Kurt Rossacher
Kunstkonsummarkt
oder Kulturereignis?
(Gedanken zur zweiten
Wiener Kunst- und
Antiquitätenmesse 1972)
Den Verkaufsmessen der alten und modernen Kunst ist ein Essaypoar gewidmet, das die i
gegensätzliche kulturpolitische und soziologische Problematik des heutigen Konsums von alter I
un Antiquitäten einerseits und der modernen Kunst anderseits behandelt.
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Seit Beginn der sechziger Jahre hat der euro-
päische Handel mit alter Kunst in immer stär-
kerem Maße in der Organisation von Verkaufs-
messen durch die nationalen Berufsverbände
sein Ansehen zu stärken und seine Geschäfts-
tätigkeit durch geballtes internationales Auftre-
ten zu fördern gesucht. Am bedeutendsten unter
den vielen europäischen Messen ist wohl die alle
zwei Jahre stattfindende Mostra lnternazionale
im Flarentiner Palazzo Strozzi, die durch die Be-
mühungen des traditionsreichen Florentiner Han-
dels, voran der Brüder Bellini, zu internationa-
lem Ansehen gelangt ist. Von Österreich aus
wurde die jährliche deutsche Kunst- und Anti-
quitätenmesse im Münchener Haus der Kunst
besonders gerne besucht. Seit ihren Anfängen
hat die Münchener Messe trotz der hinzugekom-
menen Konkurrenz von Hannover und Düssel-
dorf in einer stetigen Verbesserung ihren ersten
Platz in Deutschland behaupten können.
Mit einer Verspätung von etwa zehn Jahren
hat 197,1 auch das österreichische Bundesgre-
mium erstmalig eine wohlgelungene Ausstellung
im Wiener Messepalast durchgeführt. Die Gründe
dieser Verspätung liegen im wesentlich klei-
neren Umfang unseres Wirtschaftsgebietes, viel-
leicht auch in der bekannten Wiener Eigen-
schaft des Eigenbrötelns und Abwartens, ebenso
aber auch an der Tatsache, daß der Wiener
Handel im siebten Jahrzehnt wirklich interna-
tionale Bedeutung erlangt hat. Dies sowohl
durch die Leistung einzelner hervorragender Mit-
glieder als auch durch die steigende Bedeutung
des Dorotheums und den Zuzug profilierter
Kräfte aus den Oststaoten.
Der Berufsstand will damit sein Können und
seine Leistungen vor der Öffentlichkeit zeigen.
Wie in allen anderen Ländern ist es auch in
Österreich besonders schwierig, ein Gremium,
das wie kein anderes durch größte Bildungs-
und Rangunterschiede auseinanderklafft, zu
einer gemeinsamen bedeutenden Aktion zu ver-
einen. Die Skala der Persönlichkeiten reicht vom
höchstgebildeten Kunstkenner und Ästheten bis
zum kaum gebildeten Nur-Kaufmann. Wir fin-
den ebenso den Akademiker wie den absoluten,
vitalen Blickmenschen mit untrüglichem Quali-
tätsbegriff, der rein sinnlich ohne Bemühung um
Literatur agiert; den Spezialisten eines eng be-
grenzten kunstgewerblichen Fachgebietes, des-
sen Liebe zum Obiekt oft einen kaufmännisdten
Erfolg verhindert, ebenso wie den finanziell
Erfolgreichen, dem Organisation und Menschen-
kenntnis echtes Kennertum ersetzen.
Mag die äußere Zielsetzung der Messen in der
Repräsentation und im Gewinn neuer Käufer-
kreise, im erhöhten Umsatz und im Knüpfen
internationaler Beziehungen bestehen, so glau-
ben wir doch, daß als ebenso wichtiges inneres
Motiv die gegenseitige Befruchtung der Ausstel-
ler, die Anhebung des Gesamtniveaus und das
Beispiel für die Mitglieder des ganzen Bundes-
gebietes hervorzuheben ist. Diese Messe als
Bildungsinstrument für den Handel selbst ist ein
wichtiger Faktor für diesen unhomogenen Be-
rufszweig, dessen internationale Stellung immer
wieder erkämpft werden muß.
Mit diesem Hervortreten ist eine Fülle von Pro-
blemen verbunden. Scheinen sie auch im Ver-
hältnis zur exzessiven Problematik der Messen
moderner Kunst mit ihren soziologischen Span-
nungen zwischen dem lebenden Produzenten
und dem Händler wesentlich geringer, so bleiben
sie dennoch gewichtig genug.
Die Hauptfragen scheinen uns dabei we
auf der Ebene der Beschaffung zu liegen.
wiß ist die klassische Antiquität immer scl
riger zu finden, werden die Obiekte 11
teurer, müssen die lmporte den Großteil
Angebotes stellen. Gewiß wird der Hand
manchen Ländern durch sinnlose Barrieren
unfähigen Kunstbürokratie behindert und i
fiskalische Maßnahmen gefährdet. Uns SChl
iedoch vor allem zwei Komplexe für eine kür
lebendige Funktion solcher Messen entscheic
O Die Aufhebung des klassischen Antiqu
begriffes (heute noch „vor 1830") unc
notwendige geistig-ästhetische Bewälti
unserer gesamten künstlerischen Vergar
heit bis in die Zeit unserer Väter hinein i
den Handel mit alter Kunst;
O die Berücksichtigung der kulturellen um
ziologischen Situation unserer modernen
sellschaft, in der auch einer weniger b
telten iüngeren Generation das „E
Schöne und Gute" zugänglich gemacht
den soll. Die Lösung des zweiten Prol:
wird durch die Bewältigung des ersten
blems wesentlich erleichtert.
Der klassische Antiquitätsbegriff von heute
der Zeit des Historismus geboren wordei
entsprach der Bildung und dem Repräs
tiansbedürfnis des Wiener Großbürgerturr
späten 19. Jahrhundert bis zum zweiten l
krieg. Inzwischen hat sich vieles verschoben
vollkommene Stilensemble „aus der Zeit"
gottlob nicht mehr so ernst genommer
scheint nicht mehr wesentlich, zwölf gara
echte Barockstühle um einen Refektorium
zu versammeln. Auch die Zeit der „Ansami
gen" von Antiquitäten ist vorbei, iener schv
lnterieurs, die einem Filmverleihdepot gli
Man liebt funktionell strenge, moderne Mi
in denen alte Kunst und Antiquitäten lieb
als Bekenntnis zum Vätererbe eingefügt un
besondere Bezugspunkte sorgfältig gewählt
den. Man mischt gerne. Diese Mischung dOl
in die iüngste Vergangenheit reichen.
sammelt man moderne Graphik. Ein Scha
stuhl aus Bugholz von Thonet scheint heute
len aktueller als das alle Statussymbol
Rokokafauteuils Louis' XV. Warum solle:
terieurs aus der Zeit Grillparzers nicht ihre
turhistorische Rolle auch im Handel alter l
spielen? Gemälde dieser Epochen werde
bereits hoch geschätzt. Warum sollen die l
gewerbliche Meisterschaft und die morbide
tüde der Mokart-Zeit nicht gewürdigt wer
Nicht zu reden vom Jugendstil, der ia bt
hohe Beliebtheit erreicht hat.
Das Wien der Gründerzeit, der Zeit der e
Weltausstellungen, war ein wichtiger F
einer ersten „Weltkunst", dessen Ausstral
bis San Franzisko reichte. Ein Ort staat:
tischer Fäulnis, in der eine reiche, dekadent:
tur blühte.
Viele neue Einzelexistenzen einer Zwis
schicht des Handels haben heute - ang
von den Wünschen einer neuen Käuferschi
sich dieser Stilepochen bemächtigt, ohni
geistig bewältigen zu können. Der Honde
dem Altvöterhausrot ist arriviert. Nur b
er meist weder Kenntnis noch Geschmack,
ses vielfältigen Gemisches ästhetisch Hel