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Volltext: Alte und Moderne Kunst XVI (1971 / Heft 118)

Meldungen aus Rom als „Patron der Teutschen 
Nation" (6. 4. 1729) in einem lateinischen Poem 
eines österreichischen Geistlichen als „Austriae, 
Bohemiaeque Patroni" bezeichnet (16. 4. 1729). 
Interessant ist, daß bei diesem Anwachsen des 
Kults (nach Fuhrmanns Darstellung wurden 
viele Nepomukkapellen noch um 1740 errichtet 
und Gottesdienste in ihnen sogar erst ab etwa 
1760 gehalten)'5 die Sorge um einwandfreie 
theologische Grundlagen schließlich auch im 
Diarium ihren Niederschlag fand, und zwar an 
der Stelle, an der die Kritik der Protestanten 
immer zuerst einsetzte: am Verdacht der Ido- 
latrie. So begibt sich denn die Zeitung am 
1. Juli 1730 ins theologische Forum und zitiert 
eine Inschrift, die man an der vielgerühmten 
Nepomukkapelle auf der Hohen Brücke zu 
Wien angebracht hatte. Daraus ging zunächst 
hervor, daß schon die Alten in Gefahr waren, 
so viel Götterstatuen zu erridnten, daß es nadi 
des Petronius Meinung schwieriger war, „einen 
Menschen als einen Gott zu finden". Die Kritik 
des Arnobius daran wird zitiert: Bitten an ein 
„unempfindliches Bild" zu richten. Gerade da 
setzt aber die Rechtfertigung gegenüber dem 
Vorwurf des Götzendienstes ein: der Katholik 
betet nicht das Bild an, sondern bittet den, 
den es darstellt, nicht die Figur auf Erden, 
sondern den Heiligen im Himmel, um seinen 
Beistand. Viel heikler als diese Abwehr der stän- 
digen Kritik der Bildanbetung ist die Ausein- 
andersetzung mit einem nodi zentraleren Punkt 
katholischer Heiligenverehrung, nämlich mit 
dem Begriff des Wunders. Für die katholische 
Kirche erweist S1C11 ein Heiliger als solcher durch 
die Wunder, die ihm Gott zu tun gestattet. 
In der Formulierung des modernen Lexikons 
für Theologie und Kirche findet sich eine be- 
stimmte Zahl von Wundern und ein Prozeß zu 
deren Prüfung als Bedingung der Kanonisation 
vorgeschrieben (LTK, „Heiligspred1ung"). Ganz 
parallel dazu belehrt das Diarium vom 27. 
April 1729 seine Leser, daß so wie bei jeder 
Heiligsprechung auch bei derjenigen des Jo- 
hannes von Nepomuk die Übungen seiner Tu- 
genden „in gradu heroico durchsuchet" und 
überprüft wurde (vgl. die schon zitierte Dar- 
stellung des Heiligen in einem Tugendtriumph- 
wagen), ob Gott sein Wohlgefallen an ihm 
durch Wunder erwiesen habe. Danach erfolgt 
die Aufzählung dieser Wunder, vor allem des 
bekannten der Auffindung der unverwesten 
Zunge. Ja, es wird angedeutet, daß sich bei der 
Kanonisation sogleidi ein weiteres Wunder er- 
eignet habe: Der Heilige habe die Kraft seiner 
Zunge, zu schweigen, in einer anderen Zunge 
in die Kraft zu reden verwandelt. Eine vom 
bösen Geist besessene Italienerin konnte plötz- 
lich während der Kanonisation deutsch reden. 
Zugleich wurde sie offenbar „mit Geschrey von 
ihrem so bösen Geist befreyet", worauf der 
Papst augenblicklich die Untersuchung des 
„Mirakuls" befiehlt (13. 4. 1729). Schon nach 
der Seligsprechung wurden Wunder gemeldet. 
Der sdion zitierte Bericht aus Pavia vom 20. 
Mai 1722 sei hier erwähnt: Zwei Tage vor der 
Statuenaufstellung hatte dort Hochwasser ein- 
gesetzt. Während desselben trieb ein Schiff un- 
rettbar auf den Brückenpfeiler zu. In ihrer Ver- 
zweiflung riefen die Schiffer den ihnen fremden 
Heiligen an: „O Santo del ponte, Misericordia", 
worauf sich ihr Schiff „augenblicklich und ohn- 
24 
verhoft gewendet" hatte: Gott ignoriert die 
Gesetze der von ihm geschaffenen Welt, er er- 
weist sich mächtiger als seine Schöpfung. Das 
Inkontingente unterwirft sich das Kontingente! 
Ohne diesen Begriff des Wunders ist der Be- 
griff des erklärten Heiligen gar nicht denkbar: 
es gehört zu ihm, daß er eine mögliche Ein- 
bruchstelle des Außerordentlichen darstellt, das 
die Kraft hat, sich über die Banalität irdischer 
Naturgesetze hinwegzusetzen, aus der Sou- 
veränität desjenigen, von dem sie geschaffen 
worden sind. Der Heilige wird gleichsam zum 
personifizierten Gottesbeweis und Gott seiner- 
seits als absoluter Herrsdier erwiesen, der die 
von ihm entworfenen Spielregeln auch einmal 
überspielen kann. Genau in diesem Punkt aber 
mußte der Glaube des Katholiken zur Feind- 
schaft des Protestanten auch diejenige des Auf- 
klärets, des Mannes des kommenden natur- 
wissenschaftlichen Zeitalters, hinzugewinnen, 
um so mehr, wenn beides sich in einer Person 
vereinigt, wie in dem bereits erwähnten Fried- 
rich Nicolai, von dem gleich nochmals zu spre- 
chen ist. Zwar ist die Behandlung des Ne- 
pomukkults in der zeitgenössischen Publizistik 
so wenig ein Anlaß, die philosophisdien und 
theologischen Voraussetzungen des Begriffs des 
Wunders zu erörtern, als sie vorerst ein Anlaß 
war, die politisdien Voraussetzungen dieses 
Kults zu diskutieren. Aber die Ansatzpunkte 
dieser Diskussionen in der damaligen Publizi- 
stik sollten aufgezeigt werden. 
Leider haben es die Katholiken den Protestan- 
ten und auch den Aufklärern unverdient leicht- 
gemacht, in dieser Auseinandersetzung die 
Oberhand zu behalten. Wer etwa bei Fuhr- 
mann die Liste der Wiener Wunder des heiligen 
Johannes von Nepomuk liest, wird es eher für 
ein Wunder halten, daß die Kritik nid1t früher 
schon einsetzte. Zwar findet sie sich in der Tat 
bereits in den Briefen der Lady Montague. 
Audi bei Küchelbecker taudit sie vier Jahre 
nadi der Heiligsprediung des Prager Märtyrers 
auf, wenn er über die Andacht vor den „mira- 
culosen" Bildern staunt und die berühmte Fest- 
stellung trifft, daß es „nicht angehe, wenn 
man von dem unendlichen und unbegreiflichen 
Wesen sich auf soldie Art einen endlid1en Be- 
griff machen will". Auch er erwähnt dabei die 
Nepomukkapelle auf der Hohen Brücke, die 
„diesem neuen Heiligen zu Ehren" aufgerichtet 
wurde". Mit dieser 1732 edierten Schrift setzt 
sich noch 1767 P. Mathias Fuhrmann auseinan- 
der und verteidigt dabei entsdiieden seine er- 
wähnte Liste der Wunder. Darunter figuriert 
etwa jener Jude, der sich bekehrt, nachdem auf 
versuchsweise Bitten hin Johannes v. Nepomuk 
für ihn einen völlig ins Stocken geratenen 
Prozeß wieder flottmadit, ebenso jener physi- 
sche und moralische Bankrotteur, der vor dem 
Bild des Heiligen plötzlich 50 Dukaten findet, 
mit denen er S1C11 loskaufen kann (für ihn er- 
freulicherweise ein Anlaß, sich auch von seinen 
Sünden loszusagen). Schließlich erfährt man, 
daß dem protestantischen „Buben", der den 
Heiligen herausforderte, ein Wunder zu wirken, 
tatsächlich eines beschert wurde: im nächsten 
Gewitter schlug ihm ein „Donnerstreich" ein 
Bein ab". Prompt repliziert darauf Friedrich 
Nicolai mit dem beißenden Spott seiner Reise- 
beschreibung von 1783, er werde sich als Prote- 
stant hüten, etwas gegen solche Wunder zu 
sagen, da der „glaubwürdige P. Fuhrmann be- 
richtet, daß einem lutherischen Buben, welcher 
der Wunder dieses Heiligen gespottet, von 
einem Donnerstreich ein Fuß vom Leibe ge- 
schlagen wurde". Auch er wählt dabei als Bei- 
spiel wieder die Nepomukandacht auf der Ho- 
hen Brücke. Ja, er behauptet sogar, im Nepo- 
mukkult sei der Haß gegen die Protestanten 
so heftig gewesen, daß man Lieder dem Heili- 
gen zu Ehren anfangs nicht hochdeutsch ge- 
dichtet habe, weil dies lutherisches Deutsch ge- 
wesen sei. Wenn ein Katholik aber auch einmal 
Aufklärer sein wolle, so setze er seiner Schrift 
ein Nepomukbild bei, „damit der katholische 
Pöbel auch etwas habew". Man befindet sich 
mitten im Zeitalter der Josephinischen Refor- 
men. Fünf Jahre später, 1788, bringt Johann 
Schwerdling alle diesbezüglichen Verordnungen 
heraus, damit nicht „abergläubische Meinun- 
gen... hieraus entstehen, wenn der gemeine 
Mann hievon nicht wohl unterrichtet ist". Und 
dann erfolgt das Register aller Übergriffe: 
den Statuen sollen keine „Peruquen" mehr 
aufgesetzt, vor ihnen keine „abendzeitliche 
Winkelandacht mit Beleuchtung" abgehalten 
und überhaupt alle Zeichen meist „unerwiese- 
ner Wunderwerke" entfernt werden "l Längst 
hatte man sich fallweise sogar über die Be- 
stimmung des Tridentinums, Heilige nidit in 
der unfaßbaren Glorie darzustellen, hinweg- 
gesetzt. Am 4. Jänner 1730 berichtet das 
Diarium von einer Predigt über den „mit der 
himmlisdien Glori umfangenen H. Nepomu- 
cenus". Um so leichtere Hand hatten die Geg- 
ner. 
Die HOChblÜIC des Nepomukkults war damit 
vorbei. Dennoch ist er kein rein historisches 
Phänomen, denn in seinen philosophischen Vor- 
aussetzungen liegen Fragen beschlossen, mit 
deren Beantwortung weder die industrialisierte 
Welt noch die von ihr beeinflußten „unterent- 
wickelten Länder" bis heute zu Rande gekom- 
men sind: nämlich mit der menschlichen, vor 
allem weltanschaulichen Bewältigung des natur- 
wissenschaftlich-technischen Zeitalters. Insofern 
stellt dieser Kult das frühere Stadium einer 
Diskussion dar, die bis heute nic11t zu Ende ge- 
führt worden ist. Insofern bleibt auch der 
menschliche Kern seines Anliegens ein aktuelles 
Problem, trotz der zeitbedingten Relativität 
der Motive seiner Einführung und der ebenso 
zeitbedingten Formen seiner Entgleisungen. 
ANMERKUNGEN 10-19 (Anm.10-14 s. S. 22, 2)) 
1' Alms Sdirott: Seelsorge im Wandel der Zeiten. Wien 1948, 
Seite 92 ff. 
1' Ebenda Sun! 95. 
" Friedrich Niculni: n. a. O. 11. Seite 563. 
"Ebenda. v. Seitc 1a, dazu ist 1mm. ZLI sagen. däß eine 
Soldie Heili spredlung audi 112d! den Vorschriften "betrieben" 
werden muä (vergl. zu dieser: LTK). Vcrgl. dazu zwei bei 
Mathias Fuhtmnnn zitierte Sihreiben des Wiener Erzbischof: 
und der Kaiserin nach Rom (a. a. O. 1112, Seite 719, 806). 
" Vergl. die 7itietten Aufnahmsarhmtcn von Arthur Seliger und 
Rcnata Mikula. Hinsidithd-i der Zurüdthaltung des Wiener 
Hofes fällt ferner auf. daß Küdielbedtet selbst 1712 unter den 
im Protokoll festgelegten llolandachten am 16. Mai kein: 
Nepomukandadit anfiihtt, daß hingegen der bayerische Hof- 
knhnder für "Carl V11" 1744 diesen Tag sehr wohl als Na- 
mcnsfcsl dOS Heiligen erwähnt. 
" Mathias Fuhrmnnw . a. O. 1112. Seite 725. 
"Johann Basilius elbcckt Allerneueste Nadirichten vom 
Rümisch-Kaysurlidieti Hnfc . Hannover 1732, Seite 421- 
757. m2. Vtfgl. dazu nudi dit- Wiedergabe bei Max Eisler 
.1. a. O., Nr. 411, Tafel 39. nadi Salomon Kleiner: "Prospcct 
der ncüen Capellen des H. Johannes v. Nepomuk auf der 
hohen Drucken so durdn etweldie Guthäter etbauet worden 
Ao 1725". 
1' Mathias Fulitmann: a. a. O., 1112. Seit: 794. 796 f., 801. 
f" Frit-dndi Nicolai: a. a. O., 11, Seite 616 f., V, Seite B511, 
10:. 
"Johann Sdiwerdling: upfikliSdhl Anwendung aller k. k. Ver- 
ordnungcn in geistlichen Sachen . .  Wien 17118. Seite zxo 1. 
 
 

	        
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