Gottfried Biedermann
Studie zur österreichischen
Glasmalerei
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Die folgenden Notizen beschäftigen sich mit
einer Gruppe von Glasgemölden, die ikono-
graphisch und stilgeschichtlich von besonderer
Bedeutung für die Geschichte der österreichi-
schen Glasmalerei und deren Entwicklung um
1300 sind. Einige kunsthistorische Fragen sind
von großem Interesse, da die Fachliteratur auf
sie noch nicht näher einging '.
F. Kieslinger stellte in seiner Arbeit über die
„Gotische Glasmalerei in Österreich bis 1450""
unter dem Notnamen „Annaberger Meister" ein
Cfuvre zusammen, das sich in einzelnen Punkten
als umstritten erweisen wird. Zu diesem CEuvre
gehören vier Glasgemälde in der Pfarrkirche zu
Steyr, die auch wir ohne Bedenken einem ein-
zigen Meister zuschreiben werden können. Kies-
linger ging nur kurz auf ihre stilistische Zugehö-
rigkeit ein, ließ aber ikonographische Probleme
völlig außer acht.
Die vier Glasgemälde stellen dar: eine Aufer-
stehung (Abb. 1), eine Himmelfahrt Christi (Ab-
bildung 2) und zwei Bildnisse (Abb. 4, 5) mit
der Bezeichnung MFN Agnes und Dux Leopoldus.
Diesem Konvolut anzuschließen sind Propheten-
medaillons in der Kapelle der Burg Kreuzenstein
(Abb. 3). Alle Glasgemölde, der Erhaltungszu-
stand ist unterschiedlich, zeichnen sich durch
hohe Qualität aus. Eine endgültige Würdigung
erfolgt auf Grund der formalen und ikonogra-
phischen Analyse.
Der auferstehende Christus (Abb. l) beeindruckt
durch seine großformatige Konzeption, die im
allgemeinen für dieses Thema ungewöhnlich ist.
Es scheint, als handle es sich nicht um eine Dar-
stellung innerhalb eines Zyklus, sondern um ein
isoliertes Einzelbild. Christus steht dem Betrachter
frontal gegenüber und erinnert an romanische
Christusfiguren, mit denen die Eindringlichkeit
und Unmittelbarkeit der Aussage gemeinsam
sindf. Tatsächlich weist die Komposition noch
konventionelle Prinzipien auf. Die Figur ist einem
Langpaß eingeschrieben, der sie wie eine Glo-
riole umgibt. Der Körperf paßt sich dem Lang-
paß ein. Die Ellbogen stoßen seitlich an und
versuchen den vorgegebenen Rahmen zu spren-
gen. Die Hände sind fixiert, die Augen auf den
Betrachter gerichtet. Dem ganzen Oberkörper
fehlt Bewegung. lm Gegensatz dazu tastet der
linke Fuß Christi nach vor und scheint auf den
Grabdeckel zu treten. Der Moment des Aufer-
stehens wird noch deutlicher durch das Vor und
Zurück, die Staffelung der Beine. Das rechte ver-
harrt im Grab, das linke ist zur Gänze sichtbar.
Die direkte frontale Stellung, die von beson-
derem ikonographischem Wert ist, da darin noch
die hieratische romanische Bildauffassung wirkt,
hat konstruktive Gründe. Der Langpaß läßt sich
als Ebene erkennen, die der Figur unterlegt ist,
welche parallel davor steht. Streng diagonal
verläuft der Fahnenstab. Die Arme sind in be-
stimmten Winkeln geknickt. Der Kopf ist einem
Nimbus eingeschrieben. Es läßt sich nachkon-
struieren, daß der Mittelpunkt der Radien an der
Nasenwurzel liegt. Die Proportion der Figur ist
nach ebenso strengem Maßstab gemessen. lm
Zusammenhang mit diesen bildkonstruktiven Ele-
menten sei an die geometrischen Vorzeichnun-
gen romanischer Wandgemälde verwiesen, die
den Körper durch präzise Konstruktions- und
Proportionsvorsdiriften auf das ideale Maß fest-
legten 5. Auch Villard de Honnecourt legte den
Figuren Schemata zugrundef. Das erfolgte zwei-
fellos nicht nur aus technischen Gründen. Wich-
tig war auch die ikonologische Perfektionierung
und ldealisierung der Figur.
Daß das Gesagte nicht nur für die Malerei und
Zeichnung gilt, zeigen mehrere Beispiele der
GlasmalereiÄ
Besondere Eigenarten weist die Bildrohmung
des Glasgemöldes auf. Als seitliche Begre
dienen hohe schlanke Fialen, die den Orni
teppich rechts und links abschließen. Die
der Rahmung unterscheidet sich wesentlii
der hochgotischen architektonischen Ra
mit Arkaden, die oft zu sich verselbständig
Gebilden formiert werden". Das Fens
Steyr stellt ein Beispiel der Übergangs
dar. Die Stelle einer einfachen Ornamentb
rahmung nimmt eine Fensterrahmung mit
tektonischen Motiven ein. Der Langpaß
nimmt die Funktion, die Figur zu umsch
und gleichzeitig hervorzuheben.
Eine wichtige Bildfunktion besitzt die Orr
tik, da sie die Position der dargestellten
genau beschreibt. An unserem Bild läi
„Muster auf Grund" ein aus Rauten zusa
gesetzter Teppich. Der Langpaß scheint l
aufgelegt. Die Rauten werden mehrmals
schnitten. Der Langpaß selbst ist mit
Blattwerk versehen, das als Folie die
hinterlegt, die wie eine mittelalterliche
an die Rückwand gebunden und mit it
wachsen erscheint. Die Figur vermag sicl
aus ihrer Umgebung zu lösen. Das ist ein
wesentlichen Charakteristika.
Subtil ist der Zeichenstil des Glasmalers, c
Figur Christi und die Wächter mit w
charakterisierenden Linien versieht und d
sichter mit markanten Zügen ausstattet. C
erhält durch das lange wallende Haupthat
nur kurzen Kinnbart und das ovale Gesii
überaus jugendliches Aussehen, was in (
satz zur strengen Figurenauffassung steh
prägnant sind die Köpfe der Wötllllt
zeichnet, die im Ausdruck ein wenig an I
buchfiguren Villard de Honnecourts erinne
Die Farbgebung ist sowohl für die stilistisi
auch ikonographische Beurteilung unseres
gemäldes von Interesse. Christus ist in
Mantel aus leuchtendem Rot dargestellt, c
dominierenden Farbe im Bild wird. Dem
über tritt das Grün des Rockes neutral
Das Rot besitzt spezifischen „Eigen"- ade
bolwert, der auf die Person und das Thei
zogen ist". Die Farbe steigert den Re
charakter des Auferstehenden. Die tradit
Bedeutung des Rot als Symbol der Macht,
windung des Todes und Rückkehr ins Lebe
hier nur allzu deutlich.
Ein Vergleich mit Beispielen mittelalterlich
lerei im wertvollen Buch von H. Schrade
die ikonographische Stellung der Steyre
erstehung klar zutage treten. Nirgends w
auferstehende Christus so monumenti
Auch die Größenrelationen zu den Gral
tern bleiben in anderen Grenzen. Dies-
toren machen den Auferstehenden in St
einer sich heraushebenden Figur, der
Raum noch Zeit wichtig erscheinen. W. Bri
meint zu Recht, daß der Charakter der
malerei dem Thema der Auferstehung bes
entspreche".
Der Auferstehung unmittelbar anzuschlie
eine Himmelfahrt in der Pfarrkirche ZL
(Abb. 2). Die Scheibe ist nur halb so
Schon im Formalen zeigt dieses GlOSQt
mit ienem eine große Verwandtschaft. Dt
melfahrende Christus, langsam emporschw
ist dem Betrachter frontal zugewandt. Dir
ist dem langgestreckten Rahmen eingesch
Er schließt eng an den Körper an, der g:
der Bildachse ist. Dem konsequenten Bild
entspricht auch der parallel verlaufende F
stab. Auch hier übernimmt der Langpi
Funktion der Figurenrahmung. Für die F
rahmung finden einfachere Ornamente V
dung. Zwischen Langpaß und Fensterra
treten Rauten hervor, die als Teile des