se mich selbst fortwährend, ia bedenklich anmu-
tende Montage-Technik gehört geradezu zur
Konzeption des Buches . P5"
Das Kompositionsprinzip der Montage, schon in
Frühwerken verwendet, wird immer häufiger.
Die „Memoiren" van Katia Mann haben eini-
ges zur „Entschlüsselung" solcher Montagen bei-
gesteuert und bestätigt, was Thomas Mann be-
reits in „Bilse und lch" geschrieben hat: Der
Künstler stützt sich am liebsten auf die
Wirklichkeit. -
Das Kunstmittel, bereits existierendes Material
in das eigene Werk einzubauen, ist eine seit
langem geübte Praxis und war z. B. im Barock
sehr beliebt. Zu Beginn unseres Jahrhunderts
erhält diese Technik unter dem Namen „Mon-
tage" in allen Kunstgebieten eine neue Auf-
wertung und wird von n-un an programmatisch
angewendet. Benützt Picasso in seinem „Ovalen
Stilleben" aus dem Jahre 1912, das als erste
moderne Montage gilt, einen echten Strick als
Rahmen und ein Stück Wachstuch, das ein
Geflecht vortäuscht, während gleichzeitig Brac-
ques und Juan Gris aufgeklebte echte Tapeten
und Zeitungsfetzen in ihre Kompositionen ein-
führen, so geht es diesen frühen Beispielen
doctus" der Vergangenheit wie der Gegenwart
entnimmt, ist immer höchstes Kunstgut. Nur größ-
te und reprösentativste Meisterwerke der Ver-
gangenheit werden als „Zitate" in das eigene
Werk aufgenommen, darin „montiert".
Die literarischen Montagen Thomas Manns sind
in einer Reihe von Untersuchungen zum Großteil
„demontiert" worden w. Die Bibliothek des Dich-
ters, Bücher, Listen, Werke, die er bei der
Arbeit, zur „Fundamentlegung",wie er es nannte,
konsultierte, heute im Thomas-Mann-Archiv in
Zürich bewahrt, haben diese Arbeiten weitge-
hend erleichtert.
G. Bergsten ", die für den „Doctor Faustus" eine
vorbildliche Arbeit geleistet hat, unterscheidet
typenmößig zwei Arten von „Zitaten". Gleich
ob es um Elemente der Wirklichkeit, d. h. um
faktische Gegebenheiten, wie lebende Personen,
authentische Milieus, wirkliche Ereignisse, geht
oder künstlerisch bereits geformtes Material ist,
kann es sich einerseits um „offene" Zitate han-
deln, d. h. um solche, die der Leser erkennen
soll, oder um „geheime", die selbst dem kundig-
sten Leser entgehen können - oder sollen.
Eine für die Genese des Werkes Thomas Manns
äußerst wichtige Quelle wurde iedoch über-
4 Männliches Bildnis, nach 700 v. Chr. Berlin, ehem.
Ägyptisches Museum
5 Königin Teie, um 1400 v. Chr. Berlin, ehem.
Ägyptisches Museum
doch noch in erster Reihe um eine Auswertung
der formalen Möglichkeiten solcher Fremdkör-
per. Mit den Dadaisten jedoch wird die Montage
sozialkritisch. Diese montieren vorwiegend „Ab-
fälle des Lebens", um den Geschmack und die
Kultur der Bourgeoisie zu persiflieren. Ihre Mon-
tagen sollen den falschen Ästhetizismus und sen-
timentalen Kunstgenuß dieser Gesellschaft an-
prangern. Außerdem kann man durch die Mon-
tage auch den Naturalismus, ein ebenfalls spe-
zifisches Kunstmittel der bürgerlichen Kultur, ad
absurdum führen: warum ein Trampe-Laeil malen,
wenn man das Obiekt selbst, tel quel, auf die
Malfläche nageln kann! Gesteigert wird diese
Kunstfeindlichkeit noch dadurch, daß die Dada-
isten, wie schon weiter oben gesagt, vorwiegend
Abfälle des Lebens verwenden: Zeitungsfetzen,
Blechstücke, Flaschenkorken u. ä., lauter armse-
liges Zeug, das aus dem Mülleimer zu stammen
scheint. Diese Montagen drücken also schon
durch die Wahl der Objekte ihren Protest ge-
gen die „hohe" Kunst aus. In der Literatur kann
Karl Kraus als der vallkommenste Vertreter die-
ser „Montagetechnik" gelten. Für ihn waren
die Abfälle der Sprache: Tagespublizistik, All-
tagsgewösch, ihres Sinnes entblößte Sprachkli-
schees - in monumentaler Form verwendet - Mit-
tel, um den Unwert einer Gesellschaft zu geißeln.
Bei Thomas Mann ist die Montage von der der
Dadaisten oder der von Karl Kraus grundver-
schieden. Er hat sie nie als Zeichen einer sozia-
len Kritik verwendet, es handelt sich bei ihm
nie um „Abfölle" des Lebens oder der Sprache.
Im Gegenteil: das Material, das der „Poeta
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sehen. Erklörlicherweise, denn sie lag außer-
halb des Forschungsgebietes der Literaturhisto-
riker: Die Welt der bildenden Kunst.
Kurz nach dem Erscheinen des „Doktor Faustus",
im Jahre 1947, habe ich aufzeigen können, daß
eine ganze Reihe der Helden auf Porträts van
Dürergemalter Personen zurückgeht und in einem
ungewöhnlichen künstlerischen Umformungspro-
zeß im Roman zu neuem Leben erweckt worden
ist". Damit war bewiesen, daß Thomas Mann
nicht nur Texte und Fakten in sein Werk auf-
nahm, sondern auch Werke der bildenden Kunst.
Es handelte sich um etwas, was man „Bildzitat"
nennen könnte. inzwischen sind weitere Unter-
suchungen vorgenommen worden, die meine
Mutmaßung bestätigt haben, und zahlreiche
„Bildzitate" sind entschlüsselt worden. Es waren
ihrer nicht wenige ".
Der Grund, warum Thomas Mann Montagen die-
ser Art in so auffallend großer Menge verwen-
det hat, ist der gleiche, der ihn zwang, auch bei
seinem Stoff auf Vorlagen zurückzugreifen. Auch
bei der Konzeption seiner Romanfiguren benö-
tigte Thomas Mann ein Vorbild. Wenn Erinne-
rungen und persönliche Anschauung, die sich
Thomas Mann, wie wir wissen, wenn er in
„Not" war - wie er es in seinem Entschuldi-
gungsbrief an G. Hauptmann nennt -, caute que
coute verschaffen mußte, nicht ausreichten, griff
er zlu bildlichen Vorlagen ieder Art: Fotogra-
fien, Ansichtskarten, Prospekten und vor allem
Kunstbüchern. Aus allen ließen sich Anregungen
für die Gestaltung der Romonfigur holen, die
zu „erfinden" Thomas Mann ebensowenig im-
3 Familiengruppe des Zwerges Seneb, um 2500 v.
Chr. Museum Kairo
Anmerkungen 15-19
" Th. Mann, Die Entstehung, a. a. 0., S. 60.
" H. Mayer, Das Zitat in der Erzühlkunst, Zur Gesdi. und
Poetik des europäischen Romans, Stuttgart 1961; W. R.
Berger, Die mythologischen Motive in Thainas Manns
Roman „Joseph und seine Brüder", Wien 1971, w.
Holthusen und H. Taubner, Dürers Philipp Melanditon
und „Bildnis einer iungen Frau" als visuelle Vorbilder
für die Eltern von Adrian Leverkühn in Thomas Manns
„Dßktßr Faustus" in: „Die Waage", val. a, No. 2, 1963,
u. Finke, Dürer und Thomas Mann, Manchester 1973.
ll G. Bergsten, Thainas Manns „Doktor Faustus", Studia
Litterarum Upsalensis 1'763.
"H. Zaloscer, Le „Docteur Faustus" de _Thomas Mann et
ses mediales, in: L0 Revue du Caire, Kairo 1953.
" Siehe Fußnote No. 16.