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Volltext: Alte und Moderne Kunst XX (1975 / Heft 139)

„Es ist hier so beispiellos schön. So viel Licht. 
Der Sonnenaufgang heute morgen: alles in Gold- 
bronze getaucht, reinste Plastik, die Farben nicht 
fühlbar, weil die Formen alles erschlagen und 
das Komplementäre so ausgeglichen ist, daß die 
Gegensätze sich aufheben. Nur Wärme und 
Form. Hier wird die Notwendigkeit zur Schön- 
heit." 
Diese Zeilen aus Ospedaletti bei San Remo, 
datiert vom 3. Februar 1910, waren an Felix 
Saiten gerichtet. „Eine Momentfotogratie in Wor- 
ten!" hätte der für solche Impressionen sehr 
sensible Peter Altenberg wahrscheinlich spontan 
ausgerufen. Womit haarscharf das Richtige ge- 
troffen gewesen wäre, denn der Schreiber ienes 
Briefes sah die südliche Szenerie tatsächlich mit 
dem Blick des Fotografen: es war Josef Kainz. 
1904 hatte er den Ort an der Riviera als Retiro 
entdeckt, angeregt durch den einstigen Burg- 
theaterdirektar Max Burckhard. Das idyllische 
Ospedaletti war damals noch ein Geheimtip für 
Connaisseurs des Reisens. Dort konnte Kainz mit 
Gerhart Hauptmann Gedankenaustausch pfle- 
gen, mit seinen Freunden weite Ausflüge unter- 
nehmen und, Gentiluomo der er war, allen Kom- 
fort der pompösen Luxushotels genießen, die er 
lächelnd „Fürstenhöfe" nannte. 
Niemals geht der Schauspieler ohne Kamera 
aus. Jedes Motiv, das ihn reizt, erfaßt er mit 
den besten Präzisionsoptiken der Zeit um 1905, 
auf Schnittfilm, Format 8x14. Und ihn reizen 
viele Motive: die mediterranen Landschaften, 
Menschen, die ihm auf Wanderungen begeg- 
nen, alle Wirkungen van Linienspiel, Lichtern 
und Schatten. Die Riviera, wie er sie sieht. 
Manchmal greift er zu Pinsel und Farben, aqua- 
relliert mit leichter Hand. (Noch auf dem Sterbe- 
bett konstruiert Kainz, der Praktiker, einen Spe- 
zialkotfer für sein Malzeug.) Aber von seinen 
realen Liebhabereien schätzt er die Fotografie 
am höchsten, seit er sich um 1890 dafür zu inter- 
essieren begann. Die Amoteurlichtbildnerei ist 
dermalen noch eine Art künstlerischer Kavaliers- 
sport, eine Passion für Eingeweihte, erst viel 
spätere Epochen des Perfektionismus sollten sie 
zum bequemen, raschen Knipsertum „demokrati- 
sieren". 
Mit iener Gründlichkeit und Intensität, die aus 
dem im Lernerfolg lange vor der Matura ge- 
strandeten Gymnasiasten einen beispielhaft uni- 
versalen Geist machten, eignet sich Kainz auto- 
didaktisch auch die theoretischen Kenntnisse und 
die Technik des Fotografierens an. Schon im 
Badezimmer seiner Berliner Wohnung richtet er 
ein fachmännischen Ansprüchen genügendes La- 
bor ein und experimentiert nach den verschie- 
denen, noch recht umständlichen Methoden. Er 
beschafft sich die einschlägige Literatur: Werke 
über Chemie, Physik, Optik und Apparatekunde, 
dazu Stapel von Fachzeitschriften. Nach seinen 
eigenen Worten wird die „Kunst des Nachschla- 
gens" viel zuwenig geübt - nun, Kainz selbst 
beherrscht sie ebenso virtuos wie das kostbare 
Instrument seiner Stimme. Während seiner Wie- 
ner Jahre im Döblinger Cottage wird die große, 
wertvolle Bibliothek dann noch um Bücher über 
Astronomie, Botanik und Geologie bereichert. 
(„Mit dem Hammer ein bisserl herumgehen und 
nachschauen.") 
Besonders fasziniert ihn von Anfang an die 
Selbstaufnahme. Das Eigenkonterfei bietet Kainz 
eine fast magische Begegnung mit sich selbst, ist 
dem Unermüdlichen Hilfe beim mimischen Erar- 
beiten und Vertiefen seiner Rollen. Auch ist das 
Foto zu der Zeit das einzig Bleibende, das als 
Dokument einen Abglanz der schauspielerischen 
Leistung bewahrt. (Später gehört Kainz zu den 
ersten prominenten Österreichern, deren Stimm- 
6 porträts phonographisch festgehalten werden: 
 
Blühende Agaven ge en das Meer, Ospedoletti. 
Aufnahme von Josef ainz, 1905 
Knabe auf einem Esel in einer Schlucht reitend. 
Ospedaletti. Aufnahme von Jasef Kainz, 1905 
Hotel Metropole, Palmengruppe im Vordergrund, 
Ospedaletti. Aufnahme von Josef Kainz, 1905 
Josef Kainz fotografiert. Gießbach, Juli 1907. 
Aufnahme Marie Mautner-Kalbeck 
Blick in das Bibliothekszimmer mit Schreibtisch 
von Josef Kainz. Seine persönliche Sphäre 
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