Wilhelm Holzbauer
Zwei Kunstzentren -
Centre Beaubourg, Paris
Kunstzentrum Salzburg
Das „Centre Beaubourg", Paris
ln der Errichtung von Kunstzentren sieht der
moderne Staat ein wichtiges Mittel, die
latente Krise unserer Gesellschaft zu bekämpfen.
In unserer Essay-Gruppe zeigen wir das größte
derartige Projekt, das Centre Eeaubourg
in Paris. und stellen es einem regionalen öster-
reichischen Projekt lür die Stadt Salzburg
gegenüber. Dort wird seitJahren die Verwirklichung
eines solchen Unternehmens diskutiert.
Aus den verschiedenen Ideen dazu zeigen wir
die Pläne von Wilhelm Holzbauer, ohne
damit selbst Stellung zu beziehen. Denn es
wird nach manche Debatte darüber
geben, ob dieser überraschend harmonische und
vielseitige Einbau in den historischen
Mirabellpark Wirklichkeit werden kann oder
ob man einer anderen Lösung- etwa
im Mönchsbergfelsen nach dem Projekt Gerhard
Garstenauers- schließlich den Vorzug geben
wird. Eine piranesiartige Felsenhähle mit ihrem
kreativen Ambiente würde jedenfalls
keine Fassadenprableme aufwerfen. Auch die
Funktionen werden noch endgültig zu
prüfen sein, damit jede zu starke Steuerung, jede
überkünstelte Atmosphäre vermieden wird.
Das schöpferische im Menschen ist eine
emplindsame Pflanze, die durch zuviel Dünger
Schaden leidet. (Unwillkürlich denkt man
an die alte Geschichte vom reichen und vom
armen Kind: Gelangweilt und unglücklich
das eine inmitten seines kostbaren Spielzeugs,
hingebungsvoll und schöpferisch mit
Holzscheiten spielend das andere.) Doch der
moderne Staat muß es wagen, die soziologische
Krisensituation {ordert es. Wir danken
Herrn Landesrat Dr. Herbert Moritz für seinen
grundlegenden, abschließenden Beitrag
und wünschen Salzburg eine weise und
erfolgreiche Entscheidung.
Der Herausgeber
Im Folgenden werden zwei Projekte dargestellt,
welche auf den ersten Blick kaum etwas anderes
gemeinsam haben als die Tatsache, daß in diesen
Gebäuden Aktivitäten und Funktionen ähnlicher
Natur ihren Platz finden.
Umfang und Maßstab dieser Projekte sind ander-
seits von einer grundsätzlichen Verschiedenheit.
Obwohl nicht zu verkennen ist, daß beide Pro-
jekte ein echtes Bedürfnis zu erfüllen haben, so
kann anderseits nicht übersehen werden, daß
im Falle des „Centre Beaubourg" Präsident Pom-
pidous brennender Wunsch nach einem großen,
repräsentativen Gebäude erfüllt werden soll,
das seine Regierungszeit zu markieren hat. Es
soll deshalb auch bis 1975 eröffnet sein.
Der große internationale Wettbewerb wurde
gerade zum Zeitpunkt der Zerstörung der be-
rühmten „Les HaIles" gestartet und sollte wahl
diese katastrophale Entscheidung etwas mildern.
Tatsächlich wurden ja die „Hallen" seit der Auf-
lassung des Detailmarktes für Aktivitäten benützt,
welche dann genau im Bauprogramm für das
Centre Beaubourg wiederaufgenommen wur-
den. In diesen paar Jahren seit der Auflassung
der ursprünglichen Funktion erlebten die „Hal-
len" einen magischen Moment als eines der
lebendigsten und vitalsten kulturellen Zentren
unserer Zeit.
Jedoch - die „HaIlen" mußten weg, um einem
jener megalomanischen Projekte Raum zu geben,
welche wohl in der Tat die gaullistische und
nach-gaullistische Ära markieren werden: Die
vier- und sechsspurigen Stadtautobahnen entlang
der Seine, das Gebiet um „La Defense" mit
seinen maßstablosen Wolkenkratzern und eben
die riesige Plattform, welche das ganze Areal
der früheren „Les Halles" einnehmen wird, mit
gigantischen unterirdischen Einkaufszentren, Ga-
ragen, Kongreßsälen usw.
Es spricht jedoch für den Wettbewerb, daß aus
ihm ein Projekt hervorgegangen ist, das ver-
spricht, ein Bauwerk hoher Qualität zu werden
und die Offenheit und Vielfältigkeit der Möglich-
keiten zu bieten, welche auch den „Hallen" eigen
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waren. Es soll hier mit den Worten eines der
Architekten, Richard Rogers, beschrieben werden:
„Wir möchten unser Gebäude so aufgefaßt
sehen, daß es adaptiansfähig ist und von den
Leuten, die es benützen werden, verändert wer-
den kann. Wir wollen keine Architektur, welche
eine Art Zwangsjacke für eine besondere Idee
ist. Wir wollen, daß die äußere Erscheinung die
Aktivität in Gebäude reflektiert (große Projek-
tionen, beweglicheWände,technischeSpielereien,
welche den Wechsel unterstützen), und wir möch-
ten die größtmögliche Teilnahme des Publikums
hervorrufen.
Die Dinge wechseln ohnedies dauernd - Häuser,
Fabriken werden morgen Museen - vielleicht
wird eines Tages unser Museum ein Supermarkt.
Wir wollen eine lase Infrastruktur machen, in
welcher die Menschen sich bewegen können,
leben, essen, sich vergnügen, Dinge tun und,
wenn notwendig, Entscheidungen treffen, welche
das Gebäude verändern können."
Es ist hier anzumerken, daß in den letzten Sätzen
ein Gedanke zum Ausdruck kommt, der bei den
Architekten momentan sehr en vogue ist: das
total veränderbare und adaptionsfähige Ge-
bäude.
Daß die Realitäten anders beschaffen sind, als
sie vorauszusehen sind, zeigt am besten das
Beispiel von „Les Halles", welche in besonderem
Maße geeignet waren, alle jene Aktivitäten auf-
zunehmen, für welche nun ausgerechnet das
eben beschriebene Gebäude errichtet wird und
welche nun doch aus Prestige- oder politischen
Gründen abgerissen werden - trotz aller Multi-
funktionalität, welche diesen vor etwa 100 Jahren
von dem Architekten Balturd errichteten Bauten
zweifellos innewohnte.
Bei der öffentlichen Diskussion anläßlich der
Bekanntgabe des Wettbewerbsergebnisses fiel
deshalb auch der Einwand gegen das preis-
gekrönte Projekt, man hätte gleich die Hallen
stehenlassen können, da diese denselben Grad
von Flexibilität bieten würden.
Das Hauptgebäude umfaßt beinahe zehn I
Bodenfläche. Es soll täglich von ca. 10.000
schen besucht werden und beherbergt
einem Museum und einer großen öffeni
Bibliothek Ausstellungsräume für aktuell
Iässe, temporäre Ausstellungen, eine Expe
tiergalerie, ein Zentrum für akustische und
kalische Experimente (das den zu den
Yorker Philharmonikern abgewanderten Kt
nisten und Dirigenten Pierre Boulez wiedei
Paris zurückbringen soll), weiters Film-
Theatersöle, ein Restaurant usw.
Die einzelnen Stockwerke sind innerhal
ca. 50 Meter großen Spannweite vallka
stützenlos. Dies wird dadurch erreicht, da
vertikalen Strukturen, Versorgungseinricht
und der Publikumsverkehr zwischen den i
nen Geschossen auf die Außenseite des G
des beschränkt bleiben.
Die Funktionen des Gebäudes selbst finc
dem angeschlossenen platzartigen Freiraur
natürliche Fortsetzung. Hier sollen tern;
Ausstellungen, Information, Konzerte, St:
theater, Paraden usw. stattfinden. Diese,
den Aktivitäten entlang dem Rand des PI
wie Läden, Cafes, Restaurants, Kinderspiel
usw., sollen das Centre Beaubourg mit den
der Stadt verbinden. Die auf den Platz geri
Fassade bietet überdies in Form von L
schriften, Film- und TV-Transparenten st
wechselnde Information, News, Filme usw.
1 „Centre Beaubourg, Paris". Architekten
+ Rogers + Arnp. Preisgekrönter Wettbe
entwurf, 1971
2 „Centre Beaubourg, Paris". Situation im
bild - Weiterentwicklung des Wettbe'
projektes