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Volltext: Alte und Moderne Kunst XX (1975 / Heft 139)

ilosophie der Utopien. Indem die Teppich- 
nst sowohl Möglichkeiten der Mobilität und 
s Bergens hat, wird sie zur Kunst, die den 
enschen von heute begleitet. Sie gestaltet mit 
cht Symbole eines „Lebens als Transit", eines 
JENS im Aufbruch. Gewebe symbolisieren dann 
aens- und Zeitabläufe (vgl. Ausstellungstitel 
a „Werden", „Tag", „Nacht" usw.). Diese Sym- 
lik wird aber immer weniger abbildhaft ge- 
ltet, sondern im Vorgang und Prozeß der 
istaltung erlebt. „Weben als Vorgang" und 
lles ist Weben" formuliert Edda Seidl-Reiter. 
mit wird der Vorgang gleichsam zum existen- 
llen Abenteuer. Das Auswählen von Techni- 
i, Formen, Farben, der Widerstand des Ma- 
ials und die Überwindung des Widerstandes, 
strohierende und konstruktive Prozesse und 
ele -, das alles ist dann Bedingung des Le- 
15 und Versuch der Identitätsfindung! 
Textile Kunst als Strukturkunst! Struktur ist 
ganisation der Teile zu Serien und zum Gan- 
I, wobei das Ganze mehr und etwas anderes 
als die Addition der Teile. Struktur ist offen, 
zrspektivisch und angelegt auf Prozesse und 
argieereignisse. ln der Struktur deutet sich ein 
tlerer Bereich zwischen Zufall und Ordnung, 
iheit und Gesetzmäßigkeit an. Unter den Be- 
gungen von Strukturen werden objektive 
glichkeiten der Reflexion und Mathematisc- 
i rückbeziehbor auf subjektive Kreativität 
finitionen nach J. Claus, a. a. O., S. 20 ff.). 
der Strukturkunst erhält das Ornament eine 
lE Aktualität; es ist „Gestaltqualität der Struk- 
' (Claus) und darum heute mehr Medium als 
muck. 
tile Gestaltungen als Strukturkunst bilden 
it mehr ab, sondern sind sichtbar gemachte 
lnungskategorien. Dieser Prozeß hat Aspekte 
Selbstverwirklichung und der Gestaltung van 
lt und Umwelt. Die Selbstdarstellung im 
stlerischen Prozeß zeigt Ambivalenzen heu- 
er Existenz. Da ist das Suchen nach Sinn, 
lnung und Harmonie und zugleich das Hin- 
gehaltensein in Angst, Sorge, Ungeborgen- 
und Sinnzweifel. Wenn textile Gestaltungen 
das Ziel einer „Homogenität des Disparaten" 
sind, so geben sie Impulse zum Aufbruch, 
weigern aber fertige Antworten. Wir spüren: 
wäre erreicht, wenn dem Kampf der Wider- 
iche sein tödlich-aggressiver Charakter ge- 
imen werden könnte und wenn er verwan- 
würde ins Spiel der Gegensätze. Mir scheint, 
philosophische ldeol der „Caincidentia op- 
itorum" (Zusammenspiel der Gegensätze) sei 
in der Dimension der Gestaltung neu durch- 
rziert. 
in die Probleme der Weltbewältigung. Der 
biblische Auftrag an den Menschen, sich 
Erde untertan zu machen, muß heute als 
trag zum sachgemäßen, mathematisch-kon- 
ktiven Denken verstanden werden. Und hier 
die Strukturkunst nun auch ihren Ort. In 
hematisation und Strukturgestaltung organi- 
t heute der Mensch die „Denk-Substanz der 
t" (Teilhard de Chardin). Appelle zu einer 
ianeren Welt sind hier nicht mehr expressiv- 
ellativ formuliert. Der Mensch von heute ist 
Appelle müde geworden, und er reagiert auf 
tschaften" ideologiekritisch. Eine neue Chance 
r hat das viel „kühlere" mathematische Den- 
und die diesem entsprechende Kunst. Die 
nce liegt auch darin, daß damit ein neu- 
3er Thearie-Praxis-Bezug gegeben ist: Theo- 
ist hier unmittelbar auf Wirklichkeitsgestal- 
l bezogen! 
extile Kunst wird zur Obiektkunst. Mit dem 
ekt als dem „Entgegentretenden" (ob-iectum) 
eben sich wichtige Ursprungsbezüge, die 
in die Religionsgeschichte analysiert. Be- 
 
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stimmte Menschheitsepochen schufen onimistisch 
verstandene Fetischobiekte. Animismus ist iene 
Haltung, die die Natur und ihre Gegenstände 
als „beseelt" versteht. Mit der Benennung und 
Gestaltung eines Dinges wurde dieses zum 
Manatröger und zur Gottheit. Hat die Mensch- 
heit heute den Animismus überwunden? Karl 
Marx spricht kritisch vom Fetischcharakter der 
Ware! Jedenfalls: bis heute und auch heute 
vermögen Objekte zu Bedeutungströgern zu wer- 
den. Und neuartige Obiektkunst mitten im 20. 
Jahrhundert mutet in mancherlei Hinsicht reli- 
giös an und wurde anläßlich der Documenta 
1972 mit dem Titel „individuelle Mythologie" 
gedeutet. 
Künstler, die textile Obiekte schaffen, sind sich 
aber dieser Zusammenhänge kaum bewußt; 
ihnen geht es um eine neuartige Ding-Erfahrung. 
Materialien und Umgang mit Material, Benüt- 
zung von Dingen, das ist es, was sie fasziniert 
(vgl. dazu z. B. F. E. Walther - Werkmano- 
graphie, Hrg. G. Adriani, 1972, S. 5 ff., 18 ff.). 
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