Waltrude Obenrvalder
Zur Ausstellung „Die Bild-
hauerfamilie Schwanthaler
(1633-1848)"
Mit dem Untertitel: „Vom Barock zum Klassizis-
mus" veranstaltete die oberösterreichische Lan-
desregierung unter Mitwirkung bayrischer, vor
allem Münchener Kulturbehörden und Wissen-
schaftler eine Großausstellung im Chorherren-
stift Reichersberg am lnn (3. Mai bis 13. Oktober
1974), die für den Teil des barocken Haupt-
meisters Thomas Schwanthaler vom 20. 11. 1974
bis 16. 2. 1975 im Oberen Belvedere in Wien ge-
zeigt wurde.
Uralte Linden stehen auf der Uferterrasse des
lnns, daneben ein eingeschossiger Trakt, in des-
sen Mittelachse sich ein einfacher, frühbarocker
Torturm erhebt. Hinter ihm weitet sich ein recht-
eckiger Platz, halb Garten und halb Ehrenhof,
von zweigeschossigen Arkaden flankiert und von
dem schlichten Gebäude des Konventtraktes ab-
geschlossen. lnmitten des großen Hofes erhebt
sich eine Brunnenanlage mit einer auf hohem
marmornem Sodrel schwebenden Gestalt des
Erzengels Michael, des Patrons des Stiftes Rei-
chersberg. Die Figur ist 1694 nach einem Modell
des Bildhauers Thomas Schwanthaler aus Kupfer
getrieben worden, und sie und die ansprechende,
aber schlichte Architektur des Stiftsbaues aus
verschiedenen Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts
bilden den Auftakt und Rahmen für die Aus-
stellung. Die Gebäude sind für diesen Anlaß in
den letzten Jahren einer gründlichen Restaurie-
rung unterzogen worden, ebenso wie sehr viele
der Ausstellungsobjekte, schon das ein auch in
die Zukunft wirkendes Großvorhaben, das im
Zusammenwirken von Land, Stift und Bundes-
denkmalamt hier zustande kam.
Diese seelische Einstimmung, die der Besucher
durch den Gang über den äußeren Stiftshof er-
fährt, ist in das Vorhaben dieses Ausstellungs-
unternehmens eingeplant und soll das Problem,
dem sich jede Schouslellung barocker Großpla-
stiken gegenübersieht, erleichtern: Sind die Ob-
jekte doch immer aus einem größeren architek-
tonischen oder dekorativen Zusammenhang ge-
rissen und stehen sozusagen in einem „luftleeren
Raum", den auch die architektonische Ausge-
staltung'der Ausstellung nicht vergessen machen
kann.
21 Bildhauer sind in kontinuierlicher Folge aus
der Familie Schwanthaler hervorgegangen, ha-
ben zuerst von Ried aus ihren- Teil zur künstle-
rischen Gestaltung des damaligen bayrischen
Grenzraumes und der benachbarten österreichi-
schen und Salzburger Gebiete beigetragen und
sind in einigen Spitzenkännern über sie hinaus-
gewachsen, ohne den Boden unter ihren Füßen
zu verlieren. Die Hauptanliegen der Ausstellung
sind wohl einer-eits, das einzigartige Phänomen
einer durch über zwei Jahrhunderte lebenden
Bildhauertradition einer einzigen Familie vorzu-
stellen und damit den vagen Begriff der
„Schwanthaler-Werkslätte", besonders der Ba-
rockzeit, zu konkretisieren und die einzelnen
Meister auseinanderzuhalten, andererseits in die-
sem beschränkten Rahmen die Stilentwicklung
während dieser Zeit aufzuzeigen. Das bedingt
natürlich, daß gewisse Wiederholungen im
Thema, ja sogar einige Serien gleicher Darstel-
lungen V01 verschiedenen Familienmitgliedern,
und auch weniger qualitätsvolle Stücke gezeigt
werden müssen. Aus dieser Fülle der Objekte
schälen sich zwei Künstlerpersönlichkeiten von
überregionaler Größe heraus: Thomas (1634-
1707), der barocke Hauptmeister, Riedllnnkreis,
2
und Ludwig (Michael von) Schwanthaler (1802-
1848), der Meister des klassizistischen Münchens
und Schöpfer der „Bavaria", des bekanntesten
Monumentalwerkes Süddeutschlands im 19. Jahr-
hundert. Damit erhält die Ausstellung audi zwei
räumlich getrennte Schwerpunkte, den barocken,
um den Kanventgarten und den Kreuzgang grup-
piert, und den klassizistischen Teil. Dem Münch-
ner Hauptmeister des Klassizismus und Hofbild-
hauer König Ludwigs I. sind im ersten Stock des
Fürstentraktes des Stiftes einige Räume gewid-
met, die sich - in sinniger Anspielung - um den
sogenannten „Bayrischen Saal" gruppieren, der
1771 von Johann Nepomuk Schöpf mit mytholo-
gischen Szenen und immer wiederkehrenden bay-
rischen Wappen ausgeziert wurde. Jene Besu-
cher, die nach der bewegten Welt des Barodr
den trotz der kaum verhüllten Romantik kühler
wirkenden Exponaten aus dem 19. Jahrhundert
weniger abgewinnen können, werden reichlich
durch den anmutig ausgestalteten Hauptraum
mit seiner prächtigen Aussicht über die lnnauen
hinweg ins niederbayrische Land entschädigt.
Die Ausstellung beginnt mit einigen Proben be-
deutender Bildhauer der ersten Hälfte des 17.
Jahrhunderts, die in dem Gebiet gearbeitet ha-
ben, das dann von den Mitgliedern der Familie
Schwanthaler mit Plastiken versorgt wurde. Be-
deutende Namen: Adriaen de Vries, Hans Wald-
burger, Hans Degler, Hans Spindler und die
Brüder Zürn sind darunter. Trotzdem ist die Be-
zeichnung „Vorstufen" etwas irreführend, denn
es wird gleich deutlich, daß von hier aus kein
direkter Weg zu dem ersten Hauptmeister der
Familie, Thomas Schwanthaler, geht (die bei-
den Exponate, die mit dem Namen seines Va-
ters Hans in Zusammenhang gebracht werden,
mit eingesdwlossen). Schon die ersten gesicherten
Werke des jungen Thomas (z. B. Kat.-Nr. 1B)
zeigen die bewußt oppositionelle Stellung des
Künstlers zu den althergebrachten Gestaltungs-
prinzipien: Bewegte, doch kräftige, anatomisch
durchgearbeitete Figuren, im wahrsten Sinn „mit
beiden Beinen auf dem Boden stehend" und
jeder manierieiten Labilität abhold, werden von
aufgewirbelten, gekerbten, flatternden Gewand-
teilen umrauscht. Später werden die Gestalten
Thomos' zarter, der Kontrapost anmutiger be-
tont, auch die Gesichter ausdrucksvoller. Das
Gewand, das sich an manchen Stellen eng an
den Körper schmiegt und ihn so betont, gewinnt
in den lasen Stellen ein Eigenleben: Es knittert,
rieselt in langen, durch Dellen unterbrochenen
Faltenzügen, kräuselt an den Enden auf. Die vom
italienisch-flämischen Hochbarock "bernommene
Gestaltung des Leibes (bei einigen Figuren las-
sen sich die Vorbilder direkt erkennen: der Lon-
ginus des Bernini, die hl. Scholastica Jean Del-
cours in Lüttich) wird in einen bewußten Gegen-
satz zu den virtuos geschnitzten Faltenpartien
gesetzt, in denen sich das ganze reiche Erbe der
deutschen Holzschnitzkunst auslebt. Die Ausstel-
lung macht nicht nur die Phasen des künstleri-
schen Werdegangs von Thomas deutlich - sein
erstes reifes Werk, der Florianialtar in Ried
(1669) (KaL-Nr. 27), wird als einziges Altarvverk
im gesamten gezeigt (Abb. 15a) - seine Gestalt
gewinnt durch diese Schau für das breitere Pu-
blikum erst die Bedeutung, die ihr "m Rahmen
der mitteleuropäischen Barockkunst zusteht, als
ein Bahnbrecher des Hachbarock in Süddeutsch-
land und als eine besonders temperamentvolle
und dabei zartfühlende Künstlerpersönlichkeit.
Manche seiner Werke - sowohl die aufschäu-
menden seiner dramatischen Periode vor 1675
(Mattighofen und Schalchen) (Kat.-Nr. 34,
28) als auch die stilleren, sanfteren seit dem
Wolfganger Doppelaitar (von dem nur Kostpro-
ben gezeigt werden) (Abb. 5) (Kat.-Nr. 30-33)
bis zu der erschütternden Gruppe des R
Ulberges (Kat.-Nr. 65) - sind einsame Spi
klasse. Eine anmutige Sendergruppe bildel
rundlichen und doch zarten, in ihrer kindl
Körperlichkeit und Bewegtheit voll erfaßten
tendarstellungen - ein Novum nördlich de
pen. Das Immer-freier-Werden der Bewegu
zeigt sich von den Engelskindern in den Wt
des Florianialtares von Ried (1669) und den
gleichzeitigen Karyatidenputti aus Wippe:
(Kat.-Nr. 45 und 46) bis zur Gelästheit im f
rahmen von Münsteur'(um 1702) (Kot-Nr
Wenn auch die späteren Mitglieder der Fa
Schwanthaler ihre Werke, der Zeitmode
sprechend, immer wieder mit Engelputti b
kern, die unmittelbare Frische von Thomos'
dergestalten erreicht keiner mehr. Die W
entwicklung des Themas zu individuell seelis
Ausdruck übernahm Meinrad Guggenbichlei
in entscheidenden Jahren seiner künstleri:
Entwicklung mit Thomos' Hauptwerken (im
tigtal und in St. Wolfgang) konfrontiert w
Von Thomas ist außerdem ein ganzes Kon
von qualitätsvollen Zeichnungen erhalten (h
sächlich im sogenannten „lmster Skizzenbi
die in Vitrinen in der Bilbiathek zu sehen
Er ist auch der einzige der barocken Sch
thaler, von dem richtige Auftragsurkunden e
ten sind', aus denen man genauere Sch
auf die Art der Arbeitsvergebung und der D
führung ziehen kann. Sonst bestand ja
besondere Schwierigkeit in der Auswahl
Objekte und in der Zuschreiburug darin,
nur verhältnismäßig wenige urkundlich (
durch Kirchenrechnungen) gesicherte Werk
halten sind, die aft wegen der geringen
deutung der Aufträge nicht zu den qual
vollsten gehören. Die meist besser dotierter
sorgfältiger ausgeführten, von reichen Pfa
gehörigen oder auch Pfarrern gespendeten S
turen tragen höchstens eine Jahreszahl und
Vlidmungsinschrift. Signaturen kommen tTUl
legentlich in der zweiten Hälfte des 18.
hunderts vor. Ein glücklicher Sonderfall is
lange Inschrift auf der Rückseite der Pietc"
Rieder Weberzunft, in der neben den Honoi
ren des Handwerks auch der Künstler Joh.
Schwanthaler und das Jahr 1785 genannt
(Kot-Nr. 178).
Die Nachfahren von Thomas im 1B. Jdhl
dert sind mit ihren Arbeiten noch weniger
die Grenzen des lnnviertels hinausgekon
als ihr Ahnherr. Bei aller Beschränkung (
die Handwerksordnung, die fast nur Me
söhnen ein Fortkommen „in der Kunst" er
lichte, zeigt sich doch ein gesunder Zug
Qualität: Die Hauptwerkstätte übernahrr
weils der künstlerisch Fähigste unter den
srhwistern, unbeeinflußt von der Reihenl
der Geburt: In der Rieder Werkstätte folgti
Thomas sein jüngster Sohn Johann Franz (1
1762), auf diesen der zweitjüngste Johann
d. Ä. (1720-1795). Ein begabter Sproß t
Nebenlinie, Joh. Georg (1740-1810), grür
eine Werkstatt in Gmunden.
Eine Reihe von Besonderheiten im Wandel
17. zum 18. Jahrhundert fallen bei dem F
gang durch die Ausstellung auf, die im gr-
und ganzen die chronologische Reihenfolgi
achtet. Schon allein der Wechsel in den Fo
ten ist beachtlich: Während Thomas für '
großen Altäre häufig überlebensgroße Fig
schuf - die Barbaragruppe aus Schalchen,
Paulus für Mattighofen und der Engel de:
sefialtares von Maria Plain sind Beispiele
für -, erreichen auch die größten Figuren s
Nachfolger im späteren 18. Jahrhundert
volle Lebensgröße, und diese bei weitem
die Qualität der Kleinfiguren und -gruppen