schnittenes Zeichen zwischen den Augen ..."".
Kann die Übereinstimmung zwischen dem Par-
trät und der Ramanfigur nur Zufall sein? Kön-
nen die „tief eingeschriebenen Zeichen zwi-
schen den Augen" eine unabhängige Eingebung
des Dichters sein? Aber fahren wir fort. Das
Aussehen Echnatons folgt Zug um Zug seinen
Forträtplastiken. Es ist das eines „iungen, vor-
nehmen Engländers von ausgeblühtem Ge-
schlecht", das Gesicht „langgezogen, hochmütig
und müde, mit nach unten ausgebildetem, also
keineswegs mangelndem und dennoch schwa-
chem Kinn ..., der lange Hals, der schmalen,
weichen Brust, dem vertretenden Bauch "". Jede
dieser Eigentümlichkeit ist wörtlich von den Dar-
stellungen des Pharao „abgeschrieben". Ebenso
ist die Königsmutter Teie (Abb. 5) mit ihrem
„feingebogenen Naschen, den aufgeworfenen,
von Furchen bitterer Weltkunde eingefaßten
Lippenu" - besonders auffallend sind die Fur-
„Fiorenza". Es ist die Schilderung einer Szene, in
der Fiora, von ihren Begleiterinnen gefolgt, La-
renzo, der auf seinem Krankenlager ruht, besucht.
Die Szene, der Aufbau, der Raum, all das stützt
sich zur Gänze auf die Darstellung der Geburt
Mariä von Ghirlandajo in Sta. Maria Novella in
Florenz. Meine Vermutung wurde erst nach der
Gründung des Thamas-Mann-Archivs bestätigt,
als ich unter den Materialien auch eine Abbil-
dung des Frescos fand.
Szenische Nachdichtungen, die auf Werke der
bildenden Kunst zurückgehen, sind in den „Ge-
schichten Jaakobs" besonders häufig. Da ist z. B.
„das reizende Orchester von Harfenistinnen,
Lautenspielerinnen und Bläserinnen der Doppel-
flöte in weiten Hauchgewöndern von Kleidern",
die bei der Damengesellschaft der Mut-em-enet
aufspielen (Abb. 6], während die Damen selbst
„an Lotasblüten riechen, einander Näschereien
zum Kosten reichen" " (Abb. 7), es ist das gleiche
Blinder Harfenspieler. Relief aus dem Grube
des Puienemhab. Riiksmuseum Leyden
Detail vom Thronsessel des Tutankhumon. Mu-
seum Kairo
chen zu Seiten ihres Mundes - deutlich auf dem
Portrötköpfchen, das uns von der Königs-
mutter erhalten ist, zu erkennen, bevor sie
der Dichter „stolz und müde", auf ihrem Thron
sitzend, zu neuem Leben erweckte und im Ro-
man vor uns erstehen ließ. Mut-em-enet, mit
ihrem „geschlöngelten Mund mit seinen vertief-
ten Winkeln und schattigen Wangen" lächelt
uns auf zahlreichen Frauenköpfen dieser Zeit
entgegen. Ihrem Mann, dem „Fleischesturm"
Petepre auf seinen „Säulenfüßen" - ein mate-
rialbedingtes Stilelement der ägyptischen Frei-
plastik -, begegnen wir im Josephsroman wie
auf Schritt und Tritt seinen Vorbildern in Mu-
seen. Auch die Gestalt von Esnat, der „Schild-
iungfrau", dem Weibe Josephs, kann nicht ohne
Vorbild entstanden sein, so einmalig sind ihre
Charakteristika: „Lieblich und gewissermaßen
einmalig war auch ihr Körperbau, der durch die
gesponnene Luft ihrer Kleidung schien, ausge-
zeichnet durch eine von der Natur ausnehmend
schmal und wespenartig eingezogene Taillen-
gegend mit entsprechend ausladendem Becken
und langer Bauchpartie darunteru." Hier stellt
sich dieses Gefühl des „deia-vu" ein, von dem
weiter oben die Rede war, doch das Vorbild
konnten wir nicht eruieren. Soweit also einige
Beispiele für das „direkte" Montieren von Por-
träts aus der bildenden Kunst in dem Roman.
Die zweite, formal kompliziertere Art, Bildwerke
in die Erzählung einzubauen, besteht darin, daß
eine Bilddarstellung im Roman zu einer lebendig
bewegten Szene, zu einem Geschehen gestaltet
wird. Eines der frühesten Beispiele findet sich in
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Orchester, mit den gleichen Instrumenten, mit
den gleichen „Hauchgewändern", das einst einem
Großen in Theben aufgespielt hat und heute
seine Grabkammer schmückt. Hierher gehört
auch der „alte, blinde Harfenspieler", der bei
Petepres Mahlzeiten aufspielte (Abb. 8) und „mit
dürren Krummfingern in die Saiten greift"3'; die
„dürren Krummtinger", die Thamas Mann so
nachdrücklich hervorhebt, lassen sich ebenfalls
nur aus der direkten Beobachtung des Werkes
erklären. Die Tempelmüdchen, „die im Tanz die
Sistren und Tamburine schütteln und über ihren
Köpfen das gerade ausgestreckte Bein erstaun-
lich hoch aus der Hüfte"" recken, sind eine Wie-
derbelebung der Tempelmödchen aus einem Re-
lief im sogenannten „Ärztegrab" in Sakkarah,
wo sie die gleichen akrobatischen Kunststückchen
aufführen. Die Reihe könnte fortgesetzt werden,
schließen wir mit zwei sehr repräsentativen Bei-
spielen. Da ist die Beschreibung des eigenartig
bewußt ungezwungenen Sitzens, eine Art Räkeln,
Echnatons (Abb. 9), der den Arm auf der Rück-
lehne seines Thrones ruhen lößt". Das gewisse
„Sichgehenlassen", das diese Sitzweise ausdrückt,
so verschieden von der üblichen hierotischen
Haltung der Pharaonen, und das zu beschreiben
Thomas Mann sich nicht Genüge tun kann, sall
u. a. die revolutionäre Freiheit des Herrschers,
der mit der Tradition bricht, illustrieren. Dieses
eigenartige Sitzen ist aber ebenfalls ein „wört-
liches Zitat" und der gleichlautenden Darstel-
lung u. a. auf der Rückenlehne des Thronsessels
des Tutankhamon entnommen (Abb, 9). Unser
letztes und besonders instruktives Beispiel für die
"I0 Weidende Gänse. Fresko aus einem Grab in
Medun. Museum Kairo
10a Katze im Papyrusdickicht. Aus Beni Hasan. Mu-
seum Kairo
Anmerkungen 31m7?
ß Th. Mann, Joseph, Bd. ii, s. 1059.
1' Th. Mann, Joseph, Bd, ll, s. 1583 n.
11 Th. Mann, Joseph, Ed. II, s. 158i.
1' Th. Mann, Joseph, Bd. ii, s. 1698.
14 Th. Mann, Joseph, Bd. ll, s. 1357 t.
ll
ßih. Mann, Joseph, Bd. , s. 1025.
eih. Mann, Joseph, ae. ll, s. an.
v Th. Mann, Joseph, Bd. lt,5.1582,