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Volltext: Alte und Moderne Kunst XIX (1974 / Heft 135)

Richard Rubinig 
Wilhelm Thöny 
oder die Geschichte einer 
posthumen Faszination 
Der Maler Wilhelm Thöny (1888-1949) ist im 
kulturellen Bewußtsein seiner Vaterstadt Graz 
seit Jahren ein fester Begriff. Er gilt in seiner 
Heimat als der wichtigste Wegbereiter der jun- 
gen Kiunst noch dem Ende des ersten Weltkriegs, 
also in einer Zeit, die durch den Tod Gustav 
Klimts, Egon Schieles und Otto Wagners und 
durch die Abwanderung Oskar Kokoschkas die 
wesentlichen Anreger und Vorbilder verloren 
hatte. Thönys vielseitige künstlerisdwe Begabung, 
die auch mit sichtlichem Erfolg zur Musik rund 
zum Theater tendierte, entfaltete sich nach den 
Münchner Erfahrungen in der Steiermark, einer 
österreichischen Provinz, die seit dem neunzehn- 
ten Jahrhundert in der bildenden Kunst zurück- 
geblieben war und mit deutlichem Abstand hin- 
ter der alten Residenz an der Donau und hinter 
den regeren Zentren in Salzburg, Kärnten und 
Tirol nur einen bescheidenen Platz in Anspruch 
nehmen durfte. 
Erst Thöny und einige Mitstrebende seiner Gene- 
ration brachten hier einen Umschwung. Diese be- 
sondere Situation in der steirischen Kunst mag 
wohl die Ursache gewesen sein, daß die Künstler 
dieses Landes sich weder nach den Wiener 
Secessianisten und Hagenbündlern noch nach 
dem Salzburg Anton Faistauers oder nach der 
Nötscher Schule Anton Kaligs in Kärnten orien- 
tierten. Die Grazer gingen zur Ausbildung nach 
München und Paris und bildeten damit eine 
kuriose Enklave im Bereich der österreichischen 
Kunst der zwanziger und dreißiger Jahre. Hier 
wies zweifellos Wilhelm Thöny die Richtung, der 
schon im Jahre 1908 bei Gabriel Hockl und 
Angelo Jank in München sein Studium begonnen 
und 1913 als eines der ersten Mitglieder der 
Münchner Neuen Sezession eine rege Tätigkeit, 
vor allem auch als Illustrator im Auftrag des 
Georg-Müller-Verlags, ausgeübt hatte. 
Thöny war ein Maler, der fast ausschließlich 
graphisch dachte und konzipierte. Das wird in 
den Bildern ider Münchner Zeit und auch in ienen 
der Grazer Periode zwischen 1923 und 1931 nicht 
so augenscheinlich wie in den reifen Jahren des 
Pariser Aufenthaltes zwischen 1931 und 1938. In 
seinem gesamten Guvre erweist er sich iedoch 
als Phänomen der Originalität. Er verwirrt die 
Stilkritiker, denn er erinnert an nidits. Man hat 
sich bei allerlei komparativen Bemühungen an 
ein paar thematische Äußerlichkeiten gehalten 
und beispielsweise Edvard Munch an den Haaren 
herbeigezogen, weil manche frühe Bilder Thönys 
die düstere und melancholische Stimmung nord- 
ländischer Künstler zu atmen schienen, mögli- 
cherweise auch, weil Thöny seine Sympathie für 
den großen Norweger oft zum Ausdruck brachte. 
Doch fehlt allen Werken der zwanziger Jahre, 
darunter auch dem berühmten „Schulhaf", der 
für diese Schaffenszeit charakteristisch ist, iede 
stilistische Bindung an Munch. Bei Thöny wird die 
Bi-nnenzeichnung von der Farbe zugedeckt rund 
die lineare Bedeutung der Umrisse durch block- 
haft gesetzte Farbflöchen vermindert. Erst später 
wieder werden Punkt und Linie als reine und 
artikulierende Elemente hervorgehoben. Das 
Schwermiitige in den frühen Werken Thönys, das 
immer noch aiuf den deutschen Expressionismus 
hinweist, steht Dostojewski näher als Munch und 
hat damit literarische Wurzeln. Thönys Malerei 
ist zu dieser Zeit eine Kunst des sozialen Gewis- 
sens, sie nimmt Anteil an Armut und Elend der 
menschlichen Kreatur, sie erweckt Mitleid. Das 
alles ist weit entfernt von Munchs transzendie- 
rendem Eros und seiner todbereiten Liebe in den 
Mittsommernächten. 
Thöny war kein Gespensterseher wie sein Freund 
Alfred Kubin, auch wenn die Lebewesen in sei- 
nen Bildern oft vor gespenstischen Hintergrün- 
den agieren. Mit Kubin verbindet ihn auch die 
Eigenständigkeit und Unvergleichbarkeit, der 
zeichnerische Antrieb, der immer mehr den Strich 
als bildgestaltendes Prinzip akzentuiert. Doch ist 
die Ausstrahlung beider Künstlersehrverschieden. 
Auf eine etwas kühne Kurzformel gebracht: Kubin 
ist gotischer, Thöny mehr naturalistisch, das Wort 
im Sinne von „Nähe zur Natur" gebraucht. 
Das zeigt auch der bekannte Beethoven-Zyklus 
Thönys, eine Folge subtiler Bleistiftzeichnungen, 
die eine äußerst merkwürdige und bis ins Soma- 
tische und Gestische reichende Selbstidentifizie- 
rung des Malers mit dem Gegenstand seiner Be- 
wunderung enthüllen. Nie gab es bis dahin in 
der bildenden Kunst einen wirklicheren und na- 
türlicheren Beethoven, fernab aller pathetischen 
Verklärung, die sich so oft im megalomanen 
Enthusiasmus unkritischer Köpfe erschöpft. 
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