entscheiden noch ist es für unser Problem wichtig.
Wichtig allein ist die Tatsache, wie sehr der
Dichter von anschoulichem Material abhing, und
in wie vielfältiger Art er es verwendet hat. Nicht
selten geschah dies mit einem Augenzwinkern
für den gewitzigten Leser, iener Ironie und Ver-
steckenspiel, die Thomas Mann liebte.
So etwa, wenn der Besuch Josephs im Bildhauer-
atelier des Ptach beschrieben wird und uns prak-
tisch alle Meisterwerke der pharaonischen Kunst,
in loco gewissermaßen, vorgeführt werden u.
So bewundert Joseph: „Königsbilder . . . im Kopf-
tuch, von dessen über die Schulter fallenden Flü-
geln ihre Ohren abstanden es handelt sich
um die Granitstatue des Sesostris im Museum in
Kairo; oder; „Könige, denen ein Falke im Nak-
ken die Flügel spreitete" (Abb. I3), es ist die
überlebensgroße Dioritstatue des Chefren im
gleichen Museum, eines der großartigsten Werke
altügyptischer Kunst. Joseph sieht auch den
„Schreiber mit unterschlagenen Schenkeln", ge-
meint ist wohl das Werk im Louvre, und, um
unsere Liste nicht allzulang zu machen, er bewun-
dert auch das Doppelpartröt eines Mannes und
einer Frau: „Sie waren bemalt, wie sie da mit
geschlossenen Knien nebeneinander saßen . .. in
den natürlichsten Farben der Haut Ptachs
Künstler hatten ihnen Augen gemocht ein
schwarzes Steinchen im Glasfluß als Sehlach,
aber in dieses wieder ein Silberstiftchen, das als
Lichtblitzlein darin auflebte." Mit unnachahmli-
Tllalnxs MAXN
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itn-p-w ffördßzr z? 4...., z..- h, '41 l
cher Präzision ist hier das Doppelbildnis des Ra-
hotep und seiner Frau Nofrit„abgeschrieben"und
in ihre einstige Daseinssphäre zurückversetzt.
Neben solchen erkennbaren, also „offenen"
Zitaten, in denen Thomas Mann entweder
Einzelpersonen noch bildhaften Vorbildern gestal-
tete, oder ein Bild, also eine statische Darstel-
Iung in ein Geschehen in der Zeit gestaltete,
verwendet Thomas Mann Werke der bildenden
Kunst in einer subtileren, oft schwer zu entzif-
fernden Form; hier handelt es sich um „ge-
heime", ia man könnte sie sogar „hermetische"
Zitate nennen.
Eine derartige Montage findet sich z. B. im sie-
benunclvierzigsten Kapitel des „Doktor Faustus".
Nach seiner wirren Rede stürzt Leverkühn zu-
sammen, und die darauffolgende Szene allge-
meiner Bestürzung schließt mit den Worten:
„Frau Schweigestill... hob den Kopf des Be-
wußtlosen, und seinen Oberleib in mütterlichen
Armen haltend . . 1'" Hier hat ahne ieden Zwei-
fel - sowohl was das Äußere der Haltung an-
langt als auch dem inneren Gehalt nach - die so
leidvolle Pieta des Michelangelo, die Pietä Ron-
danini Modell gestanden. Die Szene im Roman
ist eine reine Nachdichtung dieser so ausdrucks-
vollen Plastik, doch könnten Nichteingeweihte
ein derartiges „Zitat" leicht überlesen ß.
Die größte Bedeutung kommt aber jenen Bild-
montagen zu, die, ohne Rücksicht auf den Sinn-
geholt des Bildwerkes, lediglich vom Optischen
ausgehend, in Sprache umgesetzt werden, wo
ein konkretes, greifbares Werk in das abstrakte
Medium der Sprache umfunktioniert wird. Hier
haben wir es mit einem formalösthetischen Phö-
30
14 Michelangelo, Detail aus dem „Jüngsten Ge-
richt". Sixtinische Kapelle, Rom
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I5 Briefstellen aus Thomas Manns Schreiben an Dr.
Hilde Zaloscer, die sich auf den vorliegenden
Beitrag beziehen.
Thomas Mann, ErlenbachlZürich, 24. August 1953
Sehr geehrte Frau, nehmen Sie verbindlichsten
Dank für die Übersendung der „Revue du Caire"
mit Ihrem Aufsatz „Le Docteur Faustus et ses
Modeles". lch habe die ausgezeichnete Arbeit
mit aufrichtigem Vergnügen gelesen
- Über Nietzsche scheint M. Collevill's ent-
cleckender Scharfblick nicht herausgelangt zu
sein... Da geht es bei Ihnen anders zu. Sie
haben mehr gesehen von den verschwiegenen
und doch so offenkundigen Hintergründen des
Buches, und wenn Sie es geradezu „une sorte de
rornan-clef de notre epoque" nennen, so hat
mich das, weil es witzig ist, amüsiert und, weil es
wahr ist, ergriffen... Dürer ist selbstverständ-
lich immer gegenwärtig und auch die Gegenwart
der „ieune Venitienne" ist richtig erkannt...
- Ihr Aufsatz, soviel ist sicher, gehört zu den
besten, einsichtigsten Studien, die über den
„Doctor Faustus" geschrieben worden sind...
Ihr sehr ergebener
Thomas Mann
Ä; 4'447. [q
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4'114
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Anmerkungen 43-46
" Th. Mann, lose h, Bd. I, S. 336 f.
4' Th. Mann, „D0 IOr Faustus", a. d. 0., S. 763.
45 Th. Mann, „Doktor Faustus", u. a. O., S. 773.
4' Weitere Beispiele dieser „hermetischen" Bildzitate siehe
in: H. Zaloscer, Ägypten in Thomas Manns Jasephsroman,
Cl. G. 0., S. T23.
nomen ganz eigenständiger Prägung zu tu
es bei der Umsetzung der statischen, stur
Bildwerke in die lebendig-dynamische Wel
Erzählung, des Wortes, um die Umsetzung
Formkategorien, geht, von denen iede ihre
nen unverwechselbaren Werte besitzt.
Die vollkommenste Umsetzung erfolgt also
wo der Realitätsgeholt des Bildwerkes vom
der Sprache zur Gänze aufgesogen, seine
krete Gültigkeit aufgelöst wird und ein l
Sprachwerk entsteht. Eines der schönster
zugleich instruktivsten Beispiele dieses Kun
tels, das, soweit ich es beurteilen kann
Thomas Mann verwendet hat, ist das folg
ebenfalls dem „Doktor Faustus" entnor
Das Werk schließt mit den Worten des
nisten, der in einer apokalyptischen Visio
Schicksal seines zerstörten Vaterlandes, De
land, heraufbeschwört: „Heute stürzt es,
einem Auge die Hand und mit der GFIdEft
Grauen starrend, hinab von Verzweiflur
Verzweiflung"? Diese ebenso pathetisch
auch anschauliche Metapher ist aber nichts
res als die genaue Beschreibung einer derl-
figuren aus Michelangelos „Jüngstem Gr
in der Cappella Sixtina (Abb. I4)! Jeden
das Werk kennt, wird beim Lesen dieses l
das Vorbild mit aller Deutlichkeit gegenv
So wird ein durch sein Pathos dazu geeig
Bildwerk, als Metapher zu reiner Dichtkui
die Sprache integriert. Weitere Beispiele fi
se Art der „Montage" ließen sich anführer
auch hier soll das Einmalige und Prinz
aufgezeigt werden, die besondere Art, n
Thomas Mann Werke der bildenden Kun
wendet hat".
Mag denn Thomas Manns Liebe in erster
der Musik gegolten haben, deren Wurze
auch Gefahren er immer wieder untersuc
für die Gestaltung seiner Romanfiguren,
ausgeprägten Naturalismus, der ihnen den
pel der Authentizität a-ufdrückt, war d
dende Kunst von ausschlaggebender Bede
Gewiß, seine Beobachtungsgabe war k
war weniger emotionell gefärbt als sein
gung zur Musik. Doch die Werke der bilc
Kunst boten nicht nur die notwendiger
schauungsstützen", sie bereicherten au:
Sprache und ein eigentümlich schillerndl
ment, ein Paradoxon zwischen Anschaul
und Abstraktheit.
Erst naali Fertigstellung dieses Essays konnte irl-i
Untersuchungr „Bild Und Text bei Thomas Mann, l
kumentation", Francke-Verlag Bern, Kenntnis nehme
diese werden zahlreiche Arbeiten zu der Frage derl
im (znyrs von Thomas Mann hinfällig, da nunrr
im Archiv vorhandene Material ledem zugänglich t
iedes Raten und Erraten sich erübrigt. Daher sclleir
wichtig, darauf hinzuweisen, daß meine ersten in dil
ning weisenden Arbeiten „Le Docteur Faustus et sc
les" in Kairo im Jahre 1953 und „Ägypten in
Manns Jasephromon: zum Problem des ßildzitat
Jahre 1974 in Toronto erschienen, also ohne zirliil
des eingangs erwähnten publizierten Materials.
l l Unser Autor:
Prof. Dr. Hilde Zaloscer
Kunsthistorikerin
Franz-Koci-Straße 6lStiege15,'IlO0 Wien