wurden, wobei der Konflikt sich soeben erst zu
artikulieren beginnt, also seit unter Bürgern,
Planern und (in begrenztem Maße) auch Poli-
tikern eine gewisse Sensibilität für Funktions-
widersprüche im Organismus einer Stadt ver-
breitet ist.
Politisch durchsetzbar wurden die Wünsche der
betroffenen Bevölkerung, zumal der von Ver-
treibung bedrohten angestammten Bewohner,
allerdings erst, als Verwaltung und Politiker eine
vordem für unmöglich gehaltene Trendumkehr
der Bevälkerungsentwicklung seit 1972 festzu-
stellen hatten. Wie verschiedene andere bundes-
deutsche Großstädte auch, hat München eine ne-
gative Bevölkerungsentwicklung in dreifacher
Hinsicht: 1. Das seit 1964 herrschende Geburten-
defizit der deutschen Stadtbevölkerung wird nicht
mehr von Wanderungsgewinnen deutscher Zu-
wanderer aufgewogen. 2. Immer mehr einkom-
mensstarke (d. h. steuerkräftige) Angehörige mitt-
Ierer und höherer Schichten, die meisten mit
Kindern, verlassen die Stadt und ziehen ins Um-
Iand. 3. In iüngster Zeit ist sogar der weitere
Zuzug von Ausländern, bisher eher mißmutig
registriert, durch die wirtschaftliche Rezession in
Frage gestellt?
Zwei Gegenmaßnahmen hat die Münchner Stadt-
verwaltung bisher getroffen. Die eine, die sozu-
sagen defensive, ist die sogenannte Zweckent-
fremdungsverordnung, die verbietet, bisher als
Wohnungen genutzte Räume anderen Nutzun-
gen zuzuführen. Die andere ist der Beschluß der
Stadt, die lnnenstadtrandgebiete allmählich zu
sanieren.
ll. Sanierung in München
Erfreulicherweise sind selbst iene Gebiete, die in
München als sanierungsbedürftig gelten, vom
Bauzustand her im internationalen Vergleich im-
mer noch erträglich, von der Wohnungsausstat-
tung her unbefriedigend, aber zumindest in der
Sozialstruktur im wesentlichen intakt, wobei der
auch im Münchner Planungsdenken bisweilen
enthaltenen Unterstellung entschieden zu wider-
sprechen wäre, nämlich daß die Massierung von
Ausländern an sich schon ein sanierungsbedürf-
tiger Nachteil sei. Ein Großteil der Münchner
Sanierungsimpulse zielt weniger gegen eine be-
reits eingetretene Slumbild-ung ab als vielmehr
gegen die tatsächlich spürbare Tendenz der
Citybildung, also der immer intensiveren kapital-
gesteuerten, auf Gewinnmaximierung bedachten
Sondernutzung der Stadtfläche. Die Strategie
ist demnach, weitere Citybildung durch ein Sy-
stem lebenskräftiger Stadtviertel abzublacken.
Die erste größere Sanierungsmaßnahme im Sinne
des Städtebauförderungsgesetzes (StBouFG) vom
27. Juli 1971 hat München bereits 1971 ins Auge
gefaßt, beginnt sie aber „wegen fehlender Mit-
tel im städtischen Haushalt" erst seit 1973174
konkreter zu planen und vorzubereitenf. Dem
politischen Hintergrundverständnis für das Ti-
ming solcher Entwicklungen dient vielleicht die
Ansicht, daß wohl die erwähnte ungünstige Ent-
wicklung der Bevölkerungsstruktur die erforder-
liche Umschichtung der Haushaltsmittel (um et-
was anderes als Prioritätenänderung handelt es
sich ja nicht) politisch durchsetzbar gemacht hat,
allenfalls zusammen mit dem sich nur sd1ritt-
weise verstärkenden „Planungsbewußtsein" der
Öffentlichkeit.
1 Voraussetzungen der Sanierung
1.1 Rechtliche Voraussetzungen: Grundlage die-
ses wie der meisten anderen Sanierungsproiekte
in der BRD ist der im StBouFG dargelegte Vor-
gang. Ziel ist darin, „daß I. die bauliche Struk-
tur in allen Teilen des Bundesgebietes nach den
sozialen, hygienischen, wirtschaftlichen uncl kul-
46
turellen Erfordernissen entwickelt wird, 2. die
Verbesserung der Wirtschafts- und Agrarstruk-
tur unterstützt wird oder 3. die Siedlungsstruk-
tur den Anforderungen an gesunde Lebens- und
Arbeitsbedingungen der Bevölkerung ent-
spricht". Die Sanierung verläuft, verkürzt dar-
gestellt, in den folgenden Rechts- und Verwal-
tungsschritten: Vorbereitende Untersuchung und
förmliche Festlegung des Sanierungsgebietes,
Aufstellung eines Sozialplanes für die Betroffe-
nen (Mieter, Pächter und Eigentümer), Erörterung
der Neugestaltung des Sanierungsgebietes mit
den Betroffenen, Aufstellen eines Bebauungs-
planes, Ordnungs- und Baumaßnahmen, ferner
eine Reihe bodenrechtlicher Vorschriften wie
besonders Umlegungsverfahren, Vorkaufsrecht
der Gemeinde,gemeindliches Grunderwerbsrecht,
Abbruch-, Bau- und Modernisierungsgebot, Ent-
eignungsvorschriften, Aufhebung der förmlichen
Festlegung des Sanierungsgebietes.
Die Kosten der Sanierung tragen zu ie einem
Drittel Bund, Land und Gemeinde. Laut Q 71
StBouFG hat der Bund für den Zeitraum 1971 bis
1973 insgesamt 450 Millionen DM zur Sanie-
rungsförderung bereitgestellt, weitere Mittel er-
scheinen danach in den allgemeinen Haushal-
ten. Die Kosten der Neubebauung und der Er-
satzbauten trägt der Eigentümer als Bauherr,
bei Bedarf mit Finanzierungshilfe und -beratung
durch die Gemeinde.
Voraussetzung für die Erklärung eines Gebietes
zum Sanierungsgebiet ist das Vorhandensein
„städtebaulicher Mißstände". Nach Q 3 StBouFG
sind dabei „die Wohn- und Arbeitsverhältnisse
oder die Sicherheit der in diesem Gebiet woh-
nenden und arbeitenden Menschen" und „die
Funktionsfähigkeit des Gebietes" in bezug auf
Verkehr, wirtschaftliche Situation und Entwick-
lungsfähigkeit sowie infrastrukturelle Erschlie-
ßung zu berücksichtigen.
Leider ist es hier unmöglich, auf das StBouFG
näher einzugehen. Zusammenfassend darf man
aber sagen, daß es ein praxisnahes Gesetz ist,
eine Mehrzahl von Sicherungen gegen soziale
Härten enthält, Grundstücksspekulationen (soge-
nannte Planungswertsteigerungen) Zumindest
theoretisch verhindert, auf soziale Kontinuität
der gewachsenen Gebiete achtet, für soziale
Mieten sorgt und schließlich die Lasten einiger-
maßen erträglich verteilt. Die Gemeinden haben
im StBouFG ein Instrument erhalten, das eine
behutsame, zukunftsorientierte und letztlich stär-
ker gesellschaftlich integrierende Nutzung be-
bauten Bodens erlaubt. Nicht vergessen seien
auch (ene Bestimmungen des Gesetzes,die selbst-
herrliches Bürokratenhandeln verhindern und die
Betroffenen zur Mitsprache ermuntern sollen, ia,
Mitspracherechte sogar zwingend vorschreiben.
1.2 Stadtgeographische und wirtschaftliche Vor-
aussetzungen der Münchner Sanierungsgebiete:
Zwei Viertel des „Innenstadtrandgebietes" hat
die Münchner Planung seinerzeit in die engere
Wahl genommen, Westend (Abb. 2, Gebiet ll)
und Haidhausen-Süd (Abb. 2., südlicher Teil von
Gebiet III). Als erstes soll der Stadtteil Haid-
hausen-Süd (84 ha Fläche) saniert werden, doch
ist die förmliche Festlegung als Sanierungsge-
biet bei Redaktionsschluß dieses Artikels noch
nicht beschlossen.
Die stadtgeogrophischen Gründe der Sanierungs-
bedürftigkeit von Haidhausen-Süd sind beispiel-
haft: Einerseits dringen vom Westen, von der
Altstadt her, überregionale Nutzungen in das
bisherige Wohnviertel hinein, andererseits ist
vom Osten her, von dem durch den S-Bahn-Ver-
kehr stark aufgewerteten Ostbahnhof (in ihm
bündeln sich fünf S-Bahnlinien), ein ähnlicher
Druck zu erkennen, nämlich die Tendenz zur
Entwicklung eines Einkaufszentrums. Zum wirt-
schaftlichen Aspekt wäre noch festzuhalte
dieser Stadtteil der Markt für rund 80.01
wohner anderer Stadtteile und des Um
ist'. Dadurch, daß die S-Bahn Haidhause
ser an das Zentrum anbindet, sind auch c
teristische Nutzungsänderungen bzw. Stei
gen der Grundstückspreise und Ladenmie
verzeichnen, beispielsweise in der an t
Bahn-Haltestelle Rosenheimer Platz entst
kleinen Fußgängerzone (die einige Politike
Einsicht in die nachteiligen Zusammenhäng
erweitern wollen - allein diese Erwartur
im fraglichen Gebiet die Ladenmiete v
auf 20 DMlqm hinaufgetrieben].
Haidhausen-Süd setzt sich aus fünf versr
nen, in sich aber homogenen baulichen
chen zusammen; es sind dies „Reste der
Iichen Bebauung; Gründerzeitbebauung l
tensiv gewerblich genutzten Hinterhöfen; '
bebauung, die nach der Gründerzeit entst
ist; Gewerbegebiete; Bereiche öffentliche
zung"".
1.3 Haidhausen-Süd - Bevölkerungsanaly:
Wahnqualität: Die Einwohnerzahl dieses
teiles ist seit Jahrzehnten rückläufig, sie
im Jahre 1972 (letzte veröffentlichte Ar
19.575, gegen noch rund 23.000 Einwohr
Jahre 1961. Nur 11,7 Prozent der Bevöll
sind iünger als 15 Jahre (Münchner Durch
14,6 Prozent), hingegen 19 Prozent im R
alter (Höchstwert in München). Annähernd
vierte Einwohner lebt von einer Pension,
oder Arbeitslosenunterstützung. Die Erwe
välkerung (Erwerbsquote 54 Prozent] best
47 Prozent aus Arbeitern, das ist der vierth
Anteilsatz in München. Der Stadtbezirk
bietet rund 8000 Arbeitsplätze. Weiterfül
Schulen gibt es im Bezirk keine; rund zwe
tel der Bevölkerung haben nur Volkssc
schluß (zweithöchster Anteilsatz in Münche
Die zur Sanierung des Bezirkes ausgearl
Grundlagenuntersuchung „Münchner Oster
rakterisiert dessen Struktur folgenderrr
„Auf 0,27 Prozent der Fläche des Stadtge
leben 1,47 Prozent der Münchner Bevölk
Damit weist Haidhausen-Süd mit 234,0 Ei
nerlha die vierthöchste Einwohnerdichte
Münchner Stadtbezirke auf bei gleichzeitig
ster Arbeitsplatzdichte außerhalb der Cit
heißt intensiver Verflechtung von Wohne
Arbeiten"?
Von den 7344 Wohnungen sind 58 Prozent
Bad, nur 12 Prozent haben Sammelheizung
Prozent haben kein eigenes WC; rund
20 Prozent der Bevölkerung leben in Rück
Hofgebäuden", die sowohl in ihrer Belii
und Belüftung benachteiligt sind wie auch
ihre niedrige Bauweise (Rauchabzug) zu
Belästigung der Anwohner werden.
80 Prozent der Wohnungen sind vor 19'
richtet, davon drei Viertel vor 1900, 2 PI
stammen aus der Zeit von 1919 bis 1941
18 Prozent aus den Jahren seit 1948. Mit l
Zahlen liegt Haidhausen-Süd, was das
nungsalter betrifft, an zweitschlechtester
im ganzen Stadtgebiet". Eine Geböudeur
chung hat ergeben, daß ein weit über 51
zent liegender Geböudeanteil in die Koteg
Reporaturbedürftig, Mangelhaft und
schlecht eingereiht werden muß ".
2 Ziele der Sanierung in Haidhausen
Im Gegensatz zu der in München bis zum
der sechziger Jahre herrschenden Neigung
den Citybereich hinaus Kernnutzungsgebiet
zuweisen, besteht für Haidhausen nunmei
Absicht, den Charakter und das hergebi
Lebensgefühl des Bezirkes durch die Sani
nicht zu verändern, sondern vor allem mo