I Aktuelles Kunstgeschehen [Wien
Museum des 20. Jahrhunderts
Kurt Schwitters
Großausstellungen van Klassikern der Moderne
sind leider auch in Usterreich während der letzten
Jahre immer seltener geworden. Die Budgets
unserer Museen und Kunstinstitute reichen weder
für die Kosten der zumeist gegebenen komplizierten
technischen Abwidrlung noch auch für die not-
gedrungen hohen Versicherungsprämien. Will man
dennach Ausstellungen dieser Gräßen- und Rang-
ordnung nach Usterreich holen, so geht dies fast
nur noch in Zusammenarbeit und entsprechender
Kastenteilung mit ausländischen Partnern. Die über
Neuiahr vom Museum des 20. Jahrhunderts
gezeigte Retrospektive von Werken des Merz-
Künstlers und Dadaisten Kurt Schwitters (1887-1948)
kann als Beweis dafür angesehen werden. Sie kam
in Kooperation mit Marlborough Fine Art, London,
zustande. Von dieser international angesehenen
und einflußreichen Galerie stammte auch das
Gras der knapp über hundert Leihgaben. Der
aufwendige Katalog wurde bei DuMont Schauberg
in Köln gedruckt und für sämtliche Stationen der
von London über Zürich und New York nach Wien
gelangten Exposition verwendet. In klarer Hängung
ergab die Retrospektive ein beeindruckendes Ge-
samtbild, das über die Veranschaulichung der
künstlerischen Entwicklung und stilbildnerisctie
Zusammenhänge hinaus als historische Plattform
zahlreicher Aspekte heutigen bildnerischen Schaffens
und Experimentierens angesehen werden kann.
Völlig zu Recht konzentrierte sich die Auswahl in
ihrem Schwerpunkt auf die Merz-Bilder in Collage
und Mantagemanier, denen Schwitters in der Zeit
von 1919 bis zu seinem Tode treu blieb. Mittlere und
kleinere, ia intime, kammermusikalisdie Formate
überwagen. In signifikanten Beispielen stehen sie
für eine neue Ästhetik, die dem Abfall zu seinem
Recht verhilft, die das Wertlose als Material in
neuer, von Schwitters gleidisam „erfundener"
Kombinatorik wert- und sinnvoll macht und da-
durch zu einer beträchtlichen Ausweitung bildneri-
scher Denk- und Handlungsweisen führte. Die
Sensibilität und der Einfallsreichtum, über die der
Künstler verfügte, waren dabei der Garant für das
spürbare Eigenleben und Fluidum, für die oft und
oft gegebene Poesie seiner den räumlichen Aspekt
wiederholt unterstreichenden und damit die Papier-
collagen der Kubisten fortentwickelnden Bilder.
Schwitters erweist sich darin nicht zuletzt als
Anreger für die von Pierre Restany gekürten
„Neuen Realisten" (Arman, Spaerri). Eine ver-
dienstvolle, informative und wichtige Ausstellung,
der von der Rangordnung her vergleichbare folgen
sollten.
(12. 12. 1972-28. 2. 1974) - (Abb. 1, 2)
Galerie Schoftenring
Richard Smith
Die erste Einzelausstellung des renommierten Eng-
länders in Üsterreich. Smith erhielt 1967 den
Großen Preis der Biennale van Säa Foulo. Für
1974 plant die Londoner Tate Gallery eine um-
fassende Retrospektive. Die Wiener Auswahl be-
inhaltete ausschließlich grafische Blätter des Zeit-
raumes von 1968 bis heute. Unter den insgesamt
vierzig Arbeiten befand sich auch der Radier-
Zyklus „Butterfly" und die pradttvoll gelungene
Lithaserie mit dem Titel „Horizons". Richard Smith
ist ein Maler der reinen Abstraktion. Seine
Konzeptionen sind in ihrer Grundtendenz einfach,
klar und folgerichtig aufgebaut, ausgewogen im
Wechselspiel, das sich überaus sensibel, zugleich
iedoch kraftvoll und bestimmt aus der
Korrespondenz zwischen Farbe und Form, zwischen
Fläche und Forbintensität ergibt. Obwohl die
Wiener Ausstellung auf die großen dreidimen-
sionalen Werke verzichten mußte, gelang ihr -
wie die österreichische Kritik fast einhellig fest-
stellte - die gewünschte informative Absicht.
Stilistisch basieren die Arbeiten des 1931 Geborenen
auf Grunderkenntnissen der Geometrischen
Abstraktion und hier näher in der Minimal-Art. Die
gestalterische Ökonomie, über die der Künstler
verfügt, gewährleistete die optimale Verarbeitung
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und eigenständige Weiterentwidrlung anfänglidter
Einflüsse durch die Malerei eines Mark Rothko und
Sam Francis. Während Smith in den Farblitho-
graphien primär malerische Wirkungen und
Nuoncierungen ausspielt, tritt in den härteren
Radierungen naturgemäß die Zeichnung und damit
das graphische Element stärker in den Vordergrund.
Daß die größtenteils von der Edition Jacobson,
London, verlegten Blätter von hoher tedmischer
Perfektion sind, gilt bei einem Künstler seiner Rang-
ordnung als selbstverständlich.
(24. l0.-7. 12. 1973) - (Abb. 3)
Galerie nächst St. Stephan
Urs Lüthi
Der iunge Schweizer Avantgardekünstler markiert in
seinen zumeist als „narzistisch" bezeichneten
Selbstporträts eine ausgesprochene Außenseiter-
position innerhalb der iungen europäischen Kunst.
Lüthi ist ein poetischer lnfrogesteller seiner selbst.
In seinen Bildern, Montagen und Siebdrudren geht
es ihm um menschliche Verhaltensweisen, um
Markierungen seelischer Zustände in der scheinbar
vertrauten und doch zugleidt verschlüsselten
Realistik effektvaller, nicht selten einen Anflug von
Wehmut und nostalgischer Traurigkeit aufweisender
Porträtfatografie. Eine bemerkenswerte Ausstellung
für insider der Kunstszene.
(16. 11.-15. 12. im) - (Abb. 4)
Pareidolien
Nach vorangegangenen Ausstellungen von Unikaten
folgte die Präsentation des wiederholt angekün-
digten Mappenwerkes der Drudrgraphiken von
Patienten des von DDr. Leo Navratil geleiteten
Landeskrankenhauses für Psychiatrie und Neurolo-
gie, Klosterneuburg. Die in Hunderterauflage
erschienene Mappe enthält dreizehn Radierungen,
darunter Blätter so bekannter und wiederholt
publizierter Künstler wie Johann Hauser und Josef
Bachler. Wenn es auch den Radierungen gegenüber
den Zeichnungen, Fettkreidearbeiten und Gouachen
der durch Navratil in ihrem Schaffen bestärkten
und geförderten Patienten vielfach an Spontaneität
und Vehemenz mangelt, so markiert die Summe des
Geschaffenen trotzdem eine durchaus interessante
Leistung im Sinne entsprechender Vergleiche. Der
mit 2000 Schilling festgesetzte Preis unterstreicht die
Absicht der Initiatoren, entsprechende Publizität auf
der Basis vorurteilsloser Auseinandersetzung und
künstlerischer Anerkennung zu erreichen.
(Dezember 1973) - (Abb. 5, 6)
Galerie in der Passage
Herbert Pasiecznyk
Bilder und Grafik des 1942 in Wien geborenen
ehemaligen Hausner-Schülers. Pasiecznyk wurde
durch seine Zeichnungen von Autofriedhöfen
bekannt, weitete allerdings in letzter Zeit seine
Thematik im Sinne einer durch surreale Komponen-
ten angereicherten Gegenständlichkeit aus. Er
entwickelte dabei ein stillebenartiges Vokabular
stellvertretender Symbolik, vergleichbar der Mal-
weise innerhalb der Neuen Sachlichkeit. Näh-
maschinen, ein Schuhspanner, Behälter, Flaschen
und ähnliches werden mit Genauigkeit wieder-
gegeben, erschöpfen sich iedoch nicht in artisti-
schem Selbstzweck, sondern beziehen einen
Großteil ihrer Wirkung aus dem Nebeneinander
der beabsichtigten Beispielhaftigkeit, welche den
Betradwter mit gezielt assoziierbaren Inhalten
konfrontiert. Seine keineswegs unkritischen
Zustandsschilderungen von Teilbereichen des Heute
sind auf gutem Weg eigenständiger Fartentwicklung.
(10. 10.-1B. 11. 1973) - (Abb. 7)
Galerie auf der Stubenbastei
Karl Anton Fleck
„Landschaften und Selbstbefleckungen" nannte der
1928 geborene Wiener Graphiker seinen iüngsten
zur Diskussion gestellten Werksquerschnitt. Die
Ausstellung unterstrich das expressiv-vehemente
zeidmerisrhe Können des zuletzt stärker in den
Vordergrund der Wiener Kunstszene getretenen,
in seinen Porträts besonders begabten, zeitn
Künstlers.
(9. 10.-S. 11. 1973) - (Abb. B)
Modern-Art-Galerie
Paul Meissner
Prof. Paul Meissner, wiedergewählter Präsid
einer echten Konsolidierung horrenden Sece
zeigte Bilder und Zeichnungen im Stil der
seit einigen Jahren wieder stärker forcierte)
tiven Expressivität. Eine Ausstellung, die gle
maßen Absicht wie Umsetzungsvermögen de
geborenen Künstlers unterstrich.
(1. 11.-St. 12. 1973) - (Abb. 9)
Galerie in der Blutgasse
Peter Dworak
Arbeiten des iungen Wieners mit klarer Tel
einer stark subiektiv geprägten, die Abfolge
Porträts in Comic-Manier wiederholt einsdili
den neuen Gegenständlichkeit. Dworak zeigt
Olbilder, Pastelle und eine Radiermappe mit
Titel „Autos und Frauen".
(1. 10.-20. 10. 1973) - (Abb. 10)
A. R. Hafer
Albert Reinhard Hafer, geboren 1945, Absol
Kunstgewerbeschule in lnnsbrudc und Studen
Wiener Akademien, präsentierte „Bilder" im
schluß an seine bereits im April 1973 von de)
Ganggalerie im Grazer Rathaus gezeigte Pe
Seine Variante einer neuen Gegenständlichk)
tendiert zu klarer expressiver Umsetzung vor
zurückhaltender Symbolik, in manchem an Fr
Bacon erinnernd.
(22. 10.-15. 11. 1973) - (Abb. 11)
Galerie Tao
Hanna Lipschiz
Hanna Lipschiz, Gattin Andre Verlons und in
Eigenschaft vielen Wiener Kunstfreunden au:
ihrer Tätigkeit in der ehemaligen Galerie V:
Erinnerung, wurde 1917 in Litauen geboren. f
lebte zuletzt in Wien, Paris und der Schweiz
ibegonn 1964 mit Wandteppichen nach eigene
Entwürfen. Die von Elizabeth Wong organisi
Gedächtnisausstellung für die im Februar de)
iahres verstorbene Künstlerin soll 1975 mit ei
umfassenderen Retrospektive des Museums f)
angewandte Kunst entsprechende Fortsetzung
fahren.
(20. 11.-19. 12. 1973) - (Abb. 12)
Pet
Franz Herberth 1'
Künstler, Lehrer, Mensch von hohen Grad:
war o. Professor Franz Herberth, eine der
profiliertesten Persönlichkeiten der Wiener H
schule für angewandte Kunst. Par distance s
ihn meist auf dem Weg von der Schule zum
immer ins "iespräch vertieft. Er war einer de
unentwegt anbot, der stets und iedem helfen
Vorn Geist des ehrlichen Humanismus beseelt
stand er permanent auf der Plattform zum N1
Seine Schüler verehrten, ia liebten ihn. Und
ihnen alles weiter, was er nur besaß an
Können, Meisterschaft. Franz Herberth, der
fer subtilster Graphik, ist heimgegangen, a)
den ihn wirklich vermissen.