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Volltext: Alte und Moderne Kunst XVII (1972 / Heft 124 und 125)

Künstlers versehen ist und versehen sein muß. 
Es ist geradezu ein Vergnügen, mit den Fingern 
tastend in die Kaschauerische Faltenprägung ein- 
zudringen und dort die konsequente naturali- 
stische Virtuosität wahrzunehmen. Diese Virtuosi- 
tät entbehrt der Technischen Übersteigerung des 
Stils des letzten Drittels des 15. und ersten Drit- 
tels des 16. Jahrhunderts; sie betrifft einzig und 
allein die charakteristischen Merkmale Kasch- 
auerischer Stilprägung: kräftig und markant legt 
sich der Stoff in seine gewollte, modellierte 
Form, alle Höhen und Tiefen, alle Überschnei- 
dungen, alle Umkehrungen sind ganz präzise 
und exakt der Natur nachgebildet, die Veriün- 
gungen nach rückwärts zu ausgewogen und 
durchdadtt, es gibt keinen Fehlschnitt und kei- 
nen Kompromiß, wenn auch das Gras der Falten 
der künstlerischen Phantasie entspringt. 
Das Erkennen aller dieser Merkmale beruht auf 
dem menschlichen Auge, welches angesichts 
einer der genannten monumentalen Mariendar- 
stellungen die Tiefenwirkung und das gesamte 
konstruktive Gepräge körperlich erfassen kann. 
Die Eigenhändigkeit einer Kaschauerisdwen Ar- 
beit auf Grund von Photographien zu bestimmen 
wird daher immer einen Unsicherheitsfaktor of- 
fenlassen, zumal die starke Verkleinerung und 
die individuelle Ausleuchtung in der Regel dach 
nur imstande sind, den Stil, aber nicht die Hand 
des Meisters wiederzugeben. 
Zu Beginn der fünfziger Jahre unseres Jahrhun- 
derts fand sich in einer Privatkapelle in Wallsee, 
Oberösterreich, das früheste der bis ietzt wieder 
aufgetauchten Hauptwerke unseres Meisters. Die 
Skulptur stammt nach glaubwürdigen Angaben 
des ursprünglichen Besitzers aus Purgstall an der 
Erlauf, Niederösterreich (Erbauungszeit der goti- 
schen Pfarrkirche 1412-1450), von wo sie laut 
Überlieferung zur Rettung vor den napoleoni- 
schen Plünderungen auf einem Ochsenkarren in 
ein Versteck nach dem Fundort gebracht, aber 
niemals mehr retourniert wurde. Sie befindet sich 
heute im Metropalitan Museum of Art, New 
Yark (Abb. 1, 4, 7)f. Die PURGSTALLER MA- 
DONNA repräsentiert als frühestes erhaltenes 
Werk des Meisters schan den voll ausgeprägten 
Kaschauerischen Stil mit all seinen genannten per- 
sönlichen Eigenheiten. In der Grundkonzeption 
zeigen sich aber noch am deutlichsten die An- 
klänge an die vorangegangene Epoche des Wei- 
chen Stils: Die S-Krümmung mit dem geneigten 
Kapf, das vorgewölbte Becken und die nach be- 
sonders reiche Detailausführung gehen konform 
mit ihrem idealisierten Gesicht der Schönen Ma- 
donnen und dem noch unproportionierten Jesus- 
kind. Ein Vergleich mit der Freisinger Skulptur 
überzeugtuns van dergleichen Autorschaft. Kasch- 
auers Stil ist bereits voll zum Durchbruch gekom- 
men, alle seine persönlichen Eigenheiten sind 
vorhanden, aber doch spürt man die Jugend des 
Meisters, dessen Schaffen die ldealisierung an- 
haftet. Die Durcharbeitung sämtlicher Stoffpar- 
tien verrät noch die Freude am Detail: sorg- 
fältigste Behandlung der Säume, das Kopftuch 
ist mit Fischgrätmuster belebt. Die Falten sind 
extrem tief geschnitten. Die kommende Groß- 
zügigkeit in der Gesamterscheinung ist schon 
da, aber in der Fülle der modellierten Falten- 
partien steckt noch die extreme Ubersteigerung 
der hier umgeformten Kaskadenfalten. Es wäre 
angesichts dieses so hoch qualitätvollen Wer- 
kes, das schon alles beinhaltet, was über den 
18 
haben und selbst diese Jahreszahl als Weihe- 
datum wohl zwei oder drei Jahre nach der 
eigentlichen Schöpfung liegen muß, ist die Ent- 
stehung der Purgstaller Madonna mindestens 
ein Jahrzehnt früher anzusetzen, also in den 
Beginn der dreißiger Jahre. Hier kommt nun des 
Meisters grundlegende künstlerische Bedeutung 
voll zum Ausdruck. Hatte dodt um diese Zeit 
der Weiche Stil gerade seinen extremen Höhe- 
punkt überschritten. Neben diesem schöpferi- 
schen Vorausblick beweisen die raffinierte Tech- 
nik und Sorgfalt des bildhauerischen Könnens 
auch noch ganz deutlich das Jugendwerk des 
Künstlers: nach hatte er nicht die Berühmtheit 
erlangt oder genügend Aufträge, um zum Rou- 
tinier zu werden. 
Stilistisch knapp vor der FreisingerMadonna steht 
nun ein weiterer Fund aus den beginnenden fünf- 
ziger Jahren unseres Jahrhunderts, die HAlN- 
BURGER MADONNA (Wien, Privatbesitz) [Abb. 
2, 5, 8]'. Sie wurde in einem Weinhauerhaus 
in Hundsheim entdeckt und in den ersten vor- 
sichtigen Zuschreibungen in verschiedenen Ver- 
öffentlichungen unter dem Namen „Hundsheimer 
Madonna" bekannt. Nach der Überlieferung wa- 
ren es die Türken, die das Gnadenbild am Hoch- 
altar der gotischen Pfarrkirche zu Hainburg mit 
Säbelhieben beschädigten, wobei als stärkste 
Einbuße die Nase der Maria sowie Kopf und 
Schulter des Jesuskindes verlarengingen. Die 
dilettantische Hand eines Barockbildhauers er- 
gänzte diese Teile stilistisch widersinnig und in 
Weichholza. 1953 kam die bedeutende Skulptur 
nach einer unvollständigen Restaurierung durch 
das Denkmalamt ein Jahrzehnt als Leihgabe 
vorübergehend in die Hundsheimer Pfarrkirche, 
um darauffolgend einer gewissenhaften Frei- 
legung und Rekonstruktion unterzogen zu wer- 
den. Erst die gründliche Entfernung sämtlicher 
späterer Zutaten und Ergänzungen brachte das 
eigenhändige, kraftvolle Meisterwerk Jakob 
Kaschauers ans Tageslicht. 
Die stilistische Fortentwicklung zur Freisinger 
Madonna hin ist in diesem Exemplar bereits in 
einem Maß erfolgt, daß man die beiden Skulp- 
turen, abgesehen von der Mondsichel, dem 
Mondgesicht und der Wolkenbank, auf der die 
Hainburger Maria ruht, im ersten Augenblick als 
identisch bezeichnen könnte. Das einzige sofort 
auffallende Kriterium ist der weniger strenge, 
immer noch idealisierte Gesichtsausdruck Ma- 
riens. Angesichts der Originale überzeugen aber 
sofort die gehobenere technische Sorgfalt und 
die markanter geschnittene, typische Faltenge- 
bung des Meisters, also die präzisere Ausfüh- 
rung, daß es sich hier um ein Bindeglied zwi- 
schen der Purgstaller und der Freisinger Ma- 
donna handeln muß. In ihrem Gesamteindruck 
steht die Hainburger Skulptur der vorangegan- 
genen Stilepoche deutlich näher, und wir können 
daraus folgend mit Sicherheit annehmen, daß 
sie der Stifter des Freisinger Hochaltars, Nika- 
demus della Scala, in der Wiener Bildhauer- 
werkstätte gesehen und auf Grund seines Ein- 
druckes dem Meister den Auftrag für den Frei- 
singer Altar erteilt hat. Urkunden konnten bis 
heute keine gefunden werden, da aber die Ent- 
stehungszeit zwischen der zweifellos früheren 
Purgstaller Schöpfung und der datierten Frei- 
singer begrenzt ist, zur letztgenannten aber doch 
ein spürbarer Abstand besteht, können wir die 
Anmerkungen 6-8 
f Lindenholz, Höhe mit Krone 185 cm, ohne Krone 
rüdtseitig ausgehöhlt, sorgfälti von zahllosen 
fassungen und Ubermalungen irsigdtegte urspr 
Fassung, die Vergaldun des Mantels vor einer 
ken Neuvergoldung grö tenteils mechanisch entfe 
nur in den Tiefen und an einzelnen Partien l 
erhalten, iedach komplett vorhandene Original; 
rung. Uberschläge blau, lnkarnat von Übermolun 
bis auf eine nicht sehr ebene Schichte des 17. c 
Jahrhunderts freigelegt, da die Originalfassung l 
die Lenden des Kindes erhalten war, weil di 
später hinzugefügtes Leinentüdtlein schützte. Dia 
etwds zu groß ergänzt, Sockelplatte und gesam 
tenaufstoli waren abgeschnitten und wurden aus 
schert Gründen von einem hervorragenden F: 
rekonstruiert. Ansonsten in perfektem, unberührtt 
ginalzustand ohne iigendwelche Beschädigungen. 
LiL: Die Gdtik in iederösterreich (Jaset Zykun] 
1963, Abb. 91, 92. 
7Nußbaumholz, Höhe mit Krone 175 cm, rückseit 
Eehöhlte, dlfß, übergangene Vergoldung am Mante 
berscltläge, arrt Unterkleid nur die ursprün licht 
dierung erhalten. Reste des lnkarnats ges los: 
gänzt: Krone, Nase, Kinnspitze Mariens, Ober 
Jesusknaben, Ärmelschlaufe unterhalb des Kindes 
sentlidte Saumscharten. Abgesehen von diesen Folg 
absichtlichen Zerstörung in allen Teilen in hervorrat 
unberührtem Originalzustand. 
LiL: Leopoldine Muckenhuber (in: Unsere Heim 
11112, 1954]: Zwei Holzplastiken in niederösterr. 
besitz. 
Josef Zykan: in „Osterreidtische Zeitschrift füt 
udltgenkmalpflege", Heft 1, 1961: Serie 31ff., Ä 
derselbe: Die Gatik in Niederösterreich, Krem 
Ausstellungskatalog, Nr. 181; 
derselbe: Die Gotik in Niederösterreich, Wie! 
Abb. 90. 
D. Radacsay (in: Acta Histariae Artium, Budapes 
Der Hochaltar von Kaschau und Gregor Erhart, Ab 
'Wahl während der Säkularisierung unter Josef 
der Pfarrkirche entfernt, fand das vielfach ül 
und mit derben Ultarben überstrichene Obiekt l 
Jahre 1906 seinen neuen Aufstellungsort hinte 
Glaswand am Gangende im alten Bezirksgeridtt ' 
der Kirche am Kirchplatz von Hainburg. Grat t 
kirchen, Besitzer eines Gutshofes in Hundsheim, 
dieser Zeit dortselbst eine Klosterschule für 
kinder gestiftet, welche von drei geistlichen Scf 
betreut wurde. Für die dazugehörige Hauskape 
die Madonna als Gesdtenk gedacht, ist iEdC 
den unverständigen Schwestern nidtt angenommt 
den, So wurde das Obiekt unter den Stiegen- 
zur Färsterwohnung gestellt, aus Pietätsgründt 
einem Nachbarn in letzter Minute Vor der Zet 
gerettet und bis zu seiner Wiederentdednung 
einem Frivatraum untergebradtt.
	        
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