Kurt Rossacher
Die Kunst,
mit der Kunst zu leben
Nicht vom Kunstsammeln, vom sorgfältigen Auf-
bau einer Spezialkallektion, soll hier die Rede
sein; auch nicht von ienen „Kunstfreunden", die
ohne eigene Beziehung Kunstwerke nur erwer-
ben, um ihrem Ambiente für den Besucher
repräsentative Wirkung zu verleihen, um Kultur
vorzutöuschen; am allerwenigsten aber von je-
nen Ansammlern, die lediglich ihr Geld in
werterhaltenden Valoren anlegen wollen. Wir
wollen van jenem eigenständig künstlerischen
Streben sprechen, sich mit Kunstwerken zu um-
geben, die man erlebnishaft geistig vollkommen
erworben hat; von ienem „Gesamtkunstwerk"
soll die Rede sein, das im Milieu des Kunstfreun-
des entstehen kann und aus welchem die Per-
sönlichkeit des Besitzers, die kulturhistorische
Eigenart seiner Epoche, ihre ldeale und soziolo-
gischen Bezüge sichtbar werden (wobei durchaus
auch gesundes Werkdenken mitspielen darf).
War im Barock das Sammeln und der Umgang
mit Kunst noch vorwiegend dem Adel und dem
hohen Klerus vorbehalten, so tritt der Dritte
Stand, das Bürgertum, am Ende des 1B. Jahr-
hunderts in der Zeit des Merkantilismus, der
Aufklärung und des Klassizismus stärker als
Kunstkonsument in Erscheinung. Die Beziehung
zur Kunst war zur Zeit der Klassik und Romantik
allerdings weniger sinnlich als bildungsbezogen.
Die Kultur wurzelte im Literarischen. Im Mittel-
punkt des Interesses standen die Zeugnisse und
Stätten der Antike und deren Reproduktionen,
erstmalig aber auch die Kunst des Mittelalters,
der Gotik.
Das Kunstinteresse des fortschreitenden 19. Jahr-
hunderts war von den Bedürfnissen des kapitali-
stischen Großbürgertums geprägt. Die Kunst des
Van Dyck und Rubens entsprach vor allem dem
1 Der Wohlstand der franzisko-iosephischen Epo-
che ließ innerhalb des Großbürgertums zahlreiche
Sammlungen entstehen. Die umfassendste war
die des Dr. Albert Figdor (1843-1927), der in sei-
ner Wiener Wohnung, Löwelstraße 8, tausende
von Obiekten aus allen Sparten und aus allen
Zeiten, vorwiegend Kunstgewerbe, hortete.
Um seine Person bildete sich ein Kreis von
ebenso leidenschaftlichen Sammlern wie er
selbst, die sogenannte „Figdar-Runde", die bei
regelmäßigen Zusammenküntten ihre Erwerbun-
gen und Erfahrungen austauschten. Schon mit
26 Jahren streifte Figdor bei kleinen Trödlern
umher, „um sich mit dem gekauften ,Kram' eine
Zimmerecke altertümlich einzurichten". So die
Briefklage der Mutter A. Figdors.
Philantrop, hochherziger Förderer der Wissen-
schaften liebte Figdor vor allem Obiekte aus
Holz, Metall u. ä., also die „warmen" Dinge,
die gleicherweise durch den sich damit ausstat-
tenden Menschen sowie durch die natürliche
Lichteinwirkung, Farbe und Flair erhielten.
2 Aus der Nachlaßauktian Dr, A. Figdors, die Ver-
steigerung eines Bildteppichs „Gerichtsszene",
Tournai, 2. Hälfte 15. Jahrhundert, der nach dem
Ausruf von S 200.000.- binnen zwei Minuten auf
S 700.000.- schnellte und dem Direktor des Ko-
penhagener Museums zugeschlagen wurde.
3 1739 gelangte die Burg Kreuzenstein an das
rötliche Haus Wilczek. Aus der Reihe dieses
eschlechtes kam der bedeutendste Sammler in-
nerhalb der österreichischen Aristokratie im 19.
Jahrhundert, Hans Graf Wilczek (1837-1922).
Den Zeittendenzen des Historismus folgend, ließ
er die Ruine Kreuzenstein zu einem mittelalter-
lichen Schloßbau, z. T. mit originalen Bauteilen,
die aus der ganzen Monarchie stammten, aus-
bauen und trug hier alles zusammen, was ihn
seine Sammelleidenschaft erreichen ließ. Schloß
und die Kunstschätze seiner Sammlung waren
eineeinmalige Sehenswürdigkeit, die man aus-
ländischen Staatsbesuchern zeigte, so auch dem
26. Präsidenten der Vereinigten Staaten Th.
Roosevelt (1858-1919).
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