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Volltext: Alte und Moderne Kunst XX (1975 / Heft 138)

Gerd- Dieter Stein 
Der hundertste Geburtstag 
des Impressionismus war 
noch eindrucksvoller... 
„Unterwerten wir uns dem ersten Eindruck!" 
schlug Corot vor, der mit seinen italienischen 
und französischen Landschaften, mit seinen my- 
thologischen und religiösen Themen zu einem 
jener viel Bewunclerten im offiziellen „Salon" 
geworden war. „Soumettons-nous a l'impression 
premierel". Ein eigentliches Programm - etwa 
vergleichbar den expressionistischen Manifesten 
- hatten die Impressionisten zu keiner Zeit; 
aber als eine Art Motto vielleicht hätte Corat 
den Vertretern der ersten „lmpressionisten-Aus- 
steIIung" mit seinem Ausspruch dienen können. 
Jahrelang weigerte sich der Salon, Bilder Mo- 
nets auszustellenl. Deshalb gewann die Idee, 
eine eigene, selbstfinanzierte Ausstellung zu ver- 
anstalten, immer konkretere Formen. Der Kunst- 
händler Durand-Ruel und Felix Nadari unter- 
stützten Monet bei seinen Bemühungen. Als man 
dann 1874 eine „anonyme genossenschaftliche 
Vereinigung der Kunstmaler, Bildhauer usw."' 
gründete, kam es auf dem Boulevard des Capu- 
cines (Nr. 35; hier hatte Nador sein Atelier) zu 
iener denkwürdigen Ausstellung, die vom 15. 
April bis zum 15. Mai gedauert hat (Renair 
hatte 165 Werke ausgewählt und selbst gehängt) 
und die von nahezu 3500 Interessierten besucht 
worden ist. 
Die Resonanz war erstaunlich: zehn umfang- 
reiche Kritiken erschienen in verschiedenen Pari- 
ser Blättern allein während des Ausstellungs- 
monats. Und man war sich weitgehend einig 
darüber, daß diese neumodische Malweise ver- 
rissen werden mußte. Zu dem - in den Kunst- 
geschichten als Lieblingskind sorgsam gehegten 
- Debakel kam es aber nichtf Ausgesprochen 
bösartig und gehässig hatte nur Emile Cardon 
geschrieben („L'exposition des Revoltes". In: La 
Presse, 29. April 1874). Die Kritik von Louis 
Leroy, berühmt geworden, weil sie in der Über- 
schriftä den lmpressionisten ihren Namen gab, 
wurde und wird offenbar einseitig ausgelegtü. 
„Aha, Impression, das dachte ich mir schon, denn 
da ich ,impressioniert' bin, muß es eine Impres- 
sion sein..." Leroy kritisierte weniger die Im- 
pressionisten als vielmehr den selbstgerechten 
und spießigen Bürger, den er - als den Besu- 
cher der Ausstellung - all iene dümmlichen und 
boshaften Vorurteile sagen läßV. 
 
 
1 Paris, 1870. Fassade des Ateliers von Nadar; 35, 
Boulevard des Capucines. Ort der denkwürdi- 
gen ersten Ausstellung der „lmpressianisten" 
Paul Cezanne, Selbstporträt, gegen 1873-1876. 
Paris, Musee du Jeu de Paume 
Edgar Degas, nach Porträt van Marcellin Des- 
boutin, 1876. Paris, B. N. Cabinet des Estampes 
Claude Monet, nach Porträt von Renoir, 1875. 
Paris, Musee du Jeu de Paume 
Pierre-Auguste Renoir, nach Porträt von Marcel- 
Iin Desboutin, 1377. Paris, B. N. Cabinet des 
Estampes 
Alfred Sisley, nach Porträt von Renoir, 1874. 
Chicago, Art Institute 
uns-um 
(Anmerkungen 1-10 s. S. 26] 
„Man kann sagen: Der Impressionismus i 
Mittel, die zahllos gewordenen und daru 
kontrollierbaren Obiekte der Außenwelt v 
stens mit einem Blicke, oberflächlich, zu 
sehen". Max Picard, ein unversöhnlicher 
ner der impressianistischen Malweise, er: 
sich noch 1916 unermüdlich. Und man k 
tatsächlich nicht um die Frage herum, was 
nun eigentlich der Grund für die Empärun 
Zeitgenossen von 1874 gewesen ist: sie en 
den sich nämlich penetrant herausgeforder 
gilt für Monets „Olympia" (1863), aber e 
für seine „Frau mit dem Papagei" (1866 
einen Maler also, der sich nie besondef 
dem Kreis der Impressionisten verbunden ' 
der in ihrer ersten Ausstellung nicht ver 
war, der im gleichen Jahr, 1874, offiziel 
Salon aufgenommen wurde. Ähnlich wi 
Manet, Renoir, Degas, Cezanne, Pissarro, 
und den anderen findet sich eben auch GI. 
Bildern Monets keine Rhetorik mehr in C 
und Stimmungen. Man nahm die Welt St 
wie sie sich zeigte, malte sie so, wie mi 
sah". Man malte nicht mehr Dramatisck 
die dargestellten Situationen hinein (z. B. 5 
„L'inondation a Port-Marly", Monets „BouI 
des Capucines" oder auch Cezannes „La n 
du pendu"). Das konnte man wohl im l 
Drittel des 19. Jahrhunderts nicht erkenner 
auch noch Picard wollte es nicht wahrh 
„Der Impressionismus ist die Ausdrucksforrr 
Zeit, die nichts glaubt. Die ihrem eigene 
glauben mißtraut. Die nicht einmal glaub 
sie nichts glaubt.  Man glaubte also 
Und weil man nichts glaubte, wollte ma 
sein für das Überraschende. Und weil ma 
sein wollte, mußte man an der Oberfläche 
impressionistisch bleiben. Und um impre: 
stisch zu bleiben, mußte man die Obiekt 
Außenwelt zahllos werden lassen, dan 
schien, als ob man nur gerade Zeit für die 
flache hötte'"." 
Als man - der Anlaß ist ia würdig gei 
begann, die voriährige Jubiläumsaussti 
(21. September bis 24. November 1974) im ( 
Palais (Parkseite zu den Champs-Elysee: 
sammenzustellen, war man sich ganz offen 
Iich auch dieser Problematik bewußt. De
	        
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