bensqualität in dieser Stadt verbessert werden
kannu."
„Stadtentwicklungsplanung ist kein Podium für-
Diskussionen über Systemveränderungen?"
(Grundsatz 1 des Münchner Stadtentwicklungs-
planes 1974.)
München gehört zu den Städten, die sich nach
den Bambenzerstörungen des zweiten Welt-
krieges (40 Prozent Zerstörungen) dafür ent-
schieden hoben, ihr Stadtbild in iiberkammener
Form wiederaufzubauen. Es wäre heute müßig,
darüber zu streiten, ob den Ausschlag für diese
Entscheidung die geringe Wirtschaftskraft der
Nachkriegszeit, die Suggestivkraft der histori-
schen Lösungen (König Ludwigs l. „lsar-Athen")
oder der Beharrungswille des baiuwarischen
Stammes gegeben hat. Tatsache ist, daß bis zum
Stadtentwicklungsplan 1963 das mittelalterliche
Raumgefüge Münchens, die Prachtbauten vor
allem der Ausdehnungsphase des 19. Jahrhun-
derts und die monumentalen Straßenzüge sy-
stematisch renoviert oder nach den zerstörten
Vorbildern wiederaufgebaut wurden. Diese Ent-
wickl-ung des monazentrischen München, das
theoretisch nur an der Peripherie Neugestaltun-
gen zuließ, wurde aber von einer Reihe von
Faktoren gestört. Anhaltspunkte der Auseinan-
dersetzung waren besonders zwei Projekte:
1. der Plan, das zentrumnahe Wohngebiet „Lehel"
zu einer Kernnutzungszone (Cityerweiterung) zu
machen; 2. der Bau des Altstadtringes Nordost
(geplant war damals, die ganze Altstadt mit
einem autobahnähnlichen Straßenring zu um-
geben). - Das Lehel bleibt erhalten, der Alt-
stadtring Nordost wurde gebaut, er kündet ietzt
dem Kraftfahrer (so einer seiner Planer wörtlich)
von den „Erlebnisqualitäten des Autofahrens".
Der Stadtentwicklungsplan 1974 versucht nun,
die Ballungstendenzen zumindest abzubremsen,
wenn schon nicht umzukehren, und zwar in Er-
kenntnis folgender städtebaulicher Nachteile der
bisherigen Entwicklung:
i. Kaufhäuser und Büropaläste wurden zu „Do-
minanten im Erscheinungsbild der zentralen Be-
reiche". 2. Bauwerke mit eigenständigem Archi-
tekturcharakter mußten standardisierten Neubau-
ten weichen. 3. Die Funktianstrennung griff im-
mer mehr -um sich (Entmischung der Stadtteile).
4. lndividualverkehr verschlechterte die Wohn-
bedingungen in der Innenstadt. Grundstücksspe-
kulation verhinderte die organische Erneuerung
familiengerechter Wohnbauten in zentralen La-
gen. 5. Die Wohnsiedlungen im Außenraum sind
eintönig und entbehren ieder urbanen Identifi-
katiansmöglichkeit.
Daraus ergab sich für den Stadtentwicklungsplan
1974 unter dem Gesichtspunkt, die Qualität des
öffentlichen Raumes zu verbessern, eine Reihe
von Zielen; die wichtigsten darunter sind Er-
haltung der Originalität als Ausdruck der Ge-
schichte der Stadt; lndividualität durch Vielfalt
an Gebäuden und Raumtypen; Identifikations-
hilfen in Form eindeutig unterscheidbarer Merk-
male und Wahrzeichen; Einbeziehen von Straßen
und Plätzen in den Lebensbereich der Bewoh-
ner (Kraftverkehrsnutzung nur sekundär). Diese
Ziele führen zu der - in München übrigens kei-
neswegs neuen - Forderung, die gewachsenen
Strukturen, wie z. B. alte Darfkerne, zu einem
System von Stadtteilzentren heranziubilden. Daß
die Erhaltung der Gestaltqualität, etwa in den
alten Dorfkernen, und gleichzeitig ihre Aufwer-
tung zu Stadtteilzentren ein Widerspruch ist, ha-
ben Kritiker bereits deutlich gemacht", nicht zu-
letzt deshalb, weil der Spekulationsdnudc die
denkmalpflegerischen und sonstigen beruhigen-
den Maßnahmen durchkreuzen wird. Immerhin
gilt es als Absicht anzuerkennen: „Die Qualitä-
ten historischer Stadtbereidie, die in den Maß-
50
stäben, den Raumlösungen, den Fassadengestal-
tungen und der noch teilweise vorhandenen Be-
pflanzung van Straßenzügen und Platzanlagen
liegen, sind Werte, die nidit ersetzbar sind und
daher keinesfalls dem Fortschritt geopfert wer-
den sollen 1'." Dabei sind in den Plan ei-nige Ma-
ximalforderungen geraten, die zu konservatori-
schen Übertreibungen führen könnten. Var allem
ist ein Großteil der Altstadt und der angrenzen-
den Gebiete kartographisch mit einer Legende
ausgewiesen: „lnnenstadtrandgebiete mit vor-
wiegend geschlossener Bauweise, die auf Grund
ihrer Gestaltqualität zu erhalten sindfa." Prof.
Fred Angerer vom Lehrstuhl für Städtebau der
TU München knüpfte daran die Frage, ob hier
der Versuch einer Festschreibung nicht zu weit
getrieben sei. Die für den Plan Verantwortlichen
replizieren, daß mit dieser Formulierung nur
der Wunsch ausgedrückt sei, die Moßstäblichkeit
der Bebauung, die Baulinien und das städte-
bauliche Grundkonzept zu sichern. ln diesen
Zusammenhang gehört auch die Absicht der Pla-
ner, Hochbauten auf die Höhe des Baumbewuch-
ses ziu beschränken - ein in München bis in die
Mitte der sechziger Jahre im wesentlichen ein-
gehaltener Usus.
Keineswegs eindeutig sind die Meinungen der
Münchner Fachleute zum Thema Fußgängerzone.
Stellt die Fußgängerzone zwar einerseits eine
Verkehrsberuhigung und damit eine zumindest
indirekt konservatorische Maßnahme dar, so hat
die Erfahrung doch andererseits gezeigt, daß die
Fußgängerzone noch stärker kommerziell ge-
nutzt wird als das gleiche Gebiet zuvor und daß
andere Nutzungen, etwa solche, die idealisti-
scherweise an die Polis- und Agora-Funktian
anknüpften, sich kaum durchsetzen konnten. Ge-
wichtig in diesem Zusammenhang ist auch die
Feststellung, daß bei den Geschäften außerhalb
der Fußgängerzone - beginnend bei nur weni-
gen hundert Metern Entfernung - der Umsatz
um 40 Prozent zurückgegangen ist, ein Ergebnis
also, das dem Grundgedanken der Streuung
von Versorgungseinrichtungen geradezu entge-
gengesetzt ist.
IV. Sanierungsgebiete von morgen
Ein leider nur zu häufiger Mißstand aller Stadt-
planung ist es, daß die meisten Bauten von
heute mit dem geistigen Rüstzeug von gestern
errichtet werden, nidit nur wegen des iedem
Fachmann bekannten Time lag zwischen Planung
und Bauausführung, sondern auch, weil wir allzu
sehr dazu neigen, zwar die Bausünden unserer
Väter zu beklagen, unsere eigenen Lösungen
iedoch ka-um jemals in Frage stellen lassen. Hier
müßte die Forderung nach einer „alternativen
Planung" für jedes wichtigere Bauwerk und
stadtplanerische Konzept einsetzen. Die Ursa-
chen der soeben angedeuteten Mißstände sind
klar, es handelt sich darum, daß einmal die
große Zahl der Architektur- und Stadtbenützer
bis ietzt kein politisch durchsetzbares „Planungs-
bewußtsein" entwickelt hat (ein solches Bewußt-
sein muß politisch durchsetzbar sein, sonst ist
es zum Scheitern verurteilt) und daß zum an-
dern der Fachmann, der in der Regel Erfül-
liungsgehilfe der Minorität privater oder öffent-
licher Bauherren ist, zu folgendem Zirkelschluß
neigt: Der Bürger hat nur wenig planerisches
Vorstellungsvermögen (was übrigens von Wohn-
baugesellschaften obiektiv nachgewiesen wurde),
alsa brauchen wir ihn nicht zu fragen. Da der
Bürger bisher aber so selten gefragt wurde, hat
er auch keine Gelegenheit gehabt, sich Sach-
verstand, ia überhaupt nur die Fähigkeit, seine
Bedürfnisse zu artikulieren, zu erwerben.
In diesem Sinne seien abschließend zwei Neu-
bauten betrachtet, die teils durch Public rela-
tions, teils durch architektonische Qualitä
gefallen sind und dennoch als städtebc
Ensembles bereits für eine Sanierungsan
keit vorprogrammiert scheinen. Das eine i
Einkaufszentrum und Apartmenthor
„Schwabylon" in Nardschwabing. Das Ein
zentrum hat es nicht vermacht, von dem 5
binger Flair zu profitieren - es ist auch
viel zu abseits gelegen -, und entwickelt
in kurzer Zeit zu einem pressenotorischer
erfolg. Gewichtiger dürfte das Schicksc
15stöckigen Apartmenthauses sein. Diese t
maschine steht beziehungslas neben eint
Wohngebäuden der dreißiger Jahre un
Nachkriegszeit; einelnteraktion findet nich
Für das ungute Lebensgefühl im „Schwal
zeugen zahlreiche Vandalismen (mit den
putz ausgerissene Ganglichter, demolierte
körper und dergleichen). Charakteristisch f
städtebauliche Ambiente, mit dem sicl
„Schwabylon"-Bewohner abfinden muß, i
gegen aufgelassenes Bahngelände, Schrott
und eine Autobahnauffahrt orientierte Rül
(Abb. 13 und 14).
Problematisch bleibt auch die in Sichtwei
„Schwabylon" errichtete, architektonisch
fellos hochinteressante Wohnanlage aus
Teilen „Orpheus und Eurydike" des Archi
Hans-Busso v. Busse, München. Abbildu
wurde mit Absicht so gewählt, nicht etw
den Eindruck dieses Obiektes böswillig l
zusetzen, sondern um aus der Sicht des B
ners zu zeigen, mit welchen „Gestalt- iunr
weltquolitäten" sich dieser in seiner e
Wohnumgebung auseinanderzusetzen ha
Wohnanlage befindet sich im Hintergrur
Bildmitte). Abbildung 16 will das Proble
Maßstäblichkeit beleuchten: Für das ältere
alte!) Nachbarhaus gilt, was die Sanierun
ner in Haidhausen gerade abschaffen v
Daß der Rauch den höher wohnenden Nai
in die Wohnung quillt... Wie bei alle:
iekten dieser Art bleibt zu fragen, wo de
Bewohner des Hochhauses iene nachbai
Sozialkontakte schließen sollen, die immer
von der neueren Stadtforschung als wich
das Funktionieren eines Stadtteiles und fi
Wohlbefinden der einzelnen Bewohner bt
tet werden. Vielleicht sollte städtebaulic
antwortungsbewußte Architektur künftig rr
diese Richtung gehen.
Die Gründe, welche die Architekten sul
drängen, unter Anerkennung der „Sachzw
oft städtebauliche Kompromisse zu schl
die sie selbst nur ungern vertreten, sinr
Verfasser durchaus bekannt. Aber vielleich
das Europäische Jahr des Denkmalschutze
ein guter Anlaß, nicht nur in die Vergang
zu blicken, sondern auch in die Gegenwa
Zukunft. Auch bei uns, in unserer Gene
müssen Bedingungen geschaffen werdei
deren Hilfe wir uns und unseren Nach
zuliebe nicht Zonen des Verschleißes erl
sondern Stätten des verwurzelten und r
wachsenden Lebens. Das wäre vermutlict
die schlechteste Sinnerfüllung eines vorbi
den Denkmalsch-utzes.
Anmerkungen 27-30
77 ebd. S. A-ll.
" Der wohl fundierteste kritische Beitrag zum SEP
bis ietlt die „Beiträge zum Münchner Stadtentwi
alcn '74", Heft 11 [Juli 1974), der Sammlungsre
Münchner Forums.
" SEP '74, S. ll-6.
5' ebd., Abb. ll-Q.
j Unser Autor:
Dr. Oskar Holl
B München 90
Lindenstr. 28