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Internationale Sammler-Zeitung
Nr. 6
rischen cdcr antiquarischen. Die erste Ausnahme
scheinen die Valois gemacht zu haben, die trotz der
Ungunst der Zeiten Frankreich zur Führerin in der
Wissenschaft und den schönen Künsten machten.
Schon König Johann den Guten (1320 bis 1346)
rühmte man als Bücherfreund und Sammler, und seine
vier Söhne wurden in ihren Residenzen zu Paris, Angres,
Bourges, und Dijon zu den großen Kunstmäcenen
ihrer Zeit. Aber auch unter ihnen zeichnete sich der
Herzog Jean de Berry durch eine Sammelleiden
schaft aus, die oft über seine Mittel hinausging und
ihn in solchen Fällen selbst zu Erpressungen bei seinen
Untertanen verleitete. Denn wenn auch seine Brüder
in ihren Palästen und Palastkapellen viele Kunst
werke anhäuften, so dienten diese doch fast ausschließ
lich zu ihrem, persönlichen Gebrauche und zum. Schmuck
oder zur Ausstattung der Räume und fielen damit
unter den Begriff jenes Inventars, das die Italiener als
„guarda roba“ bezeichneten. Dagegen ist Jean de Berry
der erste Sammler in modernem Sinne. Leiderkennen
wir heute den weitaus bedeutendsten Teil seiner Reich-
tümer nur noch aus den glücklicherweise sehr genau
abgefaßten Inventaren. Denn kurze Zeit nach 1416,
als der sechsundsiebzigjährige Greis in die Gruft gelegt
worden war, wanclerte unter dem Drucke einer schweren
Zeit alles, was eingeschmolzen weiden konnte, in die
königliche Münze, und es blieb von dem Kunstbesitze
nur das übrig, was er seiner beiden Erbtöchtern zuge
sandt hatte.
Berrys Sammlung umfaßte nicht nur wirkliche Anti
ken, vor allem Gold-- und Silbermünzen, sondern auch
griechische Gefäße, Erzeugnisse der spätrömischen
Silberindustrie ur.d geschnittene Steine; darunter aber
auch schon die ersten Fälschungen antiker Kunst
werke. Sodann von den bedeutendsten Künstlern seiner
Zeit illuminierte Prachthandschriften, vor allem das
von seinen Lieblingen, den Brüdern von Limburg,
gemalte Gebetbuch, sodann kostbare Steine und wert
volle Perlen, Golds,chmiedearbeiten und allerlei Erzeug
nisse der Kleinkunst, wie künstliche Uhren, kostbare
Spielbretter, juwelenbesetzte Tintenfässer, Wärm
flaschen aus Gold usw. Waffen waren dagegen nur. vor
handen, soweit es sich um Raritäten handelte; dagegen
zahlreiche Parfüms, wie Moschus, Ambra, Räucher
pulver in Gefäßen, welche die Gestalt von Vögeln,
Bären, Schafen und der Königslilie hatten, zwei Säcke
mit Azurfarbe, der geschätztesten, die es damals gab,
aus gepulvertem Lapislazuli, sowie vier Einhörner
als Geschenke des Papstes Johannes XXII., die,
wie wir schon vernahmen, das Gift erkennen ließen
und besonders geschätzte Heilwirkungen hatten. Dazu
kam ein kleines Naturalienkabinett mit allerlei Kurio
sitäten, den sogenannten Wundern, wie Straußeneier,
Schlangenkiefer, Stachelschweinborsten, Eberzähne
rrsw. Verwandt damit waren die Erzeugnisse fremder
Länder, wie Paternoster aus Seemuscheln, Schalen und
Töpfe aus „porcelaine“, und schließlich bildeten den
Schluß eine Art von kirchlichen Seltenheiten, wie das
Evangelium Johannes, auf Pergament in der Größe
eines Silberstückes, geschrieben, das Hemd unserer
Lieben Frau von Chartres, der Becher Jaus dem Christus
auf der Hochzeit zu Kana trank, Gebeine der unschul
digen Kindlein usw. Wir sehen daraus, daß sich seinem
Wesen nach der Inhalt dieser Privatsammlung nicht
unterschied von dem, wie ihn auch die Kirche aufbe
wahrte. Der große Unterschied bestand nur darin, daß,
während letztere nur besaß, was ihr mehr oder weniger
der Zufall brachte, hier ein Mann zum erstenmal mit
Aufwand seines ganzen Vermögens sich als Lebens
aufgabe stellte, von allem dem das Beste zusammen-
zubrirgen, was den Vornehmsten seiner Zeit als be-
sitzenswert galt.
Demgegenüber trugen selbst die Sammlungen der
burgundischen Herzoge, deren Inhalt uns wenigstens
zum Teil aus der Schlachtenbeute mit Karl dem
Kühnen bekannt geworden ist, ebenso wie die von
Fürsten anderer Länder noch den Charakter der mittel
alterlichen Schatzkammern und können darum nicht
als weitere Entwicklungsstufe des Sammlungswesens
angesehen werden. Erst in den großen Kunst- und
Wunderkammern deutscher Fürsten, vor allem der,
die Erzherzog Ferdinand von Tirol auf Schloß Ambras,
anlegte, fand Jean de Berry seine würdigen Nach
folger. Doch fallen alle diese Bestrebungen schon in
die Zeit der Renaissance und damit außerhalb des Zeit
raumes, dessen Sammeltätigkeit hier geschildert werden
' sollte.. Betrachten wir diese in ihrer historischen Ent
wicklung, so ergibt sich, daß sie im spätem Mittel-
alter ungefähr wieder die gleichen Materien umfaßte
wie im Altertum und daß demnach ein wesentlicher
Fortschritt während Jahrhunderten nicht erzielt worden
. war. Den Grund dafür dürfen wir wohl in dem Fehlen
eines wissenschaftlichen Interesse^ an den gesammel
ten Schätzen suchen, das allein imstande gewesen wäre,
zur Erkenntnis des wirklich Wertvollen und für die
Förderung der kulturellen Entwicklung der Menschheit
Bedeutsamen zu führen. Dieses Bestreben machte sich
zuerst in dem Lande geltend, wo man am frühesten
auf eine reinliche Scheidung des Wissenswerten von
dem Romantisch-Phantastischen ausging, in Italien.
Darum kamen auch diese Wunder- und Raritäten
kammern dort nie zu einer Bedeutung. Dafür baute es
aber den Inhalt seiner Naturalienkabinette, in welchen
. den Raritäten und dergleichen stets ein abgesonderter
Platz und eine untergeordnete Bedeutung eingeräumt
wurde, mehr und mehr nach wissenschaftlichen Grund
sätzen aus und verwies die Altertümer und Kunst
werke in die sogenannten Garderoben. Da sich ein
dahinzielender Einfluß mit der Zeit auch diesseits der
Alpen fühlbar machte, kann es nicht befremden, wenn
wir noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts auch die
kleinsten Naturalienkabinette in unserm. Lande und
anderswo nach wissenschaftlichen Grundsätzen geordnet
finden, während sich der Inhalt der Altertumssamm
lungen, mit alleiniger Ausnahme der Münzen, noch nicht
wesentlich von dem. unterschied, wie wir ihn in den-
Kunst- und Wunderkammern am Ende des Mittel
alters kennen lernten.
Chronik.
Bibliophilie.
(Die Bücherauktion bei Paul Graupe.) Aus Berlin
wird uns geschrieben: Die Bücherauktion, die Paul Graupe
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auch überaus lebhaft und die Preise waren dementsprechend
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sehen Bleistiftskizzen erzielt. M 2330 brachte Blaens Atlas
ni derländischer Städte, M 2150 J. Joungs Serie türkische*