Anmerkungen "I3 14
" Die Stationen dler Ausstellung bis ins Jahr 1975 sind:
München, Zürich, Wien, Kopenhagen, Stockholm, Ham-
burg, London.
" Zitiert nach dem Katalog der Ausstellung, S. 69-75.
tierten Umwelt sehen, zu den Umsatzhochburgen,
den Warenhäusern, den Drugstores (Pariser Aus-
führung) und den Schwabyions unserer Städte?
Ist der Mensch nur insoweit Mensch, als er ver-
braucht, was wohl heißt: Werte verschleißt?
Die Shaker in ihrer Umwelt
Das Beispiel der Shaker geht zumindest als ge-
sellschaftliches Experiment für uns Heutige nicht
vollends auf. Dafür gibt es verschiedene Gründe.
Shakergewerbe und kapitalistische Industrie
Die Shakergemeinschaften haben auch mit der
Außenwelt Handel betrieben, besonders durch
Möbelherstellung, Saatgutzucht, Heilkräuterver-
sand, Weberei und Verkauf landwirtschaftlicher
Geräte. Entscheidend dabei wandaß die Zwänge
des Marktes für die Shaker nur bedingt galten,
weil diese dank ihrer Autarkie den Marktgeset-
zen nicht restlos ausgeliefert waren.
Diese Unabhängigkeit vorn Markt erwies sich,
langfristig betrachtet, aber auch als Nachteil für
das Überleben der Shaker, denn der Publikums-
geschmack ging in die Richtung der industriell
produzierten Massen- und Konsumgüter, wobei
gar nicht gefragt werden soll, welche Möglich-
keiten der Marktbeeinflussung der Industrie of-
fenstanden. Auch die öffentliche Meinung der
USA neigte, fast bis in unsere Tage, mehr der
hodigradig arbeitsteiligen Alternative der kapi-
talistisch betriebenen Industrie zu als der ge-
werblichen Manufaktur, wie etwa die Shaker sie
betrieben. In ihrer Art, mit Naturschätzen und
Rohmaterial haushälterisch umzugehen, waren
die Shaker ihrer Zeit um 100 bis 150 Jahre vor-
aus. Erst heute dämmert uns, daß zu jeder wirt-
schaftlichen Tätigkeit mehr nötig ist als eine be-
triebsinterne Rentabilitätsrechnung, nämlich eine
volkswirtschaftliche Gesamtkalkulation, in der
auch Ökologie und soziale Rückwirkungen als
ernstgenommene Faktoren einbezogen sind. Viel-
leicht erklärt das, warum die Shaker, wie man-
che Pressestimmen verwundert feststellen, „ge-
rade ietzt" der Vergessenheit entrissen werden.
Es erklärt aber auch, warum sie in dieser Phase
des Vergessenwerdens geraten konnten und
mußten.
Zu verkürzt wäre es, die Shaker als ein „Anti-
Amerika" zu sehen. Verkörpert diese Sekte doch
die engstmögliche Annäherung an die Ideale des
Furitanismus. Kaum eine andere Gruppe oder
Gemeinschaft hat die Kontradiktion, die in dem
scheinbar so rationalen Lehrgebäude des Purita-
nismus liegt, ähnlich deutlich gemacht. Für ihr Zu-
sammenleben gilt, doß alle Mitglieder bereits
Auserwählte Gottes sind, daher unter ihnen volle
Gleichberechtigung, sowohl der Geschlechter wie
auch der Rassen, herrscht. Es ist sehr bezeichnend,
daß Friedrich Engels, der in seinem „Deutschen
Bürgerbuch für 1845" ausführlich über den Kom-
munismus der Shaker spricht", zwar deren äußere
Lebensumstände genau beschreibt,iedoch auf die
Fragen, wie das Zusammenleben funktioniere,
worauf es gegründet sei, innerhalb welcher Be-
dingungen der sozialen Umwelt es stattfinde,
nicht eingeht. Ob es nun religiöse Vorschriften
waren oder „nur" menschliche Güte und Gelas-
senheit, welche das von verschiedenen Zeugen
gerühmte ausgeglichene und friedfertige Verhal-
ten der Shaker auszeichneten, Tatsache ist, daß
es so etwas wie ein Gegenbeispiel war gegen
die umliegende Verhaltenstraditian und damit
vernunft, der bewußten und unbewußten Selbst-
zerstörung aus, ganz abgesehen von der unhisto-
rischen Verneinung der Zukunft, nämlich gemäß
der Lehre von dem bereits für gegenwärtig ge-
haltenen Reich Gottes auf Erden.
Auch wenn die Shakerkommunen als gesellschaft-
liches Experiment scheitern mußten (die zwei
heute noch bestehenden nehmen keine neuen Mit-
glieder mehr auf und werden mit dem Tod der
letzten Schwestern aussterben), so können sie
doch Anregung genug geben, wie ein heute drin-
gender denn ie nötiger Stil eines von Vernunft
und Güte bestimmten Zusammenlebens beschaf-
fen sein müßte, also eine Aufklärung, die mensch-
licher ist, die schwerer widerlegbar ist als iene
des "I8. Jahrhunderts.
Design und Protest
Der Charakter des Menschen drückt sich in der
von ihm gestalteten Umwelt doppelt aus: einmal
im Vorgang der Gestaltung, dann in der Art der
Benützung. Mit großer Überzeugungskraft doku-
mentiert die Shakerausstellung eine Ästhetik der
Ökonomie und Aufrichtigkeit, des dauerhaften
Erzeugnisses und des optimalen Gebrauchsnut-
zens. In den gezeigten Beispielen fallen, wie Karl
Mang es ausdrückte, Ästhetik und Moral zusam-
men. Dabei tritt eine europäische Überlieferung
ins Gedächtnis, die im wesentlichen aus einer
Opposition bestand, bestehen mußte; einer Op-
position, der William Morris ebenso angehörte
wie Adolf Laos. Und wer waren und sind ihre
Widersacher? Alle iene, die an den Schaltstellen
wirtschaftlicher Macht die überwältigende Mehr-
heit unserer Gesellschaft nach den Grundsätzen
der Produktion von Wegwerfgütern und künstli-
cher Bedürfnisse lenken. Zu Shakerzeiten war
das nicht anders als heute, im Zeitalter des
„military industrial complex". ln amerikanischen
Kommunen von heute glaubt man allen Ernstes,
daß das Ausbrechen aus dem Konsumkreislauf
des American way of life, der Rückzug in die
Seibstversorgungswirtschaft, schon so etwas wie
ein subversiver Akt sei. Richtig daran ist immer-
hin, daß nur eine neue Werteskala menschlichere
Formen des Zusammenlebens erlaubt. Wäre
diese neue Werteskala übrigens so neu?
Die Wohlstandsvermehrung, die wir eine Zeit-
lang so geschätzt haben, scheint an ein von der
Natur vorgegebenes Ende zu stoßen. Wir wer-
den, freilich mutatis mutandis, der Tatsache des
prinzipiellen Mangels wieder einen Stellenwert
in unserem Bewußtsein einräumen müssen, wie
er der menschlichen Zivilisation von der Stein-
zeit an bis zum Beginn des industriellen Zeit-
alters zu eigen war. Dazu brauchen wir eine
Ethik des Miteinanderlebens, der Güte und der
Fürsorge. Nicht zufällig gibt die Shakerausstel-
lung einen Anstoß in diese Richtung; sie ist
vielmehr eines der verschiedenen sich mehren-
den Zeichen. Freilich nicht zum Nachahmen, son-
dern zum denkenden und vor allem tätigen
Neuschöpfen aus den Bedingungen unserer Zeit
möge der Besucher oder Leser sich eingeladen
fühlen.
Cl Unser Autor:
Dr. Oskar Holl
Lindenstraße 28
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