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Volltext: Alte und Moderne Kunst XVII (1972 / Heft 120)

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aus ihren starren, runden Augen kann 
chwerlich ihr Seelenleben erraten. 
r Männerakte sind in sich gekehrt, sind 
chlossene Systeme voll innerer Spannun- 
ganz in sich selbst versunken, von sich 
erfüllt. Eine geballte Gewitterwolke vor 
ersten Blitz. 
nackten Männer wälzen sich im leeren 
wie die Verdammten des Jüngsten Ge- 
s, wie gepeitschte und gegeißelte anonyme 
llanten. Niemals ist es der Beschauer, 
in sie sich wenden, der Gegenstand ihres 
3tseins sein könnte. Sie gehoben sich ma- 
isch wie die von tausend Zweifeln geplag- 
elden der Romane Franz Kafkas. Es sind 
iezentren, die Ultrawellen ausstrahlen, es 
jeladene Leidener Flaschen. 
lie Akte Klimts weht die warme Atmo- 
e der Boudoirs, geschwängert vom Duft er- 
zr, längst vergessener Parfüms. Man denkt 
orte Rilkes über die Entdeckung der Frau 
Rodin, der, so wie Klimt, schon in seiner 
1 Jugend sein Handwerk bewältigt, über- 
an hatte; es stellte beiden für den Rest 
Lebens keinerlei Probleme mehr in den 
Einer ihrer typischesten Zeitgenossen - 
' Wilde - sagte, „nur der Frühreife wird 
:h reif". Klimt hatte die Routine eines 
emieprotessors schon mit 25 Jahren er- 
und überholt. Seine Hand gehorchte ihm 
.lfred Grünfeld die seinen, welche die Ta- 
(aum zu berühren schienen. Die Bleistift- 
Klimts zitterte erregt über die handge- 
ften Bogen des kaiserlichen Japanpapieres, 
icht kostbar genug scheinen für diese un- 
baren, unwiederhalbaren Emotionen. Er 
b sie hin in unerschöpflicher Fruchtbarkeit, 
Zaudern und ohne Verlegenheit, ja ohne 
Ermüdung, ein ewiger Jüngling voll Neu- 
ind Erregung, berauscht vom Zauber der 
chkeit. Schon darin ein echter Wiener. Al- 
JS, was Klimt als bildender Künstler, als 
. erkannt, gesehen hat, den Farmenreich- 
lie Ausdrucksmöglichkeiten des weiblichen 
trs, das alles hat er auf seinem Wege wie 
ingefähr, ohne zu suchen, deshalb in so 
m Maße gefunden, weil er kein Professor 
Es ist unter seiner_zauberhaft leichten, 
n Form so souverän verborgen und wurde 
im in wahrhaft traumwandlerischer Sicher- 
cheinbar spielerisch erreicht - so wie Mo- 
eine rosigen Gletschergipfel erreichte, de- 
igende Höhe man erst empargehoben vom 
er seiner duftigen Schönheit schwindelnd 
sich erahnt. 
das typisch österreichische Phänomen, die 
iung, die zartesten Liebreiz mit Größe zu 
en vermag. Es ist bei Klimt vielleicht ein 
nis der ungehemmten Männlichkeit, der 
sicheren Eroberernatur, die, ohne sichtliche 
ung, schon bei der ersten Begegnung zu 
I gewiß ist. Klimt war kein schmachtender 
rer einer unerreichbaren lnamorata wie 
arzer, Beethoven oder Schubert. Er war 
Blender wie der kränkliche Makart; er 
e seine Modelle durch und durch. Er hat 
rt Frauen so gesehen, wie sie sich selbst 
kannten, er hat ihre Schönheit erlebt, hat 
das Siegel, den Charakter seiner Persön- 
it und damit seiner Zeit aufgeprägt. Klimt 
an weiblichen Körper so entdeckt, enthüllt 
odin. Seine Zeichnungen sind Indiskretio- 
sie verraten die niegesehenen, noch nie 
haltenen körperlichen Höhepunkte, Eksta- 
es weiblichen Körpers. Klimt war der Pra- 
vollendeter Männlichkeit. Kein Herr Pro- 
, der so sehr an sein Handwerk denken 
daß er darüber das lebende Modell ver- 
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gener Sicherheit, daß er es sich leisten konnte, 
beim Zeichnen zu träumen. Es sind in der Tat 
erotische Wachträume, keine „Aktzeichnungen", 
wie sogar noch bei Hadler. Klimt sublimiert 
ganz unbewußt sein Augenerlebnis, seine Zärt- 
lichkeit oder Leidenschaft zu zartesten Kalli- 
grammen, scheinbar ohne jede Schwierigkeit, 
ohne das Suchen, den Kampf, der den Charak- 
ter der Zeichnungen anderer moderner Meister 
bestimmt. Ein olympischer Genießer. So er- 
scheint er uns, so stellt er die Frau dar - das 
Kind, das Mädchen, die Jungfrau, das aufge- 
blühte Weib, die von Leidenschaft verzehrte He- 
täre, die verwelkte alte Frau, sie alle sieht er 
als Mann, sieht in allen vor allem das Weib. Und 
so ziehen die hundert Akte vor unseren entzück- 
ten Augen durch unsere Vorstellung wie ein 
traumhafter Reigen, wie die in Marmor erstarr- 
ten Frauenakte in Rodins porte de l'enfer - noch 
mehr als diese durch die Epoche gezeichnet, 
ja geradezu ihr kulminanter Ausdruck, das Schön- 
ste, was sie zu geben imstande war. 
Das sind nicht die Soubretten Makarts, denen 
die Rollen der Bacchantinnen des Rubens zu 
schwer waren, um sie überzeugend spielen zu 
können - es sind van ihrer ureigensten Leiden- 
schaft überwältigte Frauen aus der intimen Um- 
welt Klimts; sie spielten nichts var, führten nichts 
auf. Sie wurden von ihm entdeckt, erlebt, erra- 
ten. Es war kein Theater, was hier dargestellt 
wurde. Klimts Motiv war das Leben selbst, sein 
Quellgebiet, sein Ursprung, sein Kernproblem, 
seine Entstehung - die traumschaffende Ur- 
kraft. Klimt war eben kein Professor, diese kom- 
men immer hinterdrein, er war ein Meister, das 
heißt ein Anfang. Seine zwei großen Nachfah- 
ren waren keine Schüler, sie waren seine Jün- 
ger und haben durch ihn den entscheidenden 
Anstoß, Abstoß erhalten, die Anregung, die ins 
Blut übergeht. 
Die Frauenakte Klimts sind, wie mit sich selbst 
beschäftigt, allein in camero caritatis. Schieles 
Modelle stehen dagegen in aktivster Beziehung 
zum Künstler. Diese Beziehung äußert sich nicht 
nur in dem meist scharf auf diesen gerichteten 
Blick, oft sind die Dargestellten in geradezu ab- 
wehrender oder aggressiver Haltung ihm gegen- 
über. Das ist ein wesentlicher Zug seiner Kunst, 
die etwas bewußt Autobiographisches an sich 
hat, etwas vom Bedürfnis des Dichters zum Be- 
kenntnis und Geständnis, zum Abreagieren der 
eigenen Qual. Schieles Mädchen erscheinen wie 
Verführte, oft geängstigt und erschrocken. 
Manchmal sehen sie aus wie Freudenmädchen; 
Gelassenheit ist ihnen nicht gegeben, sie wir- 
ken eher gehetzt und gequält oder zornig. 
Klimt ist mondün wie Beardsley, man denkt an 
Rilke, Schaukal, Hoffmannsthal, an Mahler, also 
gewiß an die vornehmsten Vertreter dieser Epo- 
che. Aber beim jungen Kokoschka und bei Schie- 
les Anfängen geht es schon um andere Dinge. 
Wenn bei Klimt anfangs noch Makart oder 
Stuck zu spüren waren, so wird bei seinen bei- 
den Fortsetzern das psychologische Experiment 
bis ins Krankhafte gesteigert, bis ins Tragische, 
Geheimnisvolle. Es ist bereits die Welt, in der 
Kafka, Musil, Schönberg und Webern leben, die 
geistige Entdeckerzeit Otto Weiningers und 
Freuds. 
Man nannte diese Epoche dekadent, also das 
Abklingen einer geistigen Entfaltung, sie war 
aber in ihren stärksten Vertretern aszendent, 
aufsteigend, also ein Anfang. Das Lebenswerk 
Kokoschkas ist das großartigste Beispiel eines 
sich unaufhaltsam entfaltenden Optimismus, 
einer Lebensbejahung sondergleichen; die un- 
gebrochene, unenttäuschbare Liebe zum Men- 
schen, der unvergessene Orbis pictus seiner 
.-..........., som... .o........,.., a... ttunwnnsntus uvo 
Jan Amos. 
Die Aktzeichnungen Schieles bedeuten eine wei- 
tere, überraschende Steigerung der Akte Klimts; 
sie haben einen harten, unwahrscheinlich, ja 
unheimlich sicheren Anschlag, sie zeigenikeine 
duftigen Räusche mehr, ihre Wollust ist bis 
zum Krampf gesteigert. Der stöhnende Seufzer 
wird hier zum Aufschrei. Die Leidenschaft erhält 
ausgesprochene Züge des Leidens. Hier wie bei 
Klimt ist das Erlebnis aber so weitgehend durch 
die künstlerische Persönlichkeit sublimiert, daß 
das Erotische niemals anstößig werden kann, 
weil es immer nur die Triebkraft des Kunstwerkes 
bleibt, die sich in ihm restlos erschöpft und nie- 
mals Selbstzweck bleibt. Die elysische Nacktheit 
der Modelle Rodins und Maillols, die schwüle 
Atmosphäre der Boudoirs, die üppigen Gestalten 
Renoirs, sie wurden abgelöst von den Tanzübun- 
gen der mageren Balletteusen Degas sowie von 
den ideellen ägyptologischen Verrenkungen der 
Modelle Hodlers, von deren rhythmischen Turn- 
übungen und von den verhungerten Artistinnen 
der blauen Epoche Picassos. Alle diese Gestal- 
ten waren, wenn auch auf verschiedenste Weise, 
als Motive empfunden, sie ließen den Maler 
gewissermaßen aus dem Spiel. Aber in den ver- 
krampften Figuren aus Haut und Knochen des 
jungen Schiele spricht nicht nur die objektivierte 
menschliche Verzweiflung, die als Motiv ver- 
wertete soziale Not, sondern unmenschliches 
Grauen. An diesem Wendepunkt begegnen wir 
in der österreichischen Handzeichnung auf ein- 
mal an Stelle des Motivs, der Darstellung des 
Entsetzens, des Grauens vor dem Leben einem 
Aufschrei des Künstlers. 
Dieser Aufschrei kam vorher schon aus der 
Kehle des jungen Kokoschka. Seine ersten Thea- 
terstücke und deren Illustrationen waren progres- 
siver als alle anderen künstlerischen Äußerun- 
gen dieser österreichischen Epoche, die sich da- 
mit einem Gipfel und Umschwung näherte. Je- 
doch beendete die Weiterentfaltung der Kunst 
Klimts und Schieles nicht etwa die Ontogenese 
der österreichischen Kunst, sondern die spani- 
sche Grippe. Das Beispiel Kokoschkas hat je- 
denfalls erwiesen, daß ungeachtet seiner genia- 
len Anfänge sein wirklicher Aufstieg, die volle 
Entfaltung der weltweiten Krone seines Schöp- 
fungsbaumes erst nach dem ersten Weltkrieg, 
trotz schwerster Verwundungen und bitterster 
Enttäuschungen, erfolgen sollte. Wäre er seinen 
Verwundungen erlegen, würde man wahrschein- 
lich gesagt haben: „Die Fülle genialer Schöpfun- 
gen dieses friihreifen Genies hatte seine Mög- 
lichkeiten erschöpft, er hatte sich in seinen jun- 
gen Jahren völlig ausgegeben!" Er aber malt 
zu dieser Zeit mit über 85 Jahren in Nordafrika 
seine neuen Bilder, deren gelöste, hellstrahlende 
Farbigkeit, großangelegte Komposition und split- 
terig lockere Zeichnung einen weiteren Schritt 
vorwärts bedeuten! 
Die Frauen der Aktzeichnungen Klimts geben sich 
in ihrer duftigen Sinnlichkeit dem Beschauer 
preis wie Blumen den Schmetterlingen. Es ist 
eine wonnevolle Treibhausatmosphäre um sie, 
eine zu hoher Kunst geläuterte Wol-Lust, eine 
Hingabe ohne Vorbehalt. 
Schieles Akte dagegen sind voll Haßliebe, voll 
gereizter Überspannung, als ob sie sich nicht 
gerne, nicht freiwillig entblößten. Abwehr spricht 
aus ihren Gesten, aus ihren Augen. Ihre Be- 
ziehung zum Beschauer, zum Maler, ist augen- 
fälliger als die der Modelle Klimts, die oft so 
wirken, als ob sie der Meister heimlich belauscht 
hätte. 
Koligs Männerakte jedoch sind überhaupt keine 
Gestalten des täglichen Lebens; sie wären un- 
vorstellbar inmitten von Möbeln und Gebrauchs- 
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