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Volltext: Alte und Moderne Kunst XVII (1972 / Heft 123)

die Bilder zur oimson-uescnicnte in HOIZ zu 
schneiden hatte, hielt er sich weitgehend an das 
Dürer-Blatt. 
Bei weiterer Verfolgung von Cranachs Holz- 
schnittwerk zeigt sich, daß auch ein klassischer 
Stoff, wie die Darstellung des Paris-Urteiles von 
1508 (Abb. 7), ganz im Gegensatz zu Cranachs 
malerischem Schaffen in unklassisch mittelalter- 
licher Auffassung des antiken Sagenstoffes wie- 
dergegeben wird. Der troianische Held lehnt als 
börtiger, mittelalterlicher, sächsischer Ritter am 
nördlich-heimatlichen Baum, der phantastisch 
gepanzerte Hermes gemahnt eher an ein Wo- 
tansbild denn an den griechischen Gott, und 
auch die nackten Göttinnen entsprechen in ihren 
Bewegungen bei allem Bemühen um plastische 
Wirkung im neuen klassischen Sinn durchaus 
alten Vorstellungen. Dazu kommt die romanti- 
sche, echt mittelalterliche Landschaft mit krausen 
Büumen, Felsen, Bergen und Burgen, und der am 
Boden liegende, mit Federn reich geschmückte 
Helm des Paris, der das bizarre Baummotiv in 
der Art der Darstellung der Federnpracht in die 
Mitte des Vordergrundes zieht und so das volle 
Einbinden der Figuren in eine reiche, sehr ro- 
mantische Landschaft gewährleistet. 
Wenn nun selbst der klassische Stoff Cranach 
aus seiner traditionellen Gebundenheit der Do- 
nauschule nicht zu lösen vermochte, so müssen 
die den Künstler vor allem beschäftigenden re- 
ligiösen Stoffe erst recht seine Erzählfreude, 
seine Liebe zur Landschaft erweisen. So zeigen 
denn auch der Holzschnitt mit der Buße des 
heiligen Hieronymus (Abb. 10) und der Kupfer- 
stich mit der Buße des heiligen Chrysostomus 
(Abb. 9) voll seinen Hang zum Reichen in den 
Naturbildungen, zum Krausen, Bizarren und 
Phantastischen. Den Menschen, der ganz in eine 
romantische Landschaft eingebunden ist, dessen 
Aktionen aus der Landschaft zu kommen schei- 
nen. Fast scheint es, als erfasse Cranach die 
Figuren als etwas Pflanzliches und entwickle ihr 
Handeln aus der sie umgebenden Natur. Ge- 
rade darin aber liegt das Persönliche seines 
Stiles. Er war der erste, der der deutschen Kunst 
die eine Figur umschließende Landschaft ge- 
schenkt hat, damit ist er über den für ihn sonst 
so bindenden Dürer hinausgewachsen. So darf 
es auch nicht verwundern, daß der Künstler, der 
ansonsten durch die zahlreichen Aufträge des 
von kulturellem Ehrgeiz erfüllten Friedrich des 
Aufgaben gesreiit war, in aer immer VOtKSlUrn- 
lich gebliebenen druckgraphischen Technik seine 
persönliche Leistung zu wahren suchte. 
Cranachs Leidenschaftlichkeit und Erregtheit in 
der Schilderung, seine Freude an einer Erzcih- 
lung mit aller Wildheit und Derbheit, alles 
Eigenheiten, die nicht nur wiederum dem Donau- 
stil entsprechen, sondern das notwendige Ge- 
gengewicht des Ausdrucks in der Figur zu den 
bizarr-romantischen Landschaften geben, be- 
stimmen auch die um 1512 entstandenen Apostel- 
martyrien (s. u. 11). Damit aber wird die Span- 
nung zwischen dem derb volkstümlichen Holz- 
schneider Cranach und dem höfisch elegant 
arbeitenden Maler Cranach immer stärker 
wirksam. Und darin liegt wohl auch der Grund, 
weshalb Cranach zum entscheidenden Künstler 
der Wittenberger Reformation werden konnte. 
Denn Luther bedurfte nicht eines höfischen 
Manieristen zur Illustration seiner Texte, son- 
dern eines Mannes, der im Bild ebenso derb 
und kräftig zu polemisieren vermochte, wie er 
selbst im Wort. 
Martin Luther erkannte den pädagogischen Wert 
des Bildes im Dienste seiner Ideen, zu deren 
Veranschaulichung ihm vor allern Holzschnitte 
und Buchillustrationen geeignet erschienen, und 
fand in Cranach einen kritiklosen lllustrator, 
einen Künstler, der durch seine traditionelle er- 
zöhlfreudige Druckgraphik die Seele des deut- 
schen Volkes anzusprechen wußte. 
Der betont illustrative Charakter von Cranachs 
Holzschnitten kam polemischpropagandistischen 
Blättern ebenso zugute wie den dem vorgege- 
benen Text untergeordneten Kompositionen zur 
Darlegung der neuen, gereinigten Lehre. Wie sehr 
sich Cranach in den Dienst der Reformation 
stellte und bereit war, mit seinen Bildern heftig 
gegen Rom zu polemisieren, zeigt das Blatt der 
Vermessung des Tempels (Abb. 13) aus der Folge 
der Apokalypseillustrationen, ein verkleinerter 
Nachschnitt aus Cranachs Werkstatt von iener 
gleichen Szene, die er selbst für das 1522 bei 
Melchior Lotther erschienene „September"- und 
„Dezembertestament" zeichnete. Kompositorisch 
lehnt sich dabei Cranach wiederum an das 
große Vorbild Albrecht Dürer an, in diesem Fall 
an dessen Apokalypse, die ihrerseits wiederum 
iener Zeit entstammt, die für Cranach die ent- 
scheidende ist, nömlich der Zeit vor 1500. Wäh- 
rend iener aber tatsächlich den Offenbarungs- 
13 
um 1512. 16,3 x 12,6 cm. Österreichische 
seum für angewandte Kunst (lnv.-Nr. K. l 
[421393411]. (Abb. mußte aus techn. Gründe 
fallen. 
Verwendet in: „Das Symbolum der Heiligen A; 
darin der Grund unseres Christlichen Glaubens gelei 
Ausgelegt durch Dr. Martin Luther, 154a. (Erste x 
dung: Wittenberg, Georg Rhau, 1539.) 
Lit.: Bartsch, Vll, 37-48; Dod son, Catalo ue ll, S. 
91-102 und 91a-102a, sowie  335, 13; ollstein, ( 
Engravings. . ., Vol. Vl, S. 36 f., Nr. 53-64; Dorri 
H., Albrecht Dürer und die Graphik der Reformatii 
Schriften der Bibliothek des Österreichischen M 
für angewandte Kunst, 2, Wien 1969, S. 44 ff., l 
12 Lucas Cranach d. Ä., Monstranz mit C 
am Kreuz. Holzschnitt. 13 u; 7 cm. A: 
Rückseite des Blattes der heilige Bernhai 
dem Schmerzensmann mit_Monogramm 
gelte Schlan e auf der Steinbank] B. 57. 
reichisches useum für angewandte Kunst 
Nr. K. I. 1751 Ä128l6]. 
Lit.: Bartsch, Vll, B -, Dodgson, Catalogue ll, S. 2 
Hollstein, German Engravings . . ., Val. Vl, S. 53, l 
Dornik-Eger H., Albrecht Dürer und die Graphik ( 
tormationszeit, Sdiriften der Bibliothek des Uste 
schert Museums für angewandte Kunst, 2, Wien 1969 
Nr. 61. 
13 Lucas Cranach d. A., Vermessung des Te 
Cranach-Werkstatt. Holzschnitt aus der 
der Apokalypseillustrationen. Verwendi 
Biblia, das ist die gantze heilige 
deutsch... Nürnber , Johann von Berg 
Ulrich Neuber, 1560. sterreichisches Muse 
angewandte Kunst (lnv.-Nr. B. I. 8315 [B 
Verkleinerter Nadisctinitt der gleichen Szene au 
1522 bei Lotther erschienenen „Dezembertestament". 
Lit.: Dodgson, Catalogue ll, S. 330, 23; Hollstein, t 
Engravings . . ., Vol. Vl, s. 2a i., Nr. sog-i. Dornik-E 
Dürer und die Graphik der Retormationszeit, Schrif 
Bibliothek des Österreichischen Museums für ange 
Kunst, 2, Wien 1969, S. 4B ff., Nr. 62. Dort auch die 
Literatur zu Cranachs Bibelillustrationen. 
14 Titelblatt zu „Die l Propheten alle De 
Doct. Mart. Luth. Wittenberg, Hans Lufft 
L. Cranach d. J. Holzschnitt. 30,1 x 20 
Erstmals verwendet in der zweiten Witt 
er Gesamtausgabe der Lutherbibel von 
ästerreichisches Museum für angewandte 
[lnv.-Nr. K. l. 1754 65l25]). 
Lit.: Passavant, Vl, S. 2 , 42 t; Dadgson, Catalo 
S. 339, 2, sowie 341, B; Sdiramm, S. 3B, Taf. 227 
Thulin O., Cranach-Altäre der Reformation, S. 
Abb. 178; Dornik-Eger H., Albrecht Dürer und die ( 
der Refarmatianszeit, Schriften der Bibliothek des 
reichlichen Museums für angewandte Kunst, 2, Wie 
S. 51 ff., Nr. 64 

	        
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