Für den Kunstsammler
Franz Windisch-Graetz
Vier kleine Tische
ln einer dritten Folge der Berichte über die Möbel
im Stift Kremsmünster sollen nun dem Leser vier
kleine Tische vorgestellt werden. Gerade dieser
Möbeltyp ist für die esteigerten Ansprüche signi-
fikant, die während des Spätbarodß in zunehmen-
dem Maße an eine angenehme und gepflegte Art
der Einrichtung gestellt wurden.
lm zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts vollzog
sich in Österreich der Übergang vom italienisch
orientierten Hochbarock zu dem unter dem Einfluß
der französischen Regence stehenden Spätbarock.
Sein arnamentales Leitmotiv war das sogenannte
„Laub- und Bandelwerk", das Jean Berain (1640
bis 1711) als Bereicherung der Groteske kreiert hatte
und als dessen wichtigster Verbreiter im deutschen
Sprachraum der Nürnberger Ornamentist und Archi-
tekt Paul Decker (1677-1713) auftrat. Seine in Kupfer
gestochenen Vorlagen „Neu lnventirtes Laub Bandl
und Groteschgen-Werk" sowie andere ähnliche Ver-
öffentlichungen fanden weiteste Verbreitung.
Es ist aufschlußreich und reizvoll zugleich, an den
vier Tischen zu beobachten, wie die hier tätigen
Meister die Stilelemente des Hoch- und des Spät-
barock bei jeder ihrer Arbeiten auf ganz ver-
schiedene Weise miteinander in Verbindung brach-
ten und wie keiner der Tische ausschließlich einer
einzigen der zwei Richtungen allein verpflichtet er-
scheint. Von einem strengen 5til- oder Modediktot
kann also keineswegs die Rede sein, vielmehr war
ein recht freies Spielen und Kombinieren unter-
schiedlicher Anregungen und Traditionen durchaus
möglich, ia sogar üblich und beliebt. Dazu hat sicher
die ländliche Umgebung beigetragen, die immer
überlieierungstreuer ist als das städtische bzw. hö-
tische Kulturzentrum. Italienisches und Französisches
werden miteinanderverbunden, und es kommen sogar
noch ältere Reminiszenzen hinzu, die bis in die
Renaissance zurürkreichen. Und doch macht keines
der vier Ergebnisse den Eindruck, als wäre es ein
Stückwerk aus heterogenen Teilen, sondern wirkt in
seiner Gesamtheit durchaus harmonisch.
Abb. 1, 2: Einer der Tische ist mit der Jahreszahl
1723 bezeichnet. Damit ist freilich noch gar nichts
darüber ausgesagt, ob der Meister auch stilistisch
auf der Höhe seiner Zeit stand. Bei näherem Hin-
sehen gelangen wir vielmehr zu einer gegenteiligen
Meinung. Im Jahre 1723 sollte das Laub- und Band-
werk bereits durchwegs seine voll ausgeprägte Form
aufweisen. Aber davon kann hier nicht die Rede
sein. Zwar finden sich in allen größeren Feldern
und besonders im Mittelfeld Bänder und „Lauber",
aber es fehlt ihnen jene kalligraphische Prägnanz,
die gerade dieses Ornament in seinem reifen Sta-
dium auszeichnet. Hier sind die breiten, rollenden
Schwünge der Blattranken des Hochbarock noch
ebenso beibehalten wie das alte Sternmativ in der
Mitte des Feldes; die auf den Zweigen sitzenden
Vögel lassen sich sogar noch viel weiter, nämlich bis
in den Manierismus, zurückverfolgen. Auch die ge-
drehten Säulen gehören dem Formenschatz des
italienisch geprägten 17. Jahrhunderts an, während
die in scharfen Knicken geführten Stege mit den in
wechselnden Farben achtzackig aufgeleilten Feldern
wieder aus dem späten Manierismus herüberge-
nommen sind. Wir haben es also mit einem recht
konservativen Meister zu tun. - Die verwendeten
Holzarten sind in der Hauptsache Nußbaum- und
Nußmaserholzfurniere, Eiben- und wiederum Nuß-
baumhalz für die sich übersdineidenden Rahmen-
bänder der intarsierten Felder, Ahornholz (graviert
und mit heißem Sand schattiert) für die Marketerie.
Höhe 81, Länge 115,5, Breite 75,5 cm.
Abb. 3, 4: Auch bei diesem Tisch ist das Bandwerk
von einem in weichen Wellen fließenden Duktus
gekennzeichnet, wie er der frühen Entwicklungs-
phase dieses Motivs entsprach. Ja man ist gar nicht
immer sicher, ob es sich um Bänder handelt, deren
Bewegung von Blattspiralen begleitet wird, oder ab
es nicht doch viel eher Blattgebilde sind. Wieder
finden sich - und diesmal sogar an prominenter
Stelle - Erinnerungen an die große lntarsientradi-
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