Franz Wagner
Egon Schiele im Münchner
Haus der Kunst
Egon Schiele, „Edith Schiele",
Kreide (KaL-Nr. 764)
191 B. Schwarze
Vom 22. Februar bis zum 11. Mai 1975 beher-
bergte das Haus der Kunst in München mit 285
Katalognummern die bisher wohl umfassendste
Ausstellung von Werken Egon Schieles (1890 bis
1918). Es hat ungewöhnliche Mühe (und entspre-
chend hohe Versicherungssummen) gekostet,diese
72 Gemälde, über 200 Aquarelle, Gouachen und
Zeichnungen sowie zehn druckgraphische Arbei-
ten zusammenzutragen. Thomas M. Messer, der
Direktor des Salomon-R-Guggenheim-Museums,
New York, hatte die wissenschaftliche Bearbei-
tung und die Zusammenstellung der Ausstellung
übernommen, an deren Zustandekommen außer-
dem noch, wie der reich illustrierte Katalog mel-
det, Otto Kallir, Walter Koschatzky und Rudolf
Leopold maßgeblich beteiligt waren. Womit für
Kenner und Liebhaber der Kunst Schieles bereits
die internationale Bedeutung dieses Vorhabens
erwiesen wäre. Verbleibt zu notieren, wie groß
diese Bedeutung - neben der der publizistischen
Unternehmungen van Kallir, Leopold und neuer-
dings von Erwin Mitsch - für das Werk des
großen Visionörs gewesen ist.
Die stilistische und spirituelle frühe Abhängigkeit
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Schieles von Gustav Klimt war bisher kaum
übersehen worden. Schiele selbst hatte Klimt als
seinen geistigen Mentor anerkannt, der ihn auf
seinen Wunsch hin beraten hatte, als er siebzehn
gewesen war und noch die Akademie besuchte.
Ein attenkundiges Beispiel, das schon eine Reihe
von Kommentatoren beschäftigte, ist die Bezie-
hung von Schieles „Kardinal und Nonne" zu
Klimts ebenso berühmtem wie oft reproduzier-
tem Bild „Der Kuß". Jedoch: Was Schiele stili-
stisch Klimt verdankte, diente ihm vor allem am
Anfang seiner Entwicklung. Er wurde erst ganz
er selbst, als er sich ein expressives ldiom an-
eignete, das seine unverwechselbare, einmalige,
persönliche Handsdwritt trug. Für Schiele bedeu-
tete die um 1910 erworbene künstlerische Unab-
höngigkeit unter anderem die Loslösung von
Klimt.
Im Katalogvorwort, dem diese Sätze entnommen
sind, hat Thomas Messer aber auch a-ut gewisse
Ähnlichkeiten zwischen Ferdinand Hodler, Ed-
vard Munch und Egon Schiele hingewiesen.
„Während Schieles zeichnerischer Stil und seine
Neigung zu linearen Strukturen ihn mehr mit
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