Gerd- Dieter Stein
Der hundertste Geburtstag
des Impressionismus war
noch eindrucksvoller...
„Unterwerten wir uns dem ersten Eindruck!"
schlug Corot vor, der mit seinen italienischen
und französischen Landschaften, mit seinen my-
thologischen und religiösen Themen zu einem
jener viel Bewunclerten im offiziellen „Salon"
geworden war. „Soumettons-nous a l'impression
premierel". Ein eigentliches Programm - etwa
vergleichbar den expressionistischen Manifesten
- hatten die Impressionisten zu keiner Zeit;
aber als eine Art Motto vielleicht hätte Corat
den Vertretern der ersten „lmpressionisten-Aus-
steIIung" mit seinem Ausspruch dienen können.
Jahrelang weigerte sich der Salon, Bilder Mo-
nets auszustellenl. Deshalb gewann die Idee,
eine eigene, selbstfinanzierte Ausstellung zu ver-
anstalten, immer konkretere Formen. Der Kunst-
händler Durand-Ruel und Felix Nadari unter-
stützten Monet bei seinen Bemühungen. Als man
dann 1874 eine „anonyme genossenschaftliche
Vereinigung der Kunstmaler, Bildhauer usw."'
gründete, kam es auf dem Boulevard des Capu-
cines (Nr. 35; hier hatte Nador sein Atelier) zu
iener denkwürdigen Ausstellung, die vom 15.
April bis zum 15. Mai gedauert hat (Renair
hatte 165 Werke ausgewählt und selbst gehängt)
und die von nahezu 3500 Interessierten besucht
worden ist.
Die Resonanz war erstaunlich: zehn umfang-
reiche Kritiken erschienen in verschiedenen Pari-
ser Blättern allein während des Ausstellungs-
monats. Und man war sich weitgehend einig
darüber, daß diese neumodische Malweise ver-
rissen werden mußte. Zu dem - in den Kunst-
geschichten als Lieblingskind sorgsam gehegten
- Debakel kam es aber nichtf Ausgesprochen
bösartig und gehässig hatte nur Emile Cardon
geschrieben („L'exposition des Revoltes". In: La
Presse, 29. April 1874). Die Kritik von Louis
Leroy, berühmt geworden, weil sie in der Über-
schriftä den lmpressionisten ihren Namen gab,
wurde und wird offenbar einseitig ausgelegtü.
„Aha, Impression, das dachte ich mir schon, denn
da ich ,impressioniert' bin, muß es eine Impres-
sion sein..." Leroy kritisierte weniger die Im-
pressionisten als vielmehr den selbstgerechten
und spießigen Bürger, den er - als den Besu-
cher der Ausstellung - all iene dümmlichen und
boshaften Vorurteile sagen läßV.
1 Paris, 1870. Fassade des Ateliers von Nadar; 35,
Boulevard des Capucines. Ort der denkwürdi-
gen ersten Ausstellung der „lmpressianisten"
Paul Cezanne, Selbstporträt, gegen 1873-1876.
Paris, Musee du Jeu de Paume
Edgar Degas, nach Porträt van Marcellin Des-
boutin, 1876. Paris, B. N. Cabinet des Estampes
Claude Monet, nach Porträt von Renoir, 1875.
Paris, Musee du Jeu de Paume
Pierre-Auguste Renoir, nach Porträt von Marcel-
Iin Desboutin, 1377. Paris, B. N. Cabinet des
Estampes
Alfred Sisley, nach Porträt von Renoir, 1874.
Chicago, Art Institute
uns-um
(Anmerkungen 1-10 s. S. 26]
„Man kann sagen: Der Impressionismus i
Mittel, die zahllos gewordenen und daru
kontrollierbaren Obiekte der Außenwelt v
stens mit einem Blicke, oberflächlich, zu
sehen". Max Picard, ein unversöhnlicher
ner der impressianistischen Malweise, er:
sich noch 1916 unermüdlich. Und man k
tatsächlich nicht um die Frage herum, was
nun eigentlich der Grund für die Empärun
Zeitgenossen von 1874 gewesen ist: sie en
den sich nämlich penetrant herausgeforder
gilt für Monets „Olympia" (1863), aber e
für seine „Frau mit dem Papagei" (1866
einen Maler also, der sich nie besondef
dem Kreis der Impressionisten verbunden '
der in ihrer ersten Ausstellung nicht ver
war, der im gleichen Jahr, 1874, offiziel
Salon aufgenommen wurde. Ähnlich wi
Manet, Renoir, Degas, Cezanne, Pissarro,
und den anderen findet sich eben auch GI.
Bildern Monets keine Rhetorik mehr in C
und Stimmungen. Man nahm die Welt St
wie sie sich zeigte, malte sie so, wie mi
sah". Man malte nicht mehr Dramatisck
die dargestellten Situationen hinein (z. B. 5
„L'inondation a Port-Marly", Monets „BouI
des Capucines" oder auch Cezannes „La n
du pendu"). Das konnte man wohl im l
Drittel des 19. Jahrhunderts nicht erkenner
auch noch Picard wollte es nicht wahrh
„Der Impressionismus ist die Ausdrucksforrr
Zeit, die nichts glaubt. Die ihrem eigene
glauben mißtraut. Die nicht einmal glaub
sie nichts glaubt. Man glaubte also
Und weil man nichts glaubte, wollte ma
sein für das Überraschende. Und weil ma
sein wollte, mußte man an der Oberfläche
impressionistisch bleiben. Und um impre:
stisch zu bleiben, mußte man die Obiekt
Außenwelt zahllos werden lassen, dan
schien, als ob man nur gerade Zeit für die
flache hötte'"."
Als man - der Anlaß ist ia würdig gei
begann, die voriährige Jubiläumsaussti
(21. September bis 24. November 1974) im (
Palais (Parkseite zu den Champs-Elysee:
sammenzustellen, war man sich ganz offen
Iich auch dieser Problematik bewußt. De