Für den Kunstsammler
Wilhelm Mrazek
Österreichischer Jugendstiischmuck
im Museum für angewandte Kunst
Seit einigen Jahre hat das allgemeine Kunst-
verstöndnis einen bemerkenswerten Wandel erfah-
ren. Nicht mehr das Biedermeier wird als die
letzte europäische Stilepoche betrachtet, zu der
man noch eine lebensnahe Beziehung hat, sondern
die Jahre zwischen 1890 und 1920, die Zeit des
Jugendstils und der gleichgerichteten europäischen
Bewegungen Art nouveau und Modern style. Diese
Stilkunst um 1900 wird nicht mehr unter den Ge-
sichtspunkten der Dekadenz und des Fin de siecle
gesehen, sondern positiv bewertet und als der
Aufbruch der künstlerischen Jugend Europas zur
Moderne, zu den neuen Zielen des 20. Jahrhunderts
betrachtet.
In Wien setzte diese Bewegung mit einer Revolution
nicht nur auf rein künstlerischem Felde, sondern
auch mit umwölzenden Ereignissen auf dem Gebiete
des Kunstgewerbes ein. Im Jahre 1897 wurde nicht
nur die „Wiener Secession" gegründet, sondern
erfolgte an dem renommierten Österreichischen
Museum für Kunst und Industrie ein Wechsel der
Direktion durch Arthur von Scala, der an seinem
Institut sowie an der angeschlossenen Kunst-
gewerbeschule alle modernen Bestrebungen
favorisierte. Vom Museum und seiner Schule
strahlten die Tendenzen des Jugendstils über das
gesamte Gebiet der österreichisch-ungarischen
Monarchie aus und fanden vor allem in den mit
diesen Instituten eng verbundenen Fachschulen her-
vorragende Pflegestötten. Die Künstlergemeinschaft
der „Wiener Secession" iedoch bekundete ihre
Tatkraft durch die Errichtung eines die neuen Stil-
elemente aufzeigenden Ausstellungsgebäudes, der
„Secession", sowie mit der Gründung der Zeitschrift
„Ver sacrum", welche die Bestrebungen der iungen
Künstler breiten Kreisen bekannt machen sollte.
Damit der neue Geist und die Gesinnung der
Wiener Secessionisten iedoch eindeutig zu erkennen
seien, setzten sie an die Stirne des Gebäudes die
Devise; „Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre
Freiheit".
Diese Wiener Secessionisten verneinten ganz
entschieden die traditionelle Unterscheidung
zwischen „hoher Kunst" und „Kleinkunst", zwischen
„Kunst der Reichen" und „Kunst für die Armen",
zwischen den „freien" und den „angewandten
Künsten". Das Kunsthandwerk, die Arbeiten des
Kunsthandwerkers sollten mit demselben Maß ge-
messen werden wie die des Malers, Bildhauers und
Architekten. Alle Schöpfungen sollten in erster Linie
dem Leben dienen. Alle Künste sollten bei der
Gestaltung des gesamten menschlichen Daseins zu
einem neuen „Lebensstil" zusammenwirken und auf
diese Weise auch ihre gesellschaftliche Funktion
erfüllen.
Das Kerngebilde, das neben der „Secession" am
eindrucksvollsten die Bestrebungen der Stil-
kunst um 1900 in Wien widerspiegelte, war die
„Wiener Werkstätte". Die im Jahre 1903 ge-
gründete „Produktivgenossenschaft" von Künstlern
und Handwerkern hatte schon nach kurzer Zeit im
kulturellen Leben der Weltstadt Wien eine fest-
gegründete Position und eine anerkannte ge-
schmacksbildende Funktion. Von all den Werk-
stöttengründungen hat sie allein den ersten Welt-
krieg überlebt und bis zum Jahre 1932 stilbildend
gewirkt. Sie war auch noch in den zwanziger
Jahren ein „Unternehmen, das alle künstlerischen
und qualitativen Bestrebungen auf den Gebieten
des modernen Kunsthandwerkes durch umfassende
Tätigkeit förderte und pflegte". Ihre Leistungen
stellten einen entscheidenden Beitrag zu einem
Wiener Stil von Weltgeltung dar und erstreckten
sich auf alle Lebensbereiche, vom Hausbau und der
Inneneinrichtung bis hin zur Mode, zum modischen
Accessoire und zum Schmuck.
Dieser Schmuck, zumeist nach den Entwürfen von
Josef Hoffmann, Kolo Moser, Otto Prutscher, Carl
Otto Czeschka, Josef Eduard Wimmer und Dagobert
Peche ausgeführt, Iäßt deutlich die Besonderheit,
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