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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift für Architektur, angewandte Kunst und alle modernen Kulturaufgaben, 4. Jahrgang 1908

L.: STUTTGHRTER IMPRESSIONEN 
I. THEHTERPROJEKTE 
ic große Hiftorie ift an dem Königsplatje zu ergreifen, wo 
ficb die gefchichtlicbe Entwicklung in cbarakteriftifcben Bau 
typen zu einem Kulturbilde zufammendrängt: die düftere 
Mauermaffe der alten Herzogsburg, die Turm und Dach, attrot 
gegen altersgrau, über die Kaftanienwipfel binausbebt und mit 
den wehrhaften Elefantenmauern eine füdlicb heitere Hofidylle 
mit offenen Loggien umhegt; bezeichnend für Süddeutfchland, 
wo italienifcbes Baubandwerk im deutfcben Baugeift deutlicher 
mitfpricbt, als im Norden; das Refidenzfcbloß mit der fran- 
zöfifchen Marke des 18. Jahrhunderts und dem abfolutiftifcben 
Zufcbnitt auf Repräfentation, und die Bauten der großbürger- 
* liehen Epoche des 19. Jahrhunderts, unter denen der fogenannte 
Königsbau als Konzertfaal bedeutend ift, eine antikifierende 
Säulenhalle, an der alles maßlos und kleinlich ift, die riefige 
Kolonnade mit dem Budenkram dahinter, in den Verhältniffen 
vergriffen, undiszipliniert, ein fcblecbtes Rusftattungsftück mit 
kapitaliftifeber Zugkraft. Bürgerlich und romantifcb, im Stile der 
feebziger und fiebziger Jahre. Dieter Ring fcbließt den gefell- 
fcbaftlicben Treffpunkt ein, die königlichen Gartenanlagen mit 
fchönen alten Baumreihen und einigen verwitterten Zügen der 
großzügigen Gartenarchitektur des 18. Jahrhunderts. □ 
Die flltftadt mit ihren malerifcben Befonderbeiten und intimen 
. Kleinbürgeridyllen, ihren luftigen vorfpringenden Erkern und 
Giebeln liegt hinter dem großen Kulturgebilde des Königspalaftes. 
Weiterhin die unorganifebe Häufermaffe der Spekulationsepoche 
der Stadterweiterung und an den Berglehnen rings um die 
Stadt übereinandergebaut die Häufermaffen und Villen von mehr 
oder weniger zweifelhaftem Gefchmack. □ 
Burg und Refidenz find Bauorganismen der Vergangenheit, 
die aus dem Kreislauf des heutigen Lebens ausgefebieden find. 
Mufeumsftücke. Selbft die Repräfentation im großen Stil von 
1750 ift in der Neuzeit dem Fürften, der ficb faft bürgerlich be= 
febeidet, zu einer Form geworden, die er nicht mehr ausfüllt. 
Huch fie gehört der Hiftorie an. □ 
Sachte werden die abgeftorbenen Glieder abgeftoßen, um neuen 
Organismen Fiat} zu machen, die aus der Triebkraft des Lebens 
bervorgeboben. Der Marftall, diefes niedrige, langbingezogene 
Gebäude in der Königftraße, mit der eindrucksvollen Kuppel 
auf dem niedrigen Mittelbau foll fallen, um einer Neugeftal- 
tung, mit der ficb die Regulierung der königlichen Gartenan 
lagen verbindet, Flat) zu machen. Der Neubau der königlichen 
Hoftbeater ift eine Notwendigkeit geworden; fie gehören aber nur 
mehr äußerlich mit dem Train des Hoflebens zufammen, denn in 
der Tat ift es die Demokratie, die Oper und Scbaufpielbaus erhält. 
Hus diefen Prämiffen ergibt ficb das intereffante Problem einer 
neuen Platjbildung, die dem Königspalaft ein neues raumkünft- 
lerifcb betontes Hntlifj gibt. Die Refidenz, die beiden neuen 
Theater und die von Gebäudegruppen umzingelten alten Park 
anlagen follen eine neue Rrcbitektureinbeit darftellen und im 
erhöhten Grade die Cbarakteriftik eines gefellfcbaftlicben Meetings 
empfangen. □ 
Einem beftimmten raumkünftlerifcben Rhythmus zufolge foll 
die Mannigfaltigkeit von Garten, Schloß, Theater, Cafés, Re« 
ftaurants ufw. als Einheit erfebeinen. Entfprechende Leitpunkte, 
wie Hlleen, Springbrunnen, Hrkaden, follen die Perfpektiven 
beftimmen, die die vornebmften Bauwerke, wie Schloß und 
Oper, in den Gefichtskreis ziehen. Der Zufammenbang mit dem 
Ganzen foll in der Vielheit der Erfcheinungen nicht verloren 
geben. Das Gefühl darf keinen Hugenblick verloren geben, daß 
man ficb auf einem Platjkomplex innerhalb eines Kunftbezirkes 
befindet, deffen Begrenzung durch den Hugenfchein verfinnlicht 
wird. Hlle künftlerifcben Mittel, Plaftik, Architektur, Raten, 
Baumgtuppen, Alleen, weiße Bänke, Fontainen ufw. ufw. ftehen 
zu diefem Zwecke im Dienfte des Raumkonzeptes. Deshalb drängt 
die Geftaltung auf Gefchloffenbeit des Planes. Perfpektiven, die 
ins Unendliche gehen, zerftören die Einheit und die Faßlichkeit 
des Raumgebildes. Sie erwecken Sehnfucht, Melancholie, das 
Gefühl der Leere und des Unbefriedigtfeins. Befonders die 
PROFESSOR TH. FISCHER 
Skizze für die Oper 
an der ScbiUerftraße 
Durchblick vom oberen fln= 
lageteil durch die Hauptallee 
auf das Opernhaus 
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