Eigenständigkeit dieses Schnitzers erweist die
schwingend ponderierte Muttergottesfigur mit
der locker fallenden Gewanddrapierung i".
Wie Angermair und Petel stammt Dominikus
Stainhardt (1655-1712) aus dem Städtchen Weil-
heim; mit seinem Bruder Franz schuf er in seiner
römischen Zeit (1678-1680) nach Entwürfen
von Carlo Fontana die Elfenbeinreliefs des
Prunkschreines der Galleria Colonna, kehrte
dann 1682 nach München zurück. Die Sammlung
verwahrt einen beachtlichen Bestand seiner Ar-
beiten (Abb. 14)". Stainhardt entwickelte einen
merkwürdigen Reliefstil; er geht offenkundig
von der Wölbung des Elefantenzahns aus, die
Figuren sind tief unterschnitten, ohne daß starke
räumliche Wirkung erzielt wurde. Diese Manier,
die mitunter Figurationen des Jugendstils vor-
wegzunehmen scheint, verleugnet die italienische
Schulung, wirkt virtuos eigenbrötlerisch. Stain-
hardts Generationsgenosse Balthasar Permaser
(1651-1732), aus Kammer bei Traunstein ge-
bürtig, in Salzburg, Wien und lange Jahre in
Italien geschult, hat aus diesen Voraussetzungen
ein gleichfalls eigenwilliges, aber doch genial
weitläufiges Werk entwickelt. Wir kennen Elfen-
beinarbeiten, die in Florenz für den Hof der
Medici entstanden sind. Als frühes Werk darf
der Endymion aus Kammer" gelten (Abb. 20).
Zu dem Relief „Merkur und Argus"" gibt es
im Herzog-Anton-Ulrich-Museum in Braunschweig
eine Replik, die Adolf Feulner Permaser zuge-
wiesen hat"; um so mehr hat diese Attribution
Gültigkeit für das präzisere Münchner Relief, das
stilistisch mit den gesicherten Elfenbeinarbeiten
eng übereinstimmt.
Einflüsse der Wiener und der flämischen Elfen-
beinplastik aus dem 3. Viertel des 17. Jahrhun-
derts zeigt das CEuvre des um 1660-1680 täti-
gen Monogrammisten B. G", der mit einer
Prunkschüssel (Abb. 16), einem Pokal und wei-
teren Arbeiten in der Sammlung vertreten ist".
Eine wesentliche Ergänzung des Bestandes an
niederländischen Elfenbeinskulpturen stellen drei
neuerwarbene Reliefs - der Sündenfall, Halb-
figuren von Judith und David - von Francis van
Bossuit (1635-1692) dar, die alle in dem 1727 in
Amsterdam erschienenen „Cabinet de l'Art de
Sculpture par Ie fameux Sculpteur Francis van
Bossuit..." reproduziert sind. Das Sündenfall-
relief (Abb. 11) verbindet artistisches Raffine-
ment mit einem Hauch von „1 B90"; die Modellie-
rung der Oberfläche erscheint malerisch weich.
Die Arbeiten der für Johann Wilhelm von der
Pfalz in Düsseldorf tätigen Elfenbeinkünstler An-
tonio Leoni und lgnaz Elhafen nehmen in der
Sammlung breiten Raum ein. Der Venezianer
Leoni, vielleicht schon seit 1694-1696 und bis
1716 in den Diensten des Kurfürsten, hat insbe-
sondere Reliefs von erstaunlicher technischer
und artistischer Perfektion hinterlassen. Sein ma-
lerischer Reliefstil zielt auf intensive räumliche
Wirkung ab, die durch Bewegtheit, Staffelung
und Verflechtung der Figuren erreicht wird.
Kennzeichnend für Hofkünstler seiner Art ist die
Assimilierung verschiedener künstlerischer Quel-
Ien zu einem persönlichen Stil. Im Gegensatz
zu Elhafen soll Leoni nicht nach Stichvorlagen,
sondern nach eigenen Entwürfen gearbeitet ha-
ben. Bei dem um 1712 geschnitzten Relief „Scipio
läßt Gefangene freit" (Abb. 17) erinnert die
graziöse Frauenfigur neben dem Feldherrn an
Gestalten Watteaus. Ein wegen des Todes von
Johann Wilhelm im Jahre 1716 unvollendet
gebliebener Prunkpokal in Vierpaßform mit
Bacchusszenen" (Abb. 13) wirkt in den zügig
angelegten Formen wie ein Bozzetto und verrät
die spontane Sicherheit des Schnitzers. - Neben
Leoni arbeitete ab 1704 der aus Innsbruck
stammende, in Wien und Rom geschulte lgnaz
Elhafen (1658-1715) für den Düsseldorfer Hof".
Er entfaltet als Schnitzer in Elfenbein und
Holz - stets in kleinem Format - eine erstaun-
mythologlschen Szenen. H 48,4 cm
16 Monogrammist B G, Prunkschlüssel, um 1
1680. Dchm. 69,4x85,3 cm. Ausschnitts R
und Remus; Susanna und die beiden
Athena und Chariklo; Poseidon; Remu
König Numitor vorgeführt
Anmerkungen 31-46
"Festschrift Erich Meyer, Hamburg 1959, s. 22
Straubinger Hefte Nr. 1a, Straubing 196a, s. s n.
"Ch. Scherer, Elfenbeinplustik seit der Ren:
Leipzig 1905, s. 60. - Kat. Berliner, Nr. 132 (nl
egen Mitte 17. Jahrh. Van einenr Nachfolg
ngermairs").
11 Kat. Berliner, Nr. 139, 140. lrr5üddeutschlal
164a"). - Weihrauch, a. a. 0., 196a (Anm. a1
14 Kat. Berliner, Nr. 133 (nMiinehen. Mitte des 17. .
"Kot. Berliner, Nr. 232-224, Nr. 406-413, - lnv.
270-273.
"Münchner Jahrburh der bildenden Kunst, 3. F61;
1967, S. 251. - s. Asche, Balthasar Permaser
garzzäkskulpturen des Dresdner Zwingers, Frankfl
v Kat. Berliner, Nr. 265 („Wahrsdieinlidi Belgien. 1
17. Jahrh.").
1' Pantheon lx, 1932, s. 40.
1' ch. Theuerkauff, An ivory carving of Jud
Holofernes and the wark of lhe Muster s. e.
Register ot the Museum of Art. The University of
lawrence, Kansas, Vol. lll, Nr. 576, 1966, s. 2 ff.
t" Kot. Berliner, Nr. 221, 223, 272, 273.
" Kot. Berliner, Nr. 252-255, 257.
41 Kot. Berliner, Nr. 256-261.
4' Knt. aerliner, Nr. 262, 263.
M Kat. Berliner, Nr. 47a.
45km. Berliner, Nr. 476. - Europäische Barockplc
Niederrhein, Gru ello und seine Zeit. Auss
katalog Düsseldar 1971, Nr. 116.
4' Ch. Theuerkauff, Der „l-lelirenlseinerlreirer" i;
hafen. In: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte,
196a, s. 92 n.