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Volltext: Alte und Moderne Kunst XIX (1974 / Heft 136 und 137)

wurden, wobei der Konflikt sich soeben erst zu 
artikulieren beginnt, also seit unter Bürgern, 
Planern und (in begrenztem Maße) auch Poli- 
tikern eine gewisse Sensibilität für Funktions- 
widersprüche im Organismus einer Stadt ver- 
breitet ist. 
Politisch durchsetzbar wurden die Wünsche der 
betroffenen Bevölkerung, zumal der von Ver- 
treibung bedrohten angestammten Bewohner, 
allerdings erst, als Verwaltung und Politiker eine 
vordem für unmöglich gehaltene Trendumkehr 
der Bevälkerungsentwicklung seit 1972 festzu- 
stellen hatten. Wie verschiedene andere bundes- 
deutsche Großstädte auch, hat München eine ne- 
gative Bevölkerungsentwicklung in dreifacher 
Hinsicht: 1. Das seit 1964 herrschende Geburten- 
defizit der deutschen Stadtbevölkerung wird nicht 
mehr von Wanderungsgewinnen deutscher Zu- 
wanderer aufgewogen. 2. Immer mehr einkom- 
mensstarke (d. h. steuerkräftige) Angehörige mitt- 
Ierer und höherer Schichten, die meisten mit 
Kindern, verlassen die Stadt und ziehen ins Um- 
Iand. 3. In iüngster Zeit ist sogar der weitere 
Zuzug von Ausländern, bisher eher mißmutig 
registriert, durch die wirtschaftliche Rezession in 
Frage gestellt? 
Zwei Gegenmaßnahmen hat die Münchner Stadt- 
verwaltung bisher getroffen. Die eine, die sozu- 
sagen defensive, ist die sogenannte Zweckent- 
fremdungsverordnung, die verbietet, bisher als 
Wohnungen genutzte Räume anderen Nutzun- 
gen zuzuführen. Die andere ist der Beschluß der 
Stadt, die lnnenstadtrandgebiete allmählich zu 
sanieren. 
ll. Sanierung in München 
Erfreulicherweise sind selbst iene Gebiete, die in 
München als sanierungsbedürftig gelten, vom 
Bauzustand her im internationalen Vergleich im- 
mer noch erträglich, von der Wohnungsausstat- 
tung her unbefriedigend, aber zumindest in der 
Sozialstruktur im wesentlichen intakt, wobei der 
auch im Münchner Planungsdenken bisweilen 
enthaltenen Unterstellung entschieden zu wider- 
sprechen wäre, nämlich daß die Massierung von 
Ausländern an sich schon ein sanierungsbedürf- 
tiger Nachteil sei. Ein Großteil der Münchner 
Sanierungsimpulse zielt weniger gegen eine be- 
reits eingetretene Slumbild-ung ab als vielmehr 
gegen die tatsächlich spürbare Tendenz der 
Citybildung, also der immer intensiveren kapital- 
gesteuerten, auf Gewinnmaximierung bedachten 
Sondernutzung der Stadtfläche. Die Strategie 
ist demnach, weitere Citybildung durch ein Sy- 
stem lebenskräftiger Stadtviertel abzublacken. 
Die erste größere Sanierungsmaßnahme im Sinne 
des Städtebauförderungsgesetzes (StBouFG) vom 
27. Juli 1971 hat München bereits 1971 ins Auge 
gefaßt, beginnt sie aber „wegen fehlender Mit- 
tel im städtischen Haushalt" erst seit 1973174 
konkreter zu planen und vorzubereitenf. Dem 
politischen Hintergrundverständnis für das Ti- 
ming solcher Entwicklungen dient vielleicht die 
Ansicht, daß wohl die erwähnte ungünstige Ent- 
wicklung der Bevölkerungsstruktur die erforder- 
liche Umschichtung der Haushaltsmittel (um et- 
was anderes als Prioritätenänderung handelt es 
sich ja nicht) politisch durchsetzbar gemacht hat, 
allenfalls zusammen mit dem sich nur sd1ritt- 
weise verstärkenden „Planungsbewußtsein" der 
Öffentlichkeit. 
1 Voraussetzungen der Sanierung 
1.1 Rechtliche Voraussetzungen: Grundlage die- 
ses wie der meisten anderen Sanierungsproiekte 
in der BRD ist der im StBouFG dargelegte Vor- 
gang. Ziel ist darin, „daß I. die bauliche Struk- 
tur in allen Teilen des Bundesgebietes nach den 
sozialen, hygienischen, wirtschaftlichen uncl kul- 
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turellen Erfordernissen entwickelt wird, 2. die 
Verbesserung der Wirtschafts- und Agrarstruk- 
tur unterstützt wird oder 3. die Siedlungsstruk- 
tur den Anforderungen an gesunde Lebens- und 
Arbeitsbedingungen der Bevölkerung ent- 
spricht". Die Sanierung verläuft, verkürzt dar- 
gestellt, in den folgenden Rechts- und Verwal- 
tungsschritten: Vorbereitende Untersuchung und 
förmliche Festlegung des Sanierungsgebietes, 
Aufstellung eines Sozialplanes für die Betroffe- 
nen (Mieter, Pächter und Eigentümer), Erörterung 
der Neugestaltung des Sanierungsgebietes mit 
den Betroffenen, Aufstellen eines Bebauungs- 
planes, Ordnungs- und Baumaßnahmen, ferner 
eine Reihe bodenrechtlicher Vorschriften wie 
besonders Umlegungsverfahren, Vorkaufsrecht 
der Gemeinde,gemeindliches Grunderwerbsrecht, 
Abbruch-, Bau- und Modernisierungsgebot, Ent- 
eignungsvorschriften, Aufhebung der förmlichen 
Festlegung des Sanierungsgebietes. 
Die Kosten der Sanierung tragen zu ie einem 
Drittel Bund, Land und Gemeinde. Laut Q 71 
StBouFG hat der Bund für den Zeitraum 1971 bis 
1973 insgesamt 450 Millionen DM zur Sanie- 
rungsförderung bereitgestellt, weitere Mittel er- 
scheinen danach in den allgemeinen Haushal- 
ten. Die Kosten der Neubebauung und der Er- 
satzbauten trägt der Eigentümer als Bauherr, 
bei Bedarf mit Finanzierungshilfe und -beratung 
durch die Gemeinde. 
Voraussetzung für die Erklärung eines Gebietes 
zum Sanierungsgebiet ist das Vorhandensein 
„städtebaulicher Mißstände". Nach Q 3 StBouFG 
sind dabei „die Wohn- und Arbeitsverhältnisse 
oder die Sicherheit der in diesem Gebiet woh- 
nenden und arbeitenden Menschen" und „die 
Funktionsfähigkeit des Gebietes" in bezug auf 
Verkehr, wirtschaftliche Situation und Entwick- 
lungsfähigkeit sowie infrastrukturelle Erschlie- 
ßung zu berücksichtigen. 
Leider ist es hier unmöglich, auf das StBouFG 
näher einzugehen. Zusammenfassend darf man 
aber sagen, daß es ein praxisnahes Gesetz ist, 
eine Mehrzahl von Sicherungen gegen soziale 
Härten enthält, Grundstücksspekulationen (soge- 
nannte Planungswertsteigerungen) Zumindest 
theoretisch verhindert, auf soziale Kontinuität 
der gewachsenen Gebiete achtet, für soziale 
Mieten sorgt und schließlich die Lasten einiger- 
maßen erträglich verteilt. Die Gemeinden haben 
im StBouFG ein Instrument erhalten, das eine 
behutsame, zukunftsorientierte und letztlich stär- 
ker gesellschaftlich integrierende Nutzung be- 
bauten Bodens erlaubt. Nicht vergessen seien 
auch (ene Bestimmungen des Gesetzes,die selbst- 
herrliches Bürokratenhandeln verhindern und die 
Betroffenen zur Mitsprache ermuntern sollen, ia, 
Mitspracherechte sogar zwingend vorschreiben. 
1.2 Stadtgeographische und wirtschaftliche Vor- 
aussetzungen der Münchner Sanierungsgebiete: 
Zwei Viertel des „Innenstadtrandgebietes" hat 
die Münchner Planung seinerzeit in die engere 
Wahl genommen, Westend (Abb. 2, Gebiet ll) 
und Haidhausen-Süd (Abb. 2., südlicher Teil von 
Gebiet III). Als erstes soll der Stadtteil Haid- 
hausen-Süd (84 ha Fläche) saniert werden, doch 
ist die förmliche Festlegung als Sanierungsge- 
biet bei Redaktionsschluß dieses Artikels noch 
nicht beschlossen. 
Die stadtgeogrophischen Gründe der Sanierungs- 
bedürftigkeit von Haidhausen-Süd sind beispiel- 
haft: Einerseits dringen vom Westen, von der 
Altstadt her, überregionale Nutzungen in das 
bisherige Wohnviertel hinein, andererseits ist 
vom Osten her, von dem durch den S-Bahn-Ver- 
kehr stark aufgewerteten Ostbahnhof (in ihm 
bündeln sich fünf S-Bahnlinien), ein ähnlicher 
Druck zu erkennen, nämlich die Tendenz zur 
Entwicklung eines Einkaufszentrums. Zum wirt- 
schaftlichen Aspekt wäre noch festzuhalte 
dieser Stadtteil der Markt für rund 80.01 
wohner anderer Stadtteile und des Um 
ist'. Dadurch, daß die S-Bahn Haidhause 
ser an das Zentrum anbindet, sind auch c 
teristische Nutzungsänderungen bzw. Stei 
gen der Grundstückspreise und Ladenmie 
verzeichnen, beispielsweise in der an t 
Bahn-Haltestelle Rosenheimer Platz entst 
kleinen Fußgängerzone (die einige Politike 
Einsicht in die nachteiligen Zusammenhäng 
erweitern wollen - allein diese Erwartur 
im fraglichen Gebiet die Ladenmiete v 
auf 20 DMlqm hinaufgetrieben]. 
Haidhausen-Süd setzt sich aus fünf versr 
nen, in sich aber homogenen baulichen 
chen zusammen; es sind dies „Reste der 
Iichen Bebauung; Gründerzeitbebauung l 
tensiv gewerblich genutzten Hinterhöfen; ' 
bebauung, die nach der Gründerzeit entst 
ist; Gewerbegebiete; Bereiche öffentliche 
zung"". 
1.3 Haidhausen-Süd - Bevölkerungsanaly: 
Wahnqualität: Die Einwohnerzahl dieses 
teiles ist seit Jahrzehnten rückläufig, sie 
im Jahre 1972 (letzte veröffentlichte Ar 
19.575, gegen noch rund 23.000 Einwohr 
Jahre 1961. Nur 11,7 Prozent der Bevöll 
sind iünger als 15 Jahre (Münchner Durch 
14,6 Prozent), hingegen 19 Prozent im R 
alter (Höchstwert in München). Annähernd 
vierte Einwohner lebt von einer Pension, 
oder Arbeitslosenunterstützung. Die Erwe 
välkerung (Erwerbsquote 54 Prozent] best 
47 Prozent aus Arbeitern, das ist der vierth 
Anteilsatz in München. Der Stadtbezirk 
bietet rund 8000 Arbeitsplätze. Weiterfül 
Schulen gibt es im Bezirk keine; rund zwe 
tel der Bevölkerung haben nur Volkssc 
schluß (zweithöchster Anteilsatz in Münche 
Die zur Sanierung des Bezirkes ausgearl 
Grundlagenuntersuchung „Münchner Oster 
rakterisiert dessen Struktur folgenderrr 
„Auf 0,27 Prozent der Fläche des Stadtge 
leben 1,47 Prozent der Münchner Bevölk 
Damit weist Haidhausen-Süd mit 234,0 Ei 
nerlha die vierthöchste Einwohnerdichte 
Münchner Stadtbezirke auf bei gleichzeitig 
ster Arbeitsplatzdichte außerhalb der Cit 
heißt intensiver Verflechtung von Wohne 
Arbeiten"? 
Von den 7344 Wohnungen sind 58 Prozent 
Bad, nur 12 Prozent haben Sammelheizung 
Prozent haben kein eigenes WC; rund 
20 Prozent der Bevölkerung leben in Rück 
Hofgebäuden", die sowohl in ihrer Belii 
und Belüftung benachteiligt sind wie auch 
ihre niedrige Bauweise (Rauchabzug) zu 
Belästigung der Anwohner werden. 
80 Prozent der Wohnungen sind vor 19' 
richtet, davon drei Viertel vor 1900, 2 PI 
stammen aus der Zeit von 1919 bis 1941 
18 Prozent aus den Jahren seit 1948. Mit l 
Zahlen liegt Haidhausen-Süd, was das 
nungsalter betrifft, an zweitschlechtester 
im ganzen Stadtgebiet". Eine Geböudeur 
chung hat ergeben, daß ein weit über 51 
zent liegender Geböudeanteil in die Koteg 
Reporaturbedürftig, Mangelhaft und 
schlecht eingereiht werden muß ". 
2 Ziele der Sanierung in Haidhausen 
Im Gegensatz zu der in München bis zum 
der sechziger Jahre herrschenden Neigung 
den Citybereich hinaus Kernnutzungsgebiet 
zuweisen, besteht für Haidhausen nunmei 
Absicht, den Charakter und das hergebi 
Lebensgefühl des Bezirkes durch die Sani 
nicht zu verändern, sondern vor allem mo
	        
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