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Das textile Objekt ist zunächst Selbstrepräsen-
tation von einfachen Materialien, die wir aus
dem alltäglichen Gebrauch kennen (Papier, Tex-
tilien). Gestaltung ist zuerst der Versuch, die
immanenten Gesetze dieser Materialien und
Vorgänge zu erfassen und sprechen zu lassen.
Dabei erhält das Objekt seine Bedeutung we-
sentlich durch Benutzung. Es gibt Möglichkeiten
des Zerlegens, des Herumtragens, des Hinlegens
im Raum, des Öffnen: und Verschnürens usw.
Solch einfache Hantierungen sensibilisieren in
einem neuen Sinn optische und haptische Ge-
fühle. Manchmal kommt es dabei zu Spielver-
göngen, die an Kindheitsprozesse erinnern, die
bekanntlich für das Gelingen menschlicher Exi-
stenz von entscheidender Bedeutung sind. Weiter
sind mit solchen Objekten auch lrritationsmög-
lichkeiten gegeben, und es können Gewohnhei-
ten gestört werden, so daß auch so neue Er-
fahrungen entstehen. Solche Irritation erlebt man
beispielsweise, wenn exakte Formen mit weichem
Material gestaltet sind oder wenn ein Objekt
Verschnürungen und Verpackungen zeigt, aber
nichts enthält. Schließlich machen Objekte das
Raum-Umraum-Problem bewußt. Der Mensch lei-
det heute unter langweilig-frustrierenden Räu-
men, teils weil sie ärmlich und öde sind, teils
weil sie zu perfekt sind; Raumbezüge sind je-
denfalls weithin verunsichert. Kann vielleicht das
auf Raum und Umraum bezogene Kunstwerk
dazu anleiten, spielerisch echte Raumbezüge zu
finden?
Zuletzt sei noch an die Humandimensian er-
innert, die sich mit Objektkunst erschließen kann.
Goethe sagt: „Alles, was im Subjekt ist, ist im
Objekt, und noch etwas mehr". Aus dem Akt
der Begegnung tritt das Subjekt - sofern der
Akt gelingt - als Gewandelter heraus. Auch
Martin Buber sagt, daß der Mensch, der aus
dem Wesensakt der reinen Beziehung trete, in
seinem Wesen „ein Mehr, ein Hinzugewachse-
nes" habe, von dem er zuvor „nichts wußte".
Buber meint zunächst die Gottesbeziehung und
dann die Beziehung zwischen Ich und Du auf
menschlicher Ebene. Goethe wagt es, dieses
„noch etwas mehr" auch für die Begegnung mit
dem Objekt geltend zu machen. Damit würde
das künstlerische Objekt gleichsam zum perso-
nalen Gegenüber, zum Du, das zur lchwerdung
des lchs entscheidend und bereichernd beiträgt.
Am Kunstwerk würde man zum Menschen!
4. Ausblick
Es sollen nun noch einige transästhetische Pro-
bleme diskutiert werden. Einiges habe ich schon
angedeutet. So wurde ein Bezug zwischen Struk-
turkunst und der Organisation der „Denk-Sub-
stanz der Welt" im Sinne von Teilhard de Char-
din sichtbar. Weiter gibt es interessante Bezüge
zwischen haptischen Erlebnissen im Umgang mit
Materialien und Objekten mit frühkindlichen
Prozessen, wobei diese Prozesse im Rahmen
von Freuds Sicht der Kindheitssexualität und
ihrer Prozesse zu sehen sind; Umgang mit Kunst
vermag wichtige frühkindliche Triebprobleme
nachträglich zu bewältigen.
Ich nehme nun aber noch Fragestellungen auf,
die sich auf Probleme der heutigen Gesellschaft
beziehen. Hier ist noch einmal der Vorwurf zu
bedenken, textile Kunst sei Frauen- und Weiber-
kunst. Diese geschlechtsspezifischen Vorentschei-
dungen erweisen sich heute immer mehr als Vor-
urteile. Solche Vorurteile haben sich aber gerade
für textile Kunst immer wieder bemerkbar ge-
macht: das Nähen, Flechten und Weben scheint
eine Sache der Kinder und dann nur noch der
Frauen zu sein. Und die Einteilung, daß Männer
schöpferisch Konzepte entwerfen und Frauen sie
dann handwerklich ausführen, ist oft praktiziert