Für den Kunstsammler
Kurt Rossacher
Das Sammeln barocker Kleinplastik
Wenn wir heute zum Sammeln von Statuetten des
17. und 1B. Jahrhunderts anregen, wird man fragen,
0b ein solches Vorhaben heute noch realisierbar sei.
Schrittweise und unter ständiger Beobachtung eines
hauptstädtischen Marktes und seiner besten ein-
schlägigen Geschäfte ist im Laufe von Jahren eine
solche Sammlung auch heute realisierbar. Die Preise
sind freilich relativ hoch. Doch es kommt nicht dar-
auf an, einem bestimmten Meister zugeschriebene
Stücke zu erwerben, sondern man soll das hochran-
gige unbestimmte Obiekt suchen.
Welches sind brauchbare Kriterien, nach denen man
dabei vorgehen möge? Man beachte, daß das be-
deutende Stück im kleinen Format innere Monumen-
talitüt besitze, so daß man vor einer Fotografie des
Stückes an ein wesentlich größeres - wenn nicht
sogar lebensgroßes Werk denken würde. Wichtig
ist die Drehbarkeit, die Mehransichtigkeit des Wer-
kes. Suchen Sie unter ständigem Drehen die schönen
Ansichten und meiden Sie Skulpturen, die nur eine
einzige brauchbare Vorderansicht haben. Das Höch-
ste ist die vollruncl konzipierte Figur, die bis zu acht
künstlerisch bedeutende Visierungen besitzt. Bei der
Holzplastik ist oft die Rückseite skizzenhaft ange-
legt. Am Geist dieser Skizze zeigt sich der Meister,
rückwärts lieblos abgeflachte Figuren sind oft Schü-
lerarbeiten. Beachten Sie auch die oft vorkommende
Untersichtigkeit eines Werkes, das erst in einer be-
stimmten Höhe seine Qualität zeigt. In Elfenbein
und in den Harthölzern Buchs und Birne gibt es
wahre Köstlichkeiten, meist iedoch von Meistern
des kleinen Formats, die das harte Material in
mühevoller Ausdauer meistern. In Weichholz gibt
es oft überraschende, schnell konzipierte Entwürfevon
Großplastiken. Unter den Kleinformaten gibt es vor
allem immer wieder Modelle für Großplastiken,
welche dem Auftraggeber vorgelegt wurden. Sie
atmen die monumentale Kraft des größeren ausge-
führten Werkes. - Ein besonders interessantes Teil-
gebiet sind die Bozzetti, die meist nur flächig be-
hauenen oder flüchtig in Ton gearbeiteten Entwürfe
für Großplastik. Sie sind Skizzen, welche der Mei-
ster in seiner Werkstatt in seiner Auseinanderset-
zung mit dem Auftrag anfertigte. Wie iedes Sam-
meln muß auch auf diesem Gebiete Selbststudium
weiterhelfen, einschlägige Literatur und vor allem
der Besuch von Museen, die solche Werke besitzen,
wie das Kunsthistorische Museum in Wien oder das
Bayerische Nationalmuseum in München.
Die Aufstellung dieser kleinen Schätze muß nicht
hinter Glas in Vitrinen erfolgen. Besonders schön
eignen sich dafür die heutigen modernen Wondein-
bauten, wo die Plastiken zusammen mit Büchern
aufgestellt werden. Doch auch ein großer Barock-
schrank, der innen beleuchtet ist, eignet sich wie ein
Schatzhaus zur Aufnahme solcher Sammelstücke.
Das Wichtigste ist, doß der Interessierte an die Mög-
lichkeit des Fundes glaubt und offenen erlebnis-
bereiten Auges den Markt erforscht.
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