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Volltext: Alte und Moderne Kunst XIX (1974 / Heft 132)

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helm Hein 
er arabische Name 
JQBFHGS für das bei uns 
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arkungen 1-11 
archäologische Entwicklung, soweit sie überblickbar 
siehe bei K. A. C, Creswell, The Evolution af the 
dentive, in: Early Muslim Ardiitecture, Bd. I, Oxford 
2, S. 304 ff., sowie The Squinch before A. D. 700, Bd. 
Oxford 1940, S. 101 ff. 
he die Abbildung bei A. U. Pope, A Survey of Per- 
u Art, Bd. IV, Oxford-New York 1939, Taf. 339a. 
Lexikon der Baukunst, hg. von Wasmuth, Bd. Il, 
lin 1930, S. 282 f. 
Survey of Persian Art, Bd. II, S. 1155-1257. Ver- 
idie dazu a. a. O. S. 756 l„stalactites"). 
'ersian Dictionary, London 1947, S. 1293. 
1er Gießener Ausgabe 1867, S. H73, 
nciscus a Mesaniens Meninski. Lexicon Arabico-Per- 
Ein sehr wichtiges Ornament, das als ureigenste 
Schöpfung des Islam betrachtet werden kann, 
sind die sogenannten muqarnas. Der Natur und 
dem Aussehen nach handelt es sich um kleine 
Nischchen, die gewöhnlich in Friesen oder Fel- 
dern aneinandergereiht stehen und reizvolle 
Unterbrechungen sonst glatter Flächen ermög- 
lichen. In manchen Spielarten erinnern die Nisch- 
chen vielleicht auch an die Gebilde, denen wir in 
Tropfsteinhöhlen begegnen. Das hat ihnen im 
Jargon die Bezeichnung „Stalaktiten" eingetra- 
gen. Sie geht auf eine unwillkürliche Assoziation 
zurück und hat mit dem Ursprung des Orna- 
ments nichts zu tun. 
Die zugrunde liegende Idee ist in ienen Hilfs- 
konstruktionen zu suchen, mit denen man die 
Härte des Überganges von den rechtwinkeligen 
Ecken der Galerie im Mauerwerk zur darüber- 
liegenden Rundung der bedachenden Kuppel 
mildern wollte. Solche Hilfen erzielte man mit 
Ecktrichtern (Trampen), Blenden (blinde Fenster- 
chen ohne Lichtdurchlaß), bogigen Eckzwickeln 
oder eben unseren verschieden ausgelegten Ni- 
Schenl. 
Nischen hat es selbstredend auch in alten Zeiten 
vor dem Islam gegeben. Darin lag nichts Neues. 
Das Neue und Schöpferische, das der Islam erst 
hervorbrachte, lag in der ldee, Nischchen als 
rein dekorative Elemente in einem flächendek- 
kenden Verband zu verwenden. Indem man sie 
anderer Funktionen, in der Höhlung etwas auf- 
zunehmen oder zu bergen oder auch nur ab- 
zurunden, weitgehend entkleidete, wurden sie so 
zu Ziermitteln an sich, die nur mehr dem Auge 
gefällig zu sein hatten. 
Das älteste, bekannte Beispiel mit derartig aus- 
geprögtem muqarnas-Dekor erblickt man derzeit 
in einem Fries am Grabmal des Lagim in 
Mazenderan, datiert 1022 n. Chr. f. Dort hat der 
Baumeister Nischchen bereits rein dekorativ in 
einer einfachen Zeile um einen runden Grabturm 
herumlaufen lassen. Die ursprüngliche Funktion, 
Kantiges abzurunden, hat sich verloren, weil der 
Turm rund ist. Der Wunsch, eine sonst glatte 
Flüche gefällig zu unterteilen, gab dem Fries die 
Existenzberechtigung. 
Einmal ersonnen und formuliert, griffen auch an- 
dere Architekten begeistert nach der Anregung. 
Sie verkleinerten, variierten die Anordnungen 
und gelangten in der Folge durch anmutige Ver- 
bindungen zu einem unerhörten Reichtum an 
Ziermitteln. Das Thema wurde fester Bestandteil 
der Baukunst. 
Kein Wunder, daß auch die Zeichner flacher 
Ornamentik sich des Vorwurfs annahmen. Die 
Möglichkeiten der Darstellung in der Ebene aus- 
nutzend, entwarfen und entwickelten sie daraus 
neue Gebilde, zu denen wohl auch die ver- 
schiedenartigen, pässigen Figuren, Medaillons 
(man vergleiche nur die „spitz-wolkigen" Me- 
daillons!) wie auch die islamische Kartusche zäh- 
len dürften. 
Die überragende Bedeutung des Nischenmativs 
hat J. Strzygowski formuliert und in etwa mit 
der Bedeutung verglichen, die das Kreuz in den 
christlichen Künsten hat". Ein Hinweis ergibt 
sich aus dem Koran. Hier drängt sich die be- 
rühmte Stelle aus der Sure „Das Licht" auf, wo es 
heißt (Kor. 24, 35): „Sein (i. e. Allahs) Licht ist 
gleich wie eine Nische, in der eine Leuchte 
steht..." Das fromme Schaffen, das seine Anre- 
gungen gerne aus den Offenbarungen bezog, 
mochte also in der ihm heiligen Schrift selbst 
eine Stiitvn. nnfnnrlen unrl rlnrnus neschlnssen 
So viel zum Ornament, dessen arabische Be- 
zeichnung sich nur aus dem im Ganzen gesehe- 
nen Zusammenhang verstehen läßt. 
Der Ausdruck muqarnas wird von J. Rosintal 
und E. Schroeder in ihrer Abhandlung über 
islamische Architektur gebrauchtf. Die Schrei- 
bung mit sad (muqarnas) steht bei F. Steingass 
in seinem persischen Wörterbuchf. Es bedeutet 
„eingelegt, gemalt, verziert". Ansonsten wird 
auch sin geschrieben. muqarnas (mit sin) heißt 
bei Steingass a. a. O. „ein leichter, runder 
Bau mit Bildern, zu denen man auf einer Art 
Wendeltreppe gelangt", ferner „eine Art Tur- 
ban", und „buntfarben, eingelegt, vergoldet" so- 
wie wiederum „bemalt". 
In dem immer nod1 verlüßlichen Wörterbuch von 
Adolf Wahrmund wird muqarnas (mit sin) 
als „terrassenförmiges Gebäude, Dach, Turm" 
angegebent. Andere verbinden es mit der 
Mauserung des Falken, so Meninski', Lanef, 
Dozy" und Möller". 
Ich kann mir den Namen, in dem so viele Bedeu- 
tungen vereinigt sind, nur als Ausdruck scherz- 
haften, spielerischen Vergnügen: klären. Der 
Sprachgestalter drückte damit aus, was er am 
gegebenen, in geometrischer Darstellung ge- 
dachten Objekt in der ihm vertrauten Art, zu 
sehen, als abstraktes, aufs Äußerste stilisiertes 
Gebilde entdecken konnte. In unserem Falle 
handelt es sich einerseits um die Umrißlinien der 
für den muqarnas-Komplex typisch abgetrepp- 
ten, terrassenförmig aufsteigenden einzelnen Ni- 
schenreihen. Andererseits mochte vielleicht auch 
die besondere Form eines Elementes, etwa die 
Figur ß , dem Auge als stilisierter Falke erschei- 
nen. 
Mit diesen Deutungen erschöpft sich der Begriff 
muqarnas, soweit er auf das Ornament Bezug 
hat. Indessen haben sich die „Stalaktiten" im 
Kreise der Fachwissenschaft eingebürgert, und 
so wird es wahrscheinlich auch in Hinkunft - sit 
venia verbo - dabei bleiben. Benennungen sind 
ein Problem der Sprachschöpfung. Der Sprach- 
gestalter klügelt nicht. Er braucht einen Aus- 
druck, will verstanden sein - und das Volk liebt 
Scherzhaftes. 
Umrißlinien sind charakteristische Linien. Sie ste- 
hen gerne als Ersatz für räumlich Gedachtes. 
Entsprechend der muslimischen Mentalität, „hin- 
ein-zusehen" und „hinein"-zudenken, während 
Europa gerne nach dem „Aus-sehen" benennt, 
können einfache Figuren wie etwa n. oder 
Q in iener Perspektive sowohl einen Gebäude- 
teil wie ein Zierelement vorstellen. Ist das Prin- 
zip klar, dann wird auch der zweite Name für 
unser Ornament, der im Westen, im Magrib, 
muqarbas oder muqarfas lautet, klar. Muham- 
mad "Abd aI-'Aziz Marzuq leitete das Wort 
unbefangen von gölis al-qarfasö, „in der Hocker- 
stellung sitzen", ab". Wir müssen die Interpre- 
tation wohl akzeptieren. Denn wenn wir das 
Linienspiel nebenstehender Figuren von Nisch- 
chen betrachten, etwa so ß oder so Ä , dann 
ergibt sich als potentiell denkbare Füllung eben 
die Gestalt eines Kauernden. 
Im Koran steht an der zitierten Stelle (24, 35) für 
„Nische" das Wort miskö-t, eine mifCöl-Bildung 
(nomen instrumenti). Die zugehörigen Radikale 
s-k-w oder s-k-i bedeuten „klagen" oder 
„Schmerz empfinden". Möglicherweise liegt auch 
hier ein Symbolismus zugrunde, der das Instru- 
ment des Klagenden, die Haltung, ausdrücken 
sollte.
	        
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