Planriß 6 der
Prag, Veitsdom.
uerschnitt des Nordteiles und halbiertcr crundriß einer
rmfassade. Wien, Akademie der bildenden Künste.
Wiener Sammlungen:
festhielt, hat er sidi selbst um jede Chance
einer Realisierungsmöglidikeit seines Projektes
gebradit.
Wenn wir den Wiener Planriß zwar nadi dem
Straßburger Riß B, aber sicher noch vor dem
Ausbau der Vollpyramide des Freiburger Tur-
mes - also in die Zeit um oder kurz nach
1300 - datieren, so ist er für seine Zeit unikal.
Erst viel später tritt bei einem Wiener Riß
(Nr. 6XZ) wieder dieselbe Problemstellung in
anderer Form auf. Der Riß zeigt in der unte-
ren Hälfte (Nr. 611) einen Schnitt durch den
Nordteil des Prager Domchors mit dem Stre-
bewerk, darüber einen halbierten Grundriß
einer Turmfassade, der in der Achse etwas ver-
sdiwenkt ist. Ob es sid1 dabei um eine Planung
für das (nie ausgeführte) Oktogon des Prager
Südturmes (spiegelbildlich), um eine Planung
für den nie gebauten dortigen Nordturm oder
gar um eine Planung für eine Prager West-
fassade handelt, ist nicht gesichert, wenn auch
nidit ganz ausgeschlossen. Dieser Riß birgt so
zahlreidie ungelöste Problemstellungen in sich,
daß wir diese vorliegende Untersuchung nicht
mit dieser Problematik belasten wollen. Viel-
mehr soll hier nur ein Symptom untersucht
werden, das eng mit der Problematik des obe-
ren Abschlusses des Wiener Risses 289 zusam-
menhängt.
Besonders interessant ist der obere Absdnluß
des „Prager" Turmes: Wir sehen hier ein mitt-
leres Oktogon, das über den Edten des darun-
terliegenden Turmquadrates von vier kleinen
Oktogonen begleitet wird. So einfadi dieses
Grundsd-iema ersdieint, so stellt es uns doch
vor eine Reihe von fast unlösbaren Problemen.
Zunächst ist das mittlere Oktogon viel zu klein
in seinem Durchmesser und liegt deshalb kon-
struktiv nicht unterbaut mitten im „Luftraum"
des darunterliegenden Quadrates. Seine Stre-
ben sind relativ stark, die Turmfenster rela-
tiv schmal, so daß sie auch bei einer Annahme
einer bescheidenen Höhe eher Schlitzen glei-
chen. Im Zentrum scheint ein fester Kern (Spin-
del?) zu liegen, von dern acht radiale Linien
zu den Edren des Oktogons führen, während
vier weitere auf die Mitte der übereck stehen-
den Oktogonseiten weisen. Sollen diese Linien
Gewölberippen oder Treppenstufen darstellen?
Beide Annahmen sind fragwürdig. Gegen Rip-
pen spricht der feste Kern, den man kaum als
Schlußstein ansprechen kann, und die völlig
unbegründete Anordnung von „Sdieitelrippen"
nur in den überedt stehenden Gewölbefeldern.
An Treppenstufen zu denken, ist noch unmög-
lidier, da Treppenstufen nidit zentral, sondern
tangential auf eine Spindel zulaufen, nicht un-
bedingt auf die Edten bezogen sein müssen
und vor allem in gleidaen Abständen aufeinan-
der folgen. Hier sind aber immer zwei kurze
und eine lange „Stufe" miteinander abwedi-
selnd dargestellt.
Ebenso unklar ist die Darstellung bei den vier
kleinen Oktogonen. Audi diese sind von Stre-
ben mit profilierten Stirnseiten umgeben. Wei-
ter innen sieht man zuriidtgestuft eine ähnliche
Gliederung. Bei dieser kann es sidt fast nur
um das nächstfolgende Geschoß handeln, das in
das darunterliegende Gesdioß projiziert ist.
DOCh fehlt hier eine plausible Überleitung, so
daß man zunächst den Eindrudt gewinnen
könnte, es handle sich bei dem kleineren Okto-
gon um den Hohlraum des großen. Hier aber
kleine Edtspindeln anzunehmen, ist nach der
Art der Darstellung kaum möglich.
An eine rein hypothetische Architekturskizze
zu denken, ist bei der Genauigkeit der Dar-
stellung des Unterbaus nidat vertretbar, da hier
sicher eine sehr konkrete Planung vorliegt und
einige meßtechnisdie und konstruktiv sehr in-
teressante Hilfslinien und Hilfsfiguren einge-
tragen sind. Daß sogar eine konkrete Planung
vorliegen kann, zeigt die außergewöhnlich ei-
genwillige Lage der beiden Wendelstiegen am
Viereckunterbau. Die erste Wendelstiege sitzt
im Winkel zwischen Turmaußenwand und der
die Fassade fortsetzenden Streben, die zweite
an der dem Mittelsdiiff zugekehrten Edte des
Turminnenpfeilers. Da die Profilierung des
Pfeilers ringsum genau gezeichnet ist und diese
Spindel zur Hälfte in den Pfeiler einbindet,
kann es sich nur um die Projektion einer Wen-
deltreppe handeln, die erst oberhalb der Mittel-
schiffwölbung beginnt und zwischen einem
zweiten und dritten quadratisdien Turmgesdioß
liegen könnte.
Hier bestehen nun auffallende Querverbindun-
gen zu der Straßburger Lösung, wenn es sich
bei dem „Prager" Riß auch sidier nidit um eine
Studie für Straßburg handelt. In Straßburg ist
nämlid-i die Lage der Wendelstiegen durdiaus
analog. Die Wiener Planbearbeitung (Riß 289)
des Straßburger Risses B besitzt außerdem nodi
das eingezogene (obere) Oktogon mit vier Edt-
oktogonen, die hier aber sicher Wendeltreppen
darstellen. Unwillkürlidi muß man an eine
Querverbindung zwisdien diesen beiden Ris-
sen denken, die aber nadi Lage der Dinge viele
Jahrzehnte auseinanderliegen, falls man die
Grundrißzeid-inung gleichzeitig oder nur wenig
später ansetzen will als die Planung der dar-
unter gezeid-ineten Nordteile des Prager Dom-
diors. Die Ideentransplantation könnte sogar
in Wien erfolgt sein, falls der Riß 289 damals
schon in Wien lag und der Planbearbeiter des
Prager Domchors diesen in Wien einsehen
konnte. Dodi bleiben alle diese Hypothesen un-
bewiesen, da es in der zweiten Hälfte des
14. Jahrhunderts sicher ebenso enge Verbindun-
gen zwischen Straßburg und Prag wie zwisdien
Prag und Wien gab.
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