig ist, entzünden sich Inspi-
ration und Imagination der Künstler oft an dem,
was am Beginn der abendländischen Entwicklung
seine ersten künstlerischen Umrisse erhielt: an den
mythischen Urbildern der alten Griechen.
Die Hinwendung zu diesem für die gesamte euro-
päische Kunst gemeinsamen Mutterboden des
Mythischen und Numinosen, deren Wirkung vom
faszinosum und tremendum bestimmt wird, hat sich
im Laufe der abendländischen Geistesgeschichte
oftmals wiederholt. Alle sogenannten Renaissancen
nahmen von hier ihren Ausgang und die mythischen
Gestalten, die Götter, Helden und Dämonen, waren
tür die redenden und bildenden Künste von gleicher
Bedeutung. Hier war der allen Künsten gemein-
same Urgrund gefunden, „aus allem eines und aus
"t Hans Fronius, „Mythographid - Ausschnitt aus dem
Bl. Oedipus
einem alles" (Heraklit), hier waren Wort und Bilc
noch iene Einheit, die für den Maler und für der
Poeten gleicherweise gültig sein konnte, von hiei
aus ließ sich das „ut poesis pictura", wie die
Malerei so die Poesie und umgekehrt, realisieren
d. h. die Identität und Übereinstimmung aller
künstlerischen Schaffens darstellen.
Diese Wiederkehr der Antike hat sich, zuletz
wohl im Zusammenhang mit dem apokalyptischer
Geschehen und der existentiellen Bedrohung un
serer Gegenwart, wiederholt. Waren es zuers
die Tietenpsychologen, dann die Dichter und Drama
tiker, die in den Mythen ewiggültige Bilder unc
urbildhafte Vorwürfe für ihre Schöpfungen sahen
so hat in iüngster Zeit auch der Maler und Graphi
ker Hans Fronius sich diesem Bereich zugewand
und ihn zum Thema seiner künstlerischen Gestaltung
genommen.
Hans Franius, auf dem Höhepunkt seiner künst
lerischen Entwicklung, hat nun Lithographien ge
schaffen, die unter dem bezeichnenden Titel „My
2 Hans Fronius, „My9hugra1phic"
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- Cheiron