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Volltext: Alte und Moderne Kunst XX (1975 / Heft 140)

schnittenes Zeichen zwischen den Augen ..."". 
Kann die Übereinstimmung zwischen dem Par- 
trät und der Ramanfigur nur Zufall sein? Kön- 
nen die „tief eingeschriebenen Zeichen zwi- 
schen den Augen" eine unabhängige Eingebung 
des Dichters sein? Aber fahren wir fort. Das 
Aussehen Echnatons folgt Zug um Zug seinen 
Forträtplastiken. Es ist das eines „iungen, vor- 
nehmen Engländers von ausgeblühtem Ge- 
schlecht", das Gesicht „langgezogen, hochmütig 
und müde, mit nach unten ausgebildetem, also 
keineswegs mangelndem und dennoch schwa- 
chem Kinn ..., der lange Hals, der schmalen, 
weichen Brust, dem vertretenden Bauch "". Jede 
dieser Eigentümlichkeit ist wörtlich von den Dar- 
stellungen des Pharao „abgeschrieben". Ebenso 
ist die Königsmutter Teie (Abb. 5) mit ihrem 
„feingebogenen Naschen, den aufgeworfenen, 
von Furchen bitterer Weltkunde eingefaßten 
Lippenu" - besonders auffallend sind die Fur- 
„Fiorenza". Es ist die Schilderung einer Szene, in 
der Fiora, von ihren Begleiterinnen gefolgt, La- 
renzo, der auf seinem Krankenlager ruht, besucht. 
Die Szene, der Aufbau, der Raum, all das stützt 
sich zur Gänze auf die Darstellung der Geburt 
Mariä von Ghirlandajo in Sta. Maria Novella in 
Florenz. Meine Vermutung wurde erst nach der 
Gründung des Thamas-Mann-Archivs bestätigt, 
als ich unter den Materialien auch eine Abbil- 
dung des Frescos fand. 
Szenische Nachdichtungen, die auf Werke der 
bildenden Kunst zurückgehen, sind in den „Ge- 
schichten Jaakobs" besonders häufig. Da ist z. B. 
„das reizende Orchester von Harfenistinnen, 
Lautenspielerinnen und Bläserinnen der Doppel- 
flöte in weiten Hauchgewöndern von Kleidern", 
die bei der Damengesellschaft der Mut-em-enet 
aufspielen (Abb. 6], während die Damen selbst 
„an Lotasblüten riechen, einander Näschereien 
zum Kosten reichen" " (Abb. 7), es ist das gleiche 
Blinder Harfenspieler. Relief aus dem Grube 
des Puienemhab. Riiksmuseum Leyden 
Detail vom Thronsessel des Tutankhumon. Mu- 
seum Kairo 
chen zu Seiten ihres Mundes - deutlich auf dem 
Portrötköpfchen, das uns von der Königs- 
mutter erhalten ist, zu erkennen, bevor sie 
der Dichter „stolz und müde", auf ihrem Thron 
sitzend, zu neuem Leben erweckte und im Ro- 
man vor uns erstehen ließ. Mut-em-enet, mit 
ihrem „geschlöngelten Mund mit seinen vertief- 
ten Winkeln und schattigen Wangen" lächelt 
uns auf zahlreichen Frauenköpfen dieser Zeit 
entgegen. Ihrem Mann, dem „Fleischesturm" 
Petepre auf seinen „Säulenfüßen" - ein mate- 
rialbedingtes Stilelement der ägyptischen Frei- 
plastik -, begegnen wir im Josephsroman wie 
auf Schritt und Tritt seinen Vorbildern in Mu- 
seen. Auch die Gestalt von Esnat, der „Schild- 
iungfrau", dem Weibe Josephs, kann nicht ohne 
Vorbild entstanden sein, so einmalig sind ihre 
Charakteristika: „Lieblich und gewissermaßen 
einmalig war auch ihr Körperbau, der durch die 
gesponnene Luft ihrer Kleidung schien, ausge- 
zeichnet durch eine von der Natur ausnehmend 
schmal und wespenartig eingezogene Taillen- 
gegend mit entsprechend ausladendem Becken 
und langer Bauchpartie darunteru." Hier stellt 
sich dieses Gefühl des „deia-vu" ein, von dem 
weiter oben die Rede war, doch das Vorbild 
konnten wir nicht eruieren. Soweit also einige 
Beispiele für das „direkte" Montieren von Por- 
träts aus der bildenden Kunst in dem Roman. 
Die zweite, formal kompliziertere Art, Bildwerke 
in die Erzählung einzubauen, besteht darin, daß 
eine Bilddarstellung im Roman zu einer lebendig 
bewegten Szene, zu einem Geschehen gestaltet 
wird. Eines der frühesten Beispiele findet sich in 
28 
Orchester, mit den gleichen Instrumenten, mit 
den gleichen „Hauchgewändern", das einst einem 
Großen in Theben aufgespielt hat und heute 
seine Grabkammer schmückt. Hierher gehört 
auch der „alte, blinde Harfenspieler", der bei 
Petepres Mahlzeiten aufspielte (Abb. 8) und „mit 
dürren Krummfingern in die Saiten greift"3'; die 
„dürren Krummtinger", die Thamas Mann so 
nachdrücklich hervorhebt, lassen sich ebenfalls 
nur aus der direkten Beobachtung des Werkes 
erklären. Die Tempelmüdchen, „die im Tanz die 
Sistren und Tamburine schütteln und über ihren 
Köpfen das gerade ausgestreckte Bein erstaun- 
lich hoch aus der Hüfte"" recken, sind eine Wie- 
derbelebung der Tempelmödchen aus einem Re- 
lief im sogenannten „Ärztegrab" in Sakkarah, 
wo sie die gleichen akrobatischen Kunststückchen 
aufführen. Die Reihe könnte fortgesetzt werden, 
schließen wir mit zwei sehr repräsentativen Bei- 
spielen. Da ist die Beschreibung des eigenartig 
bewußt ungezwungenen Sitzens, eine Art Räkeln, 
Echnatons (Abb. 9), der den Arm auf der Rück- 
lehne seines Thrones ruhen lößt". Das gewisse 
„Sichgehenlassen", das diese Sitzweise ausdrückt, 
so verschieden von der üblichen hierotischen 
Haltung der Pharaonen, und das zu beschreiben 
Thomas Mann sich nicht Genüge tun kann, sall 
u. a. die revolutionäre Freiheit des Herrschers, 
der mit der Tradition bricht, illustrieren. Dieses 
eigenartige Sitzen ist aber ebenfalls ein „wört- 
liches Zitat" und der gleichlautenden Darstel- 
lung u. a. auf der Rückenlehne des Thronsessels 
des Tutankhamon entnommen (Abb, 9). Unser 
letztes und besonders instruktives Beispiel für die 
 
"I0 Weidende Gänse. Fresko aus einem Grab in 
Medun. Museum Kairo 
10a Katze im Papyrusdickicht. Aus Beni Hasan. Mu- 
seum Kairo 
Anmerkungen 31m7? 
ß Th. Mann, Joseph, Bd. ii, s. 1059. 
1' Th. Mann, Joseph, Bd, ll, s. 1583 n. 
11 Th. Mann, Joseph, Ed. II, s. 158i. 
1' Th. Mann, Joseph, Bd. ii, s. 1698. 
14 Th. Mann, Joseph, Bd. ll, s. 1357 t. 
ll 
ßih. Mann, Joseph, Bd. , s. 1025. 
eih. Mann, Joseph, ae. ll, s. an. 
v Th. Mann, Joseph, Bd. lt,5.1582,
	        
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