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Volltext: Alte und Moderne Kunst XX (1975 / Heft 139)

 
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Das textile Objekt ist zunächst Selbstrepräsen- 
tation von einfachen Materialien, die wir aus 
dem alltäglichen Gebrauch kennen (Papier, Tex- 
tilien). Gestaltung ist zuerst der Versuch, die 
immanenten Gesetze dieser Materialien und 
Vorgänge zu erfassen und sprechen zu lassen. 
Dabei erhält das Objekt seine Bedeutung we- 
sentlich durch Benutzung. Es gibt Möglichkeiten 
des Zerlegens, des Herumtragens, des Hinlegens 
im Raum, des Öffnen: und Verschnürens usw. 
Solch einfache Hantierungen sensibilisieren in 
einem neuen Sinn optische und haptische Ge- 
fühle. Manchmal kommt es dabei zu Spielver- 
göngen, die an Kindheitsprozesse erinnern, die 
bekanntlich für das Gelingen menschlicher Exi- 
stenz von entscheidender Bedeutung sind. Weiter 
sind mit solchen Objekten auch lrritationsmög- 
lichkeiten gegeben, und es können Gewohnhei- 
ten gestört werden, so daß auch so neue Er- 
fahrungen entstehen. Solche Irritation erlebt man 
beispielsweise, wenn exakte Formen mit weichem 
Material gestaltet sind oder wenn ein Objekt 
Verschnürungen und Verpackungen zeigt, aber 
nichts enthält. Schließlich machen Objekte das 
Raum-Umraum-Problem bewußt. Der Mensch lei- 
det heute unter langweilig-frustrierenden Räu- 
men, teils weil sie ärmlich und öde sind, teils 
weil sie zu perfekt sind; Raumbezüge sind je- 
denfalls weithin verunsichert. Kann vielleicht das 
auf Raum und Umraum bezogene Kunstwerk 
dazu anleiten, spielerisch echte Raumbezüge zu 
finden? 
Zuletzt sei noch an die Humandimensian er- 
innert, die sich mit Objektkunst erschließen kann. 
Goethe sagt: „Alles, was im Subjekt ist, ist im 
Objekt, und noch etwas mehr". Aus dem Akt 
der Begegnung tritt das Subjekt - sofern der 
Akt gelingt - als Gewandelter heraus. Auch 
Martin Buber sagt, daß der Mensch, der aus 
dem Wesensakt der reinen Beziehung trete, in 
seinem Wesen „ein Mehr, ein Hinzugewachse- 
nes" habe, von dem er zuvor „nichts wußte". 
Buber meint zunächst die Gottesbeziehung und 
dann die Beziehung zwischen Ich und Du auf 
menschlicher Ebene. Goethe wagt es, dieses 
„noch etwas mehr" auch für die Begegnung mit 
dem Objekt geltend zu machen. Damit würde 
das künstlerische Objekt gleichsam zum perso- 
nalen Gegenüber, zum Du, das zur lchwerdung 
des lchs entscheidend und bereichernd beiträgt. 
Am Kunstwerk würde man zum Menschen! 
4. Ausblick 
Es sollen nun noch einige transästhetische Pro- 
bleme diskutiert werden. Einiges habe ich schon 
angedeutet. So wurde ein Bezug zwischen Struk- 
turkunst und der Organisation der „Denk-Sub- 
stanz der Welt" im Sinne von Teilhard de Char- 
din sichtbar. Weiter gibt es interessante Bezüge 
zwischen haptischen Erlebnissen im Umgang mit 
Materialien und Objekten mit frühkindlichen 
Prozessen, wobei diese Prozesse im Rahmen 
von Freuds Sicht der Kindheitssexualität und 
ihrer Prozesse zu sehen sind; Umgang mit Kunst 
vermag wichtige frühkindliche Triebprobleme 
nachträglich zu bewältigen. 
Ich nehme nun aber noch Fragestellungen auf, 
die sich auf Probleme der heutigen Gesellschaft 
beziehen. Hier ist noch einmal der Vorwurf zu 
bedenken, textile Kunst sei Frauen- und Weiber- 
kunst. Diese geschlechtsspezifischen Vorentschei- 
dungen erweisen sich heute immer mehr als Vor- 
urteile. Solche Vorurteile haben sich aber gerade 
für textile Kunst immer wieder bemerkbar ge- 
macht: das Nähen, Flechten und Weben scheint 
eine Sache der Kinder und dann nur noch der 
Frauen zu sein. Und die Einteilung, daß Männer 
schöpferisch Konzepte entwerfen und Frauen sie 
dann handwerklich ausführen, ist oft praktiziert
	        
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