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Volltext: Alte und Moderne Kunst XIX (1974 / Heft 136 und 137)

bensqualität in dieser Stadt verbessert werden 
kannu." 
„Stadtentwicklungsplanung ist kein Podium für- 
Diskussionen über Systemveränderungen?" 
(Grundsatz 1 des Münchner Stadtentwicklungs- 
planes 1974.) 
München gehört zu den Städten, die sich nach 
den Bambenzerstörungen des zweiten Welt- 
krieges (40 Prozent Zerstörungen) dafür ent- 
schieden hoben, ihr Stadtbild in iiberkammener 
Form wiederaufzubauen. Es wäre heute müßig, 
darüber zu streiten, ob den Ausschlag für diese 
Entscheidung die geringe Wirtschaftskraft der 
Nachkriegszeit, die Suggestivkraft der histori- 
schen Lösungen (König Ludwigs l. „lsar-Athen") 
oder der Beharrungswille des baiuwarischen 
Stammes gegeben hat. Tatsache ist, daß bis zum 
Stadtentwicklungsplan 1963 das mittelalterliche 
Raumgefüge Münchens, die Prachtbauten vor 
allem der Ausdehnungsphase des 19. Jahrhun- 
derts und die monumentalen Straßenzüge sy- 
stematisch renoviert oder nach den zerstörten 
Vorbildern wiederaufgebaut wurden. Diese Ent- 
wickl-ung des monazentrischen München, das 
theoretisch nur an der Peripherie Neugestaltun- 
gen zuließ, wurde aber von einer Reihe von 
Faktoren gestört. Anhaltspunkte der Auseinan- 
dersetzung waren besonders zwei Projekte: 
1. der Plan, das zentrumnahe Wohngebiet „Lehel" 
zu einer Kernnutzungszone (Cityerweiterung) zu 
machen; 2. der Bau des Altstadtringes Nordost 
(geplant war damals, die ganze Altstadt mit 
einem autobahnähnlichen Straßenring zu um- 
geben). - Das Lehel bleibt erhalten, der Alt- 
stadtring Nordost wurde gebaut, er kündet ietzt 
dem Kraftfahrer (so einer seiner Planer wörtlich) 
von den „Erlebnisqualitäten des Autofahrens". 
Der Stadtentwicklungsplan 1974 versucht nun, 
die Ballungstendenzen zumindest abzubremsen, 
wenn schon nicht umzukehren, und zwar in Er- 
kenntnis folgender städtebaulicher Nachteile der 
bisherigen Entwicklung: 
i. Kaufhäuser und Büropaläste wurden zu „Do- 
minanten im Erscheinungsbild der zentralen Be- 
reiche". 2. Bauwerke mit eigenständigem Archi- 
tekturcharakter mußten standardisierten Neubau- 
ten weichen. 3. Die Funktianstrennung griff im- 
mer mehr -um sich (Entmischung der Stadtteile). 
4. lndividualverkehr verschlechterte die Wohn- 
bedingungen in der Innenstadt. Grundstücksspe- 
kulation verhinderte die organische Erneuerung 
familiengerechter Wohnbauten in zentralen La- 
gen. 5. Die Wohnsiedlungen im Außenraum sind 
eintönig und entbehren ieder urbanen Identifi- 
katiansmöglichkeit. 
Daraus ergab sich für den Stadtentwicklungsplan 
1974 unter dem Gesichtspunkt, die Qualität des 
öffentlichen Raumes zu verbessern, eine Reihe 
von Zielen; die wichtigsten darunter sind Er- 
haltung der Originalität als Ausdruck der Ge- 
schichte der Stadt; lndividualität durch Vielfalt 
an Gebäuden und Raumtypen; Identifikations- 
hilfen in Form eindeutig unterscheidbarer Merk- 
male und Wahrzeichen; Einbeziehen von Straßen 
und Plätzen in den Lebensbereich der Bewoh- 
ner (Kraftverkehrsnutzung nur sekundär). Diese 
Ziele führen zu der - in München übrigens kei- 
neswegs neuen - Forderung, die gewachsenen 
Strukturen, wie z. B. alte Darfkerne, zu einem 
System von Stadtteilzentren heranziubilden. Daß 
die Erhaltung der Gestaltqualität, etwa in den 
alten Dorfkernen, und gleichzeitig ihre Aufwer- 
tung zu Stadtteilzentren ein Widerspruch ist, ha- 
ben Kritiker bereits deutlich gemacht", nicht zu- 
letzt deshalb, weil der Spekulationsdnudc die 
denkmalpflegerischen und sonstigen beruhigen- 
den Maßnahmen durchkreuzen wird. Immerhin 
gilt es als Absicht anzuerkennen: „Die Qualitä- 
ten historischer Stadtbereidie, die in den Maß- 
50 
stäben, den Raumlösungen, den Fassadengestal- 
tungen und der noch teilweise vorhandenen Be- 
pflanzung van Straßenzügen und Platzanlagen 
liegen, sind Werte, die nidit ersetzbar sind und 
daher keinesfalls dem Fortschritt geopfert wer- 
den sollen 1'." Dabei sind in den Plan ei-nige Ma- 
ximalforderungen geraten, die zu konservatori- 
schen Übertreibungen führen könnten. Var allem 
ist ein Großteil der Altstadt und der angrenzen- 
den Gebiete kartographisch mit einer Legende 
ausgewiesen: „lnnenstadtrandgebiete mit vor- 
wiegend geschlossener Bauweise, die auf Grund 
ihrer Gestaltqualität zu erhalten sindfa." Prof. 
Fred Angerer vom Lehrstuhl für Städtebau der 
TU München knüpfte daran die Frage, ob hier 
der Versuch einer Festschreibung nicht zu weit 
getrieben sei. Die für den Plan Verantwortlichen 
replizieren, daß mit dieser Formulierung nur 
der Wunsch ausgedrückt sei, die Moßstäblichkeit 
der Bebauung, die Baulinien und das städte- 
bauliche Grundkonzept zu sichern. ln diesen 
Zusammenhang gehört auch die Absicht der Pla- 
ner, Hochbauten auf die Höhe des Baumbewuch- 
ses ziu beschränken - ein in München bis in die 
Mitte der sechziger Jahre im wesentlichen ein- 
gehaltener Usus. 
Keineswegs eindeutig sind die Meinungen der 
Münchner Fachleute zum Thema Fußgängerzone. 
Stellt die Fußgängerzone zwar einerseits eine 
Verkehrsberuhigung und damit eine zumindest 
indirekt konservatorische Maßnahme dar, so hat 
die Erfahrung doch andererseits gezeigt, daß die 
Fußgängerzone noch stärker kommerziell ge- 
nutzt wird als das gleiche Gebiet zuvor und daß 
andere Nutzungen, etwa solche, die idealisti- 
scherweise an die Polis- und Agora-Funktian 
anknüpften, sich kaum durchsetzen konnten. Ge- 
wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die 
Feststellung, daß bei den Geschäften außerhalb 
der Fußgängerzone - beginnend bei nur weni- 
gen hundert Metern Entfernung - der Umsatz 
um 40 Prozent zurückgegangen ist, ein Ergebnis 
also, das dem Grundgedanken der Streuung 
von Versorgungseinrichtungen geradezu entge- 
gengesetzt ist. 
IV. Sanierungsgebiete von morgen 
Ein leider nur zu häufiger Mißstand aller Stadt- 
planung ist es, daß die meisten Bauten von 
heute mit dem geistigen Rüstzeug von gestern 
errichtet werden, nidit nur wegen des iedem 
Fachmann bekannten Time lag zwischen Planung 
und Bauausführung, sondern auch, weil wir allzu 
sehr dazu neigen, zwar die Bausünden unserer 
Väter zu beklagen, unsere eigenen Lösungen 
iedoch ka-um jemals in Frage stellen lassen. Hier 
müßte die Forderung nach einer „alternativen 
Planung" für jedes wichtigere Bauwerk und 
stadtplanerische Konzept einsetzen. Die Ursa- 
chen der soeben angedeuteten Mißstände sind 
klar, es handelt sich darum, daß einmal die 
große Zahl der Architektur- und Stadtbenützer 
bis ietzt kein politisch durchsetzbares „Planungs- 
bewußtsein" entwickelt hat (ein solches Bewußt- 
sein muß politisch durchsetzbar sein, sonst ist 
es zum Scheitern verurteilt) und daß zum an- 
dern der Fachmann, der in der Regel Erfül- 
liungsgehilfe der Minorität privater oder öffent- 
licher Bauherren ist, zu folgendem Zirkelschluß 
neigt: Der Bürger hat nur wenig planerisches 
Vorstellungsvermögen (was übrigens von Wohn- 
baugesellschaften obiektiv nachgewiesen wurde), 
alsa brauchen wir ihn nicht zu fragen. Da der 
Bürger bisher aber so selten gefragt wurde, hat 
er auch keine Gelegenheit gehabt, sich Sach- 
verstand, ia überhaupt nur die Fähigkeit, seine 
Bedürfnisse zu artikulieren, zu erwerben. 
In diesem Sinne seien abschließend zwei Neu- 
bauten betrachtet, die teils durch Public rela- 
tions, teils durch architektonische Qualitä 
gefallen sind und dennoch als städtebc 
Ensembles bereits für eine Sanierungsan 
keit vorprogrammiert scheinen. Das eine i 
Einkaufszentrum und Apartmenthor 
„Schwabylon" in Nardschwabing. Das Ein 
zentrum hat es nicht vermacht, von dem 5 
binger Flair zu profitieren - es ist auch 
viel zu abseits gelegen -, und entwickelt 
in kurzer Zeit zu einem pressenotorischer 
erfolg. Gewichtiger dürfte das Schicksc 
15stöckigen Apartmenthauses sein. Diese t 
maschine steht beziehungslas neben eint 
Wohngebäuden der dreißiger Jahre un 
Nachkriegszeit; einelnteraktion findet nich 
Für das ungute Lebensgefühl im „Schwal 
zeugen zahlreiche Vandalismen (mit den 
putz ausgerissene Ganglichter, demolierte 
körper und dergleichen). Charakteristisch f 
städtebauliche Ambiente, mit dem sicl 
„Schwabylon"-Bewohner abfinden muß, i 
gegen aufgelassenes Bahngelände, Schrott 
und eine Autobahnauffahrt orientierte Rül 
(Abb. 13 und 14). 
Problematisch bleibt auch die in Sichtwei 
„Schwabylon" errichtete, architektonisch 
fellos hochinteressante Wohnanlage aus 
Teilen „Orpheus und Eurydike" des Archi 
Hans-Busso v. Busse, München. Abbildu 
wurde mit Absicht so gewählt, nicht etw 
den Eindruck dieses Obiektes böswillig l 
zusetzen, sondern um aus der Sicht des B 
ners zu zeigen, mit welchen „Gestalt- iunr 
weltquolitäten" sich dieser in seiner e 
Wohnumgebung auseinanderzusetzen ha 
Wohnanlage befindet sich im Hintergrur 
Bildmitte). Abbildung 16 will das Proble 
Maßstäblichkeit beleuchten: Für das ältere 
alte!) Nachbarhaus gilt, was die Sanierun 
ner in Haidhausen gerade abschaffen v 
Daß der Rauch den höher wohnenden Nai 
in die Wohnung quillt... Wie bei alle: 
iekten dieser Art bleibt zu fragen, wo de 
Bewohner des Hochhauses iene nachbai 
Sozialkontakte schließen sollen, die immer 
von der neueren Stadtforschung als wich 
das Funktionieren eines Stadtteiles und fi 
Wohlbefinden der einzelnen Bewohner bt 
tet werden. Vielleicht sollte städtebaulic 
antwortungsbewußte Architektur künftig rr 
diese Richtung gehen. 
Die Gründe, welche die Architekten sul 
drängen, unter Anerkennung der „Sachzw 
oft städtebauliche Kompromisse zu schl 
die sie selbst nur ungern vertreten, sinr 
Verfasser durchaus bekannt. Aber vielleich 
das Europäische Jahr des Denkmalschutze 
ein guter Anlaß, nicht nur in die Vergang 
zu blicken, sondern auch in die Gegenwa 
Zukunft. Auch bei uns, in unserer Gene 
müssen Bedingungen geschaffen werdei 
deren Hilfe wir uns und unseren Nach 
zuliebe nicht Zonen des Verschleißes erl 
sondern Stätten des verwurzelten und r 
wachsenden Lebens. Das wäre vermutlict 
die schlechteste Sinnerfüllung eines vorbi 
den Denkmalsch-utzes. 
Anmerkungen 27-30 
77 ebd. S. A-ll. 
" Der wohl fundierteste kritische Beitrag zum SEP 
bis ietlt die „Beiträge zum Münchner Stadtentwi 
alcn '74", Heft 11 [Juli 1974), der Sammlungsre 
Münchner Forums. 
" SEP '74, S. ll-6. 
5' ebd., Abb. ll-Q. 
j Unser Autor: 
Dr. Oskar Holl 
B München 90 
Lindenstr. 28
	        
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