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Full text: Alte und Moderne Kunst XVII (1972 / Heft 121)

bis zum verpackten Relief, zur verpackten Kunst- 
halle, der verpackten Küste und dem verhängten 
Tal. Die Innovation wird nur geringfügig diffe- 
renziert. Was ins Auge springt, ist die stets 
gleichbleibende Grundkanzeption bei sich stän- 
dig verändernden Dimensionen. 
War in den vorhergehenden Überlegungen vorn 
Markt als den einzelnen händlerischen Initia- 
tiven die Rede, so ist vor allem durch die stei- 
gende Anzahl der zentrierten Kunstmärkte die 
Diskussion über das Thema „Kunst als Ware" 
angeheizt worden. Nachdem in Köln sich der 
Verein der progressiven Kunsthändler Deutsch- 
lands mit assoziierten europäischen und ameri- 
kanischen Galerien niedergelassen hatte, in Ba- 
sel alle jene Galerien sich vereinigten, die der 
Vorstand der Progressiven als zuwenig pro- 
gressiv vorerst, später aus Raumnot ausschloß, 
und in Berlin die IBK, die lnteressensgemeinschaft 
der Berliner Kunsthändler, ein regionales Pen- 
dant zum Verein der Progressiven bildete und 
zum Kunstmarkt lud, wächst die Zahl der Messen 
und ist eindrucksvolles Symptom für die kam- 
merzielle Tüchtigkeit der Händler. War der 
Zusammenschluß der progressiven Kunsthändler 
Deutschlands, von denen auch die Initiative zur 
jährlich stattfindenden avantgardistischen Ver- 
kaufsausstellung „Prospect" in Düsseldarfherrührt, 
zuerst eine Maßnahme gegen den finanzstarken 
amerikanischen Markt, dessen Zentrum New 
York ist, so wurde in der Folge auf Grund des 
Kunstboams der letzten Jahre der deutsche Kunst- 
markt dominierend in Europa. Die Kritik an 
den Kunstmärkten führte zu freien Produzenten- 
messen, wo sich Miniaturgalerien, Künstler, Druk- 
ker etc. einfinden konnten. In Köln fand das 
letzte Jahr alles zur selben Zeit statt. Der Kunst- 
markt der Progressiven und der von ihnen 
assoziierten Galerien, die in Basel bereits zum 
Teil vertretenen Galerien in einem eigenen, 
räumlich sehr nahe gelegenen Markt, und unter 
einem Zeltdach bescheiden die freie Produzenten- 
messe. Dieser gigantische Jahrmarkt der Künste, 
der das Schlagwort vom Ausverkauf der Kunst 
geprägt hatte, bot von billigster Druckgraphik 
bis zum exorbitant teuren Einzelstück der klassi- 
schen Moderne alles an. Er diente sowohl dem 
Prestigeklima einzelner Galerien, die nur wenig 
feilboten, sich eher nur aus Public-Relation-Grün- 
den einfanden, als auch dem Verkauf an Galeri- 
sten, Museumsleute und Käufer, Snobs, die sich 
mit dem jeweils Modischen eindecken wollten, 
wie denen, die angepriesene Wertsteigerung 
lockte. 
Der Kunstmarkt mit seinem Prinzip von Angebot 
und Nachfrage, das er eng dosiert, ist ein 
exemplarisch kapitalistisches Unternehmen. Die 
große Prosperität einerseits, andererseits das 
Kunstwerk als teurer zweckfreier Prestigegegen- 
stand, als Dekorationsgegenstand und Wand- 
oktie haben den Handel zur derzeitigen Blüte 
gebracht. Mit der Ankündigung, man wolle der 
lnflation der Kunstmärkte dadurch begegnen, 
daß man eine fachliche Abgrenzung vornimmt, 
hat nun die 4. Internationale Frühjahrsmesse in 
Berlin sich dieses Jahr vorgenommen, nur „ars 
multiplicata", multiplizierte Kunst, vorzustellen. 
Ars multiplicata war freilich bereits auf allen 
vorhergehenden Märkten reichlich vorhanden. 
Die in den letzten Jahren aus dem Boden schie- 
ßenden Editionen, die Kunstvereine mit ihren 
Jahresgaben, die Galerien mit diversen Mappen 
und Einzelblättern haben für eine gigantische 
Verbreiterung und Vergrößerung des Marktes 
gesorgt. Das Angebot reicht von Objekten mit 
wenigen Kopien bis zur Auflage serigraphischer 
Blätter, die in die Tausende geht. 
„Ars multiplicato" gibt sich demokratisch. Das 
heißt, der im Verhältnis zum Original, das da- 
32 
neben nach existiert, niedrige Preis erlaube 
auch dem Kunstinteressenten mit kleinerem Ein- 
kommen den Erwerb einer solchen Arbeit. Kunst- 
interesse und Bedürfnis des Erwerbs werden da- 
bei gleichgesetzt. Dabei sollte hier gleich er- 
wähnt werden, daß bei Auflagenobjekten aber 
auch generell bei aller Graphik sich die Her- 
stellungskosten verringern und die Gewinnspan- 
nen erhöhen. Das Risiko des Verkäufers ist im 
Verhältnis zum Unikat viel geringer. Die stei- 
genden Auflagenhähen suggerieren eine soziale 
Einstellung, verbergen aber nichts anderes als 
das Bedürfnis des Handels nach Profitsteigerung, 
die Bedürfnisse des kleinen Sammlers nach der 
(wie im philatelistischen Sinne zu verstehenden) 
Kunstaktie, deren Wert gemäß ihrer ieweiligen 
Seltenheit, Zirkulation etc. vom Markt bestimmt 
wird. Die meisten Apologeten der Graphik, die 
in ihr eine Popularisierung der Kunst bei gleich- 
bleibendem Kunstwert sehen, bedienen sich da- 
bei der Ausführungen, die Walter Beniamin in 
der vielzitierten Schrift „Das Kunstwerk im Zeit- 
alter seiner technischen Reproduzierbarkeit" nie- 
dergelegt hatte. „Das reproduzierte Kunstwerk", 
schreibt Beniamin, „wird in immer steigendem 
Maße die Reproduktion eines auf Reproduzier- 
barkeit angelegten Kunstwerks". Er unterscheidet 
dabei zwischen der Reproduzierbarkeit als einer 
von außen sich einfindenden Bedingung ihrer 
massenweisen Verbreitung und der Reprodu- 
zierbarkeit als unmittelbar in der Technik der 
Produktion begründet. Letzteres treffe auf den 
Film, den Benjamin als zukünftige Kunst begrüßt, 
ersteres auf die Werke der Literatur und der 
Malerei zu. Für die Rezeption van Kunst- 
werken ergibt sich, daß in besonderem Maße die 
in der Technik der Produktion begründete Re- 
produzierbarkeit den Kultwert des Kunstwerks 
zugunsten des Ausstellungswertes verdrängt. 
Benjamin hat den Begriff der „Aura" untersucht. 
Die Originale wären demgemäß im Gegensatz 
zu den Multiples, den Graphiken, in den Augen 
ihrer sozialisierenden Interpreten Fetische jener 
„Authentizität", die mit der „Säkularisierung der 
Kunst an die Stelle des Kultwerts" tritt. Es ist 
nun die Frage, ob die Graphik, ob die „ars 
multiplicata", die heute so vielfältig gesammelt 
wird, tatsächlich die Aura zertrümmert, ab sie 
den tradierten Kunstbegriff in Frage stellt oder 
ob sie nicht ganz bewußt, vom Markt lanciert, in 
der Hierarchie einer genau kalkulierten Ordnung 
vom unikaten Original bis zum signierten nume- 
rierten Auflagendruck rangiert. Außerdem ist, 
wie Adorne zu Recht feststellt, „nicht nur das 
Jetzt und Hier des Kunstwerkes  dessen Aura, 
sondern was immer daran über seine Gegeben- 
heit hinausweist, sein Gehalt; man kann nicht ihn 
abschaffen und die Kunst wollen  Der ,Aus- 
stellungswert', der da den auratischen ,Kult- 
wert' ersetzen soll, ist eine Imago des Tausch- 
prozesses. Diesem ist Kunst, die dem Ausstel- 
lungswert nachhängt, zu Willen. . ." 
In der graphischen Produktion wird die Aura 
des Kunstwerks nach wie vor, wenn auch in 
vermindertem Umfang, aufrechterhalten. Wenn 
Beniamin bemerkt, „. .. bei der höchst vollende- 
ten Reproduktion fällt eines aus: das Hier und 
Jetzt des Kunstwerks - sein einmaliges Dasein 
an dem Orte, an dem es sich befindet", so wird 
auch in der Graphik oder beim Multiple durch 
die Signatur die Aura eines „Pseudooriginals" 
suggeriert. 
Wie Karl Gerstner, der Mitinitiator der Edition 
MAT (: Multiplication d'Art Tronsformable), wo 
zum erstenmal der Begriff „Multiplication" auf- 
tauchte, zu Recht feststellt, wird die „Originalität 
in soviele Teile wie die Auflagenhöhe zersplittert. 
Wenn er das Blatt 3IlI00 hat, sichert ihm die 
Unterschrift des Künstlers ein lllOOsteI Anteil 
Originalität zu." Die Vorstellung vom Anti 
Original wird hier durch die Unterschrift 
chert, der Anteil durch die quantitative AL 
terung angegeben. Die Unterschrift sugg 
beinahe selbst in ihrem subjektiven Au 
bildfähig geworden, die Aura des Augenbl" 
dem das Werk, so anonym und wenig 
schriftlich es sich in seiner Substanz auch 
mag, entstanden, beziehungsweise in seini 
thentizitöt vom Künstler bestätigt wurde. D 
terschrift und ihre vorgestellte Endlichkei 
die Einschränkung durch Angabe der ge 
Auflagenhöhe suggerieren Partizipation ai 
ginal. Freilich muß der Käufer immer ein 
lieren, daß ein reproduziertes Original ei 
derspruch in sich selbst ist, ja daß das Or 
denken für unzählige Bereiche der heutige 
der aktuellsten Kunst nicht mehr adequat i: 
darüber hinaus er eigentlich nicht Privat 
tümer werden muß, um (mitlzubesitzen. 
min übersah, doß die Museen, heute au 
öffentlichen Kunsthallen Gemeinbesitz alle 
entscheidende Gegenargument gegen ein: 
seiner Theorie von dem Verlust der , 
darstellen, daß der sozialisierende Trend 
Streuung des Kunstbesitzes, der die durc 
Preis erfolgende Selektionierung der B 
von Originalen ablösen sollte, eminent N 
näre Elemente enthält. Wenn festgestellt 
daß Kunst unter Ausschluß der Offentl 
stattfindet, dann kann nicht die Alternatii 
Original und Reproduktion das entsche 
Kriterium für eine größere Veröffentlidwun 
Diese Antwort findet lediglich der Marl 
notgedrungenermaßen der vom Markt 
Unterhalt beziehende Künstler. Die Mull 
tion wird vom Markt gelenkt. Es werd 
Falle der Op-art zumeist nicht die innoi 
Originale multipliziert, sondern in der 
festgelegten Hierarchie muß der Druck 
Sekundäres, das Multiple (und das ist nii 
eine Preisfrage) etwas Damestiziertes VI 
Denn, was hier so verschämt vom Markt l 
zialisierung ausgegeben wird, ist nichts a 
als ein eminent kapitalistisches Unternehmi 
Graphikbörse arbeitet mit der Korresp( 
qualitativer und preislicher Hierarchie. Un 
die heutigen Produktionsbedingungen, „c 
samte technisdwe Basis der Produktion I 
ihren Veränderungen entwickelt sich unter 
zeitiger Kontinuität von Herrschaft, ja so; 
stigung von Herrschaft" (M. Scharang). 
Wenn Benjamin meint, das geschichtlich 
sei die Möglichkeit zur technischen Repro 
barkeit des Kunstwerks, welche den traditii 
Begriff „von Kunst radikal verändere", 
dies sicher in bezug auf die zukünftigen I 
Film und Photographie hin konzipiert Vt 
Die Aufgabe der Reproduktion ist bei di 
schiedenen Künsten verschieden. Musik, Hl 
Theater sind trotz vorhandener Partitui 
real, ohne reproduziert zu werden. Sie 
ren nur in der Aufführung. Für die bi 
Kunst muß zwischen Reproduktion nacl 
Kunstwerk (Reproduktion, Photographie 
farbendruck, Faksimiledruck, der heute sel 
Peinture durch verschiedene Lagen von 
imitieren kann) und „ars multiplicata" 
schieden werden. Die technische Reproduz 
keit der Originale und die technische Proi 
unterscheiden sich. Gert van der Osten 
scheidet zwischen „Reproduktion nach den 
werk" und „Reproduktion vor dem Kuns 
Die Produktion einer von allem Anfang 
Multiplikation angelegten Arbeit unters 
sich von einer durch Signatur geadelten 
duktion. In vielen Fällen wird in der G 
mag man sich auch verschiedener Tei 
wie Lithographie, Radierung oder Sie
	        
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