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Volltext: Alte und Moderne Kunst XVIII (1973 / Heft 129)

Gerhard P. Woeckel 
Das aus der Schwarz- 
spanierklosterkirche 
St. Mariä stammende 
Kirchengestühl in der 
Augustinerpfarrkirche 
in Wien und sein von 
Johann Baptist Straub 
geschnitzter Reliefzyklus 
Der „Kurzgefaßten Nachricht" (1722) von J. K. 
v. Lippert zufolge wurde „im 26. Jahr seines 
Alters" (d. h. 1730) Johann Baptist Straub „zu der 
dazu erforderlichen Bildhauerarbeit" in der 
Schwarzspanierklosterkirche de Monte Serrato 
in Wien „bestimmt".' Außer der (heute in 
Laxenburg befindlichen) Kanzel und abgesehen 
von „anderen erhabenen Arbeiten und Verzie- 
rungen", von denen noch des näheren an ande- 
rer Stelle zu sprechen sein wird, führte J. B. 
Straub damals auch die „Oratorien" aus. Sinn- 
gemäß ist diese Nachricht, die für die vorliegen- 
de Arbeit von exemplarischer Bedeutung ist, so 
zu interpretieren, daß Straub für das im Mönchs- 
chor aufzustellende Gestühl den Gesamtentwurf 
zu liefern und bei der Ausführung, der im 
Planungsstadium sicherlich Entwurfszeichnungen 
und Bozzetti vorausgegangen waren, den spezi- 
fisch bildhauerischen Teil zu übernehmen hatte. 
Außer dem geschnitzten Ornamentdekor und 
kleinerem figürlichem Beiwerk (den Engelsbüsten) 
war die Hauptdekoration der Reliefzyklus, auf 
den noch zurückzukommen sein wird. Nach dem 
üblichen Zunftbrauch blieb die Zurichtung eines 
solchen kirchlichen Einrichtungsmöbels jedoch 
bis infolge der Durchführung der Josephinischen 
Reform die Schwarzspanierklosterkirche am 
6.November 1779 geschlossen und damit dieAuf- 
hebung des Ordens angeordnet wurde. Auf 
Vorschlag des kaiserlichen Hafarchitekten Jo- 
hann Ferdinand von Hohenberg wurden die 
Straubschen „Oratarien" während des Jahres 
1784 in die inzwischen neogotisch umgestaltete 
damalige Augustinerhofpfarrkirche transferiert, 
wo sie fortan als Kirchenbönke Verwendung fan- 
den. Als Datum für den Abschluß der Umgestal- 
tung dieser Kirche ist der Dreikönigstag des 
Jahres 1785 überliefert. An diesem Tag fand die 
erste Predigt auf der neuen Kanzel statt, die auf 
Wunsch Kaiser Josephs ll. J. F. v. Hohenberg 
in neogotisdwem Stil errichtet hattet. Kenn- 
zeichnend für die völlige Gleichgültigkeit gegen- 
über der hier vorliegenden Themenstellung ist 
es, daß man die ursprünglich vorhandene An- 
ordnung des Gestühls bei der Neuaufstellung 
völlig außer acht ließ. Ebenso kennzeichnend 
für die Folgezeit ist es freilich auch, daß man 
die ikonographisch sinnwidrige Aufstellung der 
Kirchenbänke bis zum heutigen Tage unver- 
ändert beibehielt. Es wäre deshalb dringend zu 
 
1 Wien, Augustinerkirche, J. B. Straub, Kirchenge- 
stühl mit den Reliefs 1 und 2 (Altes Testament) 
Wien, Augustinerkirche, J. B. Straub, Kirchenge- 
stühl mit den Reliefs 3 und 4 (Altes Testament) 
Wien, Augustinerkirche, J. B. Straub, Kirchenge- 
stühl mit den Reliefs 5 und 6 (Neues Testament) 
Wien, Augustinerkirche, J. B. Straub, Kirchenge- 
stühl mit den Reliefs 7 und 8 (Neues Testament) 
Wien, Augustinerkirche, J. B. Straub, geschnitzte 
Wange (11,5 x 101 cm) vom Kirchengestühl 
uißwm 
Anmerkungen 1,2 
'Erschienen in: Augsburgisches Monatliches Kunstblatt, 
3. Jg., Vll. Stück v. 31. 3. 1772, . 53 fi., bes. p. 54. 
"C. Wolfgruber, Die Hofkirche zu  Augustin in Wien, 
Augsburg 1888, S. 25 („Die in der untern Kirche stehen- 
den Bänke sind aus der Schwarzspanierkirche"). - A. 
Schnerich, Wiens Kapellen und Kirchen, Wien 1921, S. B7 
(Hln der Mitte herrliches Baradrstuhlwerk"). i Dehin- 
Ginhart, Wien und Niederdonau, 2. AufL, Wien-Berlin 
1931, s. 16 („Rßldl eschnitzte spätbarocke Kirdien- 
hanke um 1730 aus er Schwarzspanierkirche"). - A. 
Schmiedbauer, Meisterwerke kirchlidter Kunst aus Oster- 
reich, lnnsbruck-Wien-München 196D, S. 348 u. Abb. 204 
(„Van der einstigen barocken Einrichtung haben sich nur 
mehr die prachtvollen, teilweise iigürlich [SJCJ] geschnitz- 
ten Kirdienstühle aus der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts 
[sicl] erhalten"). 
22 
stets einem - in diesem Fall unbekannten - 
Kistler überlassen. Am 12. Oktober 1732, einem 
möglicherweise sogar absichtlich gewählten Tag 
wegen der Centenarfeier anläßlich der Wieder- 
kehr der Erstgründung des Klosters (1632) durch 
Kaiser Ferdinand lll., stattete Kaiser Karl VI. der 
Schwarzspanierklasterkirche einen offiziellen Be- 
such ab. Sicherlidi war damals die von J. B. 
Straub ausgeführte biidhauerische Zier an der 
Kanzel, am Chargestühl und an der Orgel voll- 
endet. Vermutlidi waren, wie schon erwähnt, 
die „Oratorien" im Mönchschor aufgestellt, und 
zwar unterhalb des zeitgenössisch besonders ge- 
rühmten Kuppelfreskos „Himmelfahrt Mariö", 
das kurz vorher von Giovanni Antonio Pelle- 
grini ausgeführt worden war. Älteren Baube- 
schreibungen zufolge handelt es sich bei dem 
Chor um einen zentralisierenden Raum mit ab- 
geschrägten Ecken. Deshalb ist zu vermuten, 
daß die von J. B. Straub ausgeführten „Orato- 
rien" sich einst paarweise gegenüberstanden in 
der Farm, daß die Bänke mit den Reliefs aus 
dem Alten Testament der einen und die mit den 
Szenen aus dem Neuen Testament der anderen 
Seite zugeordnet waren. Fast 50 Jahre lang waren 
die „Oratarien" in gottesdienstlichem Gebrauch. 
wünschen, daß man bald einmal eine Änderung 
in dem vorgeschlagenen Sinne herbeiführen 
würde. Die in unserem Beitrag enthaltene Re- 
konstruktion entspricht ikonographisch der einsti- 
gen Anordnung. 
Als Werkstoff wurde zur Herstellung der Kirchen- 
bänke ausschließlich massives Nußhalz verwen- 
det, das, ungefaßt, mit der Zeit einen tief dun- 
kelbraunen Farbton angenommen hat. ln zwei 
Abteilungen zu [e sechs Stück, getrennt durch 
einen kleinen Gang, sind ietzt die 24 Bänke in 
der Mitte des Kirchenschiffs aufgestellt. Zur Ver- 
anschaulichung der Größenanordnung erfolgt 
hier die Nennung ihrer Maße. Eine Bank ist [e- 
weils 110,5 cm hoch, 287 cm breit und 101 cm 
tief. Die Höhe einer Wange beträgt ieweils 
111,5 cm bei einer Breite von 101 cm. Durch ein 
achtmal sich wiederhalendes plastisches Motiv, 
das zugleich die Monotonie der Horizontale 
unterbricht, werden so die reliefierten „Fassaden" 
des Kirchengestiihls deutlich als „Schauwand" 
gekennzeichnet. Es sind dies vollpiastisch ge- 
schnitzte Engelsbüsten (Format ie ca. 23 x 32 cm). 
Sie markieren gleichzeitig die Mittelachse der 
Kirchenbönke. Ein weiterer plastischer Akzent 
zeigt sich in der Bekrönung der Wangen. Außer
	        
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