doch wird die künstlerische Kapazität des er-
sten Viertels des 16. Jahrhunderts nicht mehr
annähernd erreicht, denn ein Sandrart ist we-
der mit einem Dürer gleichzusetzen noch mit
seinen Zeitgenossen Rubens oder Rembrandt.
Um die Mitte des 16. Jahrhunderts sind jeden-
falls die große Malergeneration und ihre di-
rekte Nachfolge nicht mehr am Leben. Gegen
Ende des 16. Jahrhunderts aber beginnt die
Erinnerung an die großen Maler dieser Zeit
wiederaufzuleben: an Grünewald, Cranach,
I-Iolbein, vor allem aber an Dürer. Gleichzeitig
damit machen sich allenthalben neugotische
Strömungen bemerkbar, die bis gegen die Mitte
des 17. Jahrhunderts anhalten. Ganz deutlich
abzulesen ist das z. B. an der Kirchenarchitek-
tur dieser Epochea, ebenso am Kunstgewerbe
und in der Plastik. Ein Exponent dieser histori-
schen Strömung ist Wendel Dietterlin, der in
seinem für die deutsche Kunst ungemein wich-
tigen Stichwerk, der „Architeetura", gotische
Formgedanken und auch soldie Dürers verwer-
tet. In der Malerei lassen sich zwei Strömungen
verfolgen. Die eine ist ein später Manierismus
als höfische Erscheinung in Prag, München und
Wien, der in der Nachfolge der Schule von
Fontainebleau entstanden ist. Auch hier lassen
sidn gewisse Einflüsse von Dürers Kunst fest-
stellen. Es ist vor allem der kalligraphisehe
Schnörkel, die abstrakte Kleinform Dürerscher
Herkunft, die z. B. Detailformen im Werk
Sprangers zugrunde liegen, wie etwa einer
Locke oder einer gespreizten, preziösen Finger-
und Handhaltung. - In einer zweiten Strö-
mung, abseits der ausgesprochenen Hofkunst
- es ist diejenige, welche die Barockmalerei
vorbereitet -, findet man den Einfluß der
deutschen Renaissancemalerei in einer anderen
Form: in Entlehnungen bestimmter Figuren aus
Bildern oder Stichen - wie bei Elsheimer z. B.
- oder in der altertümlichen Farbgebung, die
den Rot-Blau-Akkord bevorzugt und überhaupt
die Lokalfarbigkeit liebt - wie bei Rotten-
hammer oder Kreuzfelder.
Als ob man sich erst jetzt der Größe deutscher
Malerei bewußt würde, beginnen nun fürst-
liche Kunstsammler wie Kaiser Rudolf II. -
sonst eher Liebhaber der italienischen Kunst -,
alle Mittel für die Erwerbung von Bildern
Dürers aufzubieten. Von den acht Bildern, die
Wien von Dürer besitzt, stammen sechs von
Kaiser Rudolf II. Ähnliches spielte sich in
München ab, denn Kurfürst Maximilian I. von
Bayern war ebenfalls ein leidenschaftlicher Ver-
ehrer von Dürers Kunst. War die Kenntnis von
Dürers Graphik schon immer weit verbreitet, so
sind seine Bilder bis dahin in vielen Fällen noch
in bürgerlichem Privatbesitz gewesen. Nun aber
streiten sich Fürsten um sie wie um die berühm-
ten italienischen Meister. Die neue Bewertung
der altdeutschen Kunst, vor allem aber jene Dü-
rers, hatte begreiflidaerweise eine gesteigerte
Nachfrage zur Folge, diese ihrerseits wiederum
Fälschungen, zumindest aber Wiederholungen
und Kopien.
Diese Wiederbelebung der altdeutschen Kunst
trägt aber nicht die Merkmale einer
Renaissance, viel eher ist sie als Historismus
anzusprechen. So oft Dürer auch in allen sei-
nen Formen und Aspekten zitiert wird, so kann
er der deutschen Kunst dennoch keine wesent-
lichen Impulse geben, er ist immer nur ein
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