I Aktuelles Kunstgeschehen l Österreich
Wien
Secession
ll. Internationale Graphikbiennale
Hermann J. Painitz
Josef Hegenbarth
Mitten im Festwochenrummel gelang es der Wiener
Secession, einen Ausstellungsakzent zu setzen,
der in künstlerischer Hinsicht nicht weniger zu über-
zeugen vermochte als von seinem Informationsgehalt
her. Freilich, das Verdienst am Zustandekommen
dieser ll. Internationalen Graphikbiennale Wien
kommt in erster Linie Mario Decleva zu, dem
Organisator der Ausstellung, zu der 130 namentlich
eingeladene Künstler rund 500 Zeichnungen und
Druckgraphiken eingereicht hatten. Erfreulich an der
breitgestreuten Konfrontation war unter anderem
auch die Begegnung mit neueren Blättern einiger
„Altmeister" der Moderne: Marino Marini, Ben
Nicholson, Mark Tobey, Jean Bazaine, Robert
Motherwell, Chillida und Matta. Nahezu alle heute
dominierenden Stilrichtungen und Tendenzen waren
präsent, darunter - sieht man vom Kreis der
informierten Insider ab - für Wien manches Neue.
Die Biennale ermöglichte einige Entdeckungen
(darunter den Japaner Kunito Nagaoka) und machte
deutlich, daß Österreich als Land exzellenter
Graphiker international keinen Vergleich zu scheuen
braudit. Nicht zufällig, sondern unter besonderem
Herausstreichen des künstlerischen Neuikeitswertes
wurde von der Jury auch eine Fotoüberzeichnung
des Wieners Arnulf Rainer mit dem Hauptpreis
bedacht. Drei weitere Preise gingen an Valeria
Adami (Italien), den „Verpacker" Christa (er
beschäftigt sich ebenso wie Rainer mit neuen
künstlerischen Strukturen und bildnerischen
Möglichkeiten) sowie an den in Wien lebenden
Kärntner Fritz Steinkellner für einen aufwendig
ausgeführten farbigen Siebdruck. Nach dem
Ergebnis der diesiährigen Ausstellung miißte es
nicht nur gelingen, den Fortbestand dieser für
Österreichs Kunstszene wichtigen Biennale zu
sichern, sondern auch das Budget für sie durch
Subventionen öffentlicher Stellen entsprechend
zu erhöhen. (12. 6.-31.7. 1975) - (Abb. 1-4)
Einen ähnlich positiven Eindruck hinterließ auch
die - ausstellungstechnisch hervorragend gestaltete
- Personale des 1973 zur Biennale nach Sao Paula
entsandten Malers Hermann J. Painitz. Sie stand
unter dem Motto „An Stelle von" und führte in
modellhafter Form die Grundüberlegungen des
Künstlers vor Augen. „Texte werden als Schriftbilder
aufgefaßt und in eine andere visuelle Form
gebracht. Die Schrift mit ihrer Aufeinanderfolge
von Elementen symbolisiert Zeit, zum Lesen ist
Zeit erforderlich. Somit ist Schrift neben anderen
bildlichen Aussagen, wie Diagrammen, ein
geeignetes Demonstrationsobiekt für Zeit." Die
Komplexheit seines Anliegens wird auch in einer
größeren Broschüre dokumentiert, die aus Anlaß
der Secessions-Ausstellung erschien. Sie unterstreicht
ebenso die ausgeprägt individuelle (wenn auch
auf Obiektivierung gerichtete) formalästhetische
Komponente seiner Arbeiten wie den nicht selten
zur Ironie neigenden Theoretiker. (Abb. 5)
Zur Painitz-Ausstellung parallel wurde in der
Secessionsgalerie eine 70 Arbeiten der verschieden-
sten graphischen Techniken umfassende Personale
des bekannten deutschen Expressionisten Josef
Hegenbarth gezeigt. Es war im Schnitt eine
erfreulich qualitätsvolle Schau, mit der die Secession
ihr jahrelanges Mitglied dem Wiener Publikum in
Erinnerung rief. Josef Hegenbarth wurde 1884 in
Böhmisch-Kamnitz geboren. Er studierte von 1909
bis 1915 in Dresden, war Mitbegründer der Prager
Secession, Mitarbeiter beim „Simplizissimus" und
nach dem Ende des zweiten Weltkriegs für kürzere
Zeit Akademieprofessor in Dresden. Die Zeitspanne
der gezeigten Exponate reichte von 1922 bis zu
Hegenbarths Todesiahr 1962. Als einem hervor-
ragenden Künstler des reinen Schwarz-Weiß
gelangen dem als Illustrator Kubin durchaus
vergleichbaren Zeichner Porträts, Tierstudien und
gesellschaftskritische Szenen, die Hegenbarths
eigenständigen Rang nicht nur neben einem Otto Dix
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und Georges Grosz, sondern auch über die
Anliegen dieser beiden Künstler hinausgehend
unterstreichen. (6.-28. 5. 1975) - (Abb. 6)
Galerie Ariadne
Maria Lassnig
Viele halten die aus Kärnten stammende und schon
seit längerem in New York lebende Malerin Maria
Lassnig für die bedeutendste lebende bildende
Künstlerin Österreichs. Ihre Wichtigkeit unterstrich
auch eine verdienstvolle Ausstellung der Galerie
Ariadne, die frühe Zeichnungen - durchwegs aus
den Jahren 1948-1950 - in einer bemerkenswerten
Auswahl vorstellte. Lassnig ging in diesen mitunter
Wege, die auch Arnulf Rainer zu seinem Anliegen
gemacht hatte. Und dennoch Iäßt sich schon deutlich
genug und auch entsprechend abgrenzbar all das
herauslesen, was dann die spätere Lassnig
ausmachte. Automatismus und Surrealismus waren
damals für Maria Lassnig prinzipielle Entscheidun-
gen, Möglichkeiten einer Weltsicht und eines
bildnerischen Verhaltens von großer lntrovertiert-
und Echtheit. „Die für mich wichtigsten Versuche
bleiben die wenigen kleinen ,Selbstporträts', deren
Namen von damals ,introspektive Erlebnisse' sicher
nicht präzise genug war, weil ich nicht nach innen
,geschaut' habe, sondern gefühlte Erlebnisse
niederschrieb; sie waren eine wenn auch schüchterne
Grundlegung meiner ,Bodyawarenesspaintings',
die ich ietzt noch immer verfolge."
(28. 4.-17. 5. 1975) - (Abb. 7, 8)
Künstlerhaus Wien
Jahresausstellung „Der Kreis"
Im gewohnten Fahrwasser gemäßigter Moderne,
ausgezeichnet durch eine gewisse handwerkliche
Solidität, bewegte sich auch heuer das Gras der
Exponate dieser obligaten Johresausstellung. Neue
Namen waren lediglich Wilhelm Dabringer und
Peter Dressler. Als Gast war der Realist Helmut
Rusche mit von der Partie. (April-Mai 1975) - (Abb. 9)
Modern Art Galerie
Brigitta Malche
Die Konsequenz ihrer Malerei unterstrich die aus
Linz stammende Brigitta Malche auch in ihrer
iüngsten Personale. Wie früher zeigte sie kultiviert
gemalte, dem ästhetischen Kanon des klassischen
Kubismus angeglichene quadratische Bilder, die
als Abstraktionen mit gegenständlich orientierbaren
Hinweisen und Assoziationen klassifiziert werden
können. (April-Mai 1975) - (Abb. 10)
Galerie Brandstätter
Franz Schicho
Peter Pongratz
Mehr als andere nimmt sich die Galerie Brandstätter
in iüngster Zeit iener österreichischen Künstler an,
die sozusagen als „etablierter Nachwuchs" Akzente
setzen und Bedeutung haben. Auf den iungen Franz
Schicho (Jahrgang 1951), der die in ihn gesetzten
Hoffnungen erfüllt, folgte Peter Pongratz, der selten
ausstellende „Star" der inzwischen de facto
zerfallenen „Wirklichkeiten-Gruppe". Pongratz
präsentierte einen interessanten Querschnitt durch
Temperabilder, Gouachen und Zeichnungen der
Jahre 1974l75. (18. 15.-21. 4., 21. 5.-30. 6. 1975)
Peter Baum
Graphische Sammlung Albertina
Karl Rössing
Rössing wurde 1897 in Gmunden in Oberösterreich
geboren. Schon seit 1917 beschäftigte er sich mit
der Druckgraphik, zuerst mit dem Holzstich. Bis 1950
illustrierte er in dieser Technik etwa 35 Bücher,
von denen einige in der Ausstellung zu sehen
waren. Die Aussage ist hart zupackend, in der
Nähe eines George Grosz und ebenso sozialen
Themen zugewandt. Vor Hitler in der Essener
Folkwang-Schule als Lehrer tätig, nach dem Krieg
in Stuttgart, zählen M. Sartorius, F. Meckseper und
H. Heuer zu seinen Schülern. Ab 1950 arbeitet er
an großflächigen Linolschnitten. Er hat diese
Technik zu einer einmaligen Meisterschaft entwickelt.
In fünf Druckvorgängen setzt er die verschiedenen
Farben übereinander und erreicht dadurch ungemein
malerische Wirkungen. Die Themen sind über-
zeitlicher, weisen in existenzielle Bezüge mensch-
lichen Seins, wobei oft mythologische Anspielungen
aufgegriffen werden. (20. 13.-20. 4. 1975) - (Abb. 11)
Museum des 20. Jahrhunderts
Gerhardt Moswitzer
Die Plastiken Moswitzers sind ernster geworden,
auch weniger ironisch. In ihren gläsernen Schreinen
wirken sie feierlicher als die früheren Arbeiten.
Die Ausführung ist außerordentlich sauber und zeugt
auch auf dem kleinsten Raum von einem Ideenreich-
tum. Die viel älteren Werkzeichnungen weisen
schon auf die Strukturen der „architektonischen
Körper". Im Vorraum einige Eisenplastiken aus den
frühen siebziger Jahren und verschiedene
Dokumentationen stellen die Verbindung zu den bis
ietzt von Moswitzer gesehenen Arbeiten her.
(12. 3.-20. 4. 1975) - (Abb. 12)
Galerie Würthle
Alfred Karger
Zeichnungen und Aquarelle aus den letzten Jahren.
Fast ausschließlich Landschaften. Bestechend die
feinen Zeichnungen mit dem immer dichter
werdenden Strichgefüge eines Waldes etwa oder
die zarten Linien, die geordnete Dach- und
Hausgevierte in einer leicht vibrierenden Spannung
halten. Die Aquarelle, sehr verfließend, in leichtem
Dunst aufgelöst, ungewöhnliche Farben.
(6.-29. 3. 1975)
Secession - Grete Yppen
Es dominieren Olbilder in schweren Farben. Die
Yppen beweist mit ihnen wieder einmal, daß sie zu
den wenigen Künstlern gehört, die mit solch
kraftvollen Tönen arbeiten können, ohne in
Übertreibungen zu verfallen oder Mißklänge
anzuschlagen. Die starken schwarzen Balken geben
einen magischen Akzent, der den Betrachter nicht
losläßt. Wenn auch sehr viel Schwung in der
Pinselführung ist, so erkennt man doch einen sehr
überlegten Auftrag. (4. 4.-27. 5. 1975) - (Abb. 13)
Historisches Museum der Stadt Wien
Beispiele früher lngenieurbauten in Wien -
Eisenkonstruktionen
An Hand von 210 Exponaten wurde in dieser
Ausstellung dokumentiert, daß schon in Wien um
die Jahrhundertwende die Eisenkonstruktion in der
Gestaltung der Bauwerke eine große Rolle gespielt
hat. Natürlich dominierte dabei besonders der
Brückenbau. Doch auch die Dächer der Markt- und
Bahnhofshallen und die der Ausstellungshalle
Rotunde waren Eisenkonstruktionen. Das Riesenrad
ist uns heute noch annähernd in der Form iener Zeit
erhalten geblieben. Daß iedoch die Kirche „Maria
vom Siege" und die Staatsoper schon mit eisernen
Dachstühlen gebaut worden sind, werden wenige
gewußt haben. (26. 3.-27. 4. 1975)
Alois Vogel
Salzburg
Galerie Welz
Peter Krawagna
In den Aquarellen des 1937 in Klagenfurt geborenen
Malers wird das graphische Formgefüge kaum
angedeutet; auf farbig vorbereitetem Papier
verbinden sich oft die Gegenstände zu einer dichten
Farbinsel, die iedoch nie als „unvollendet", sondern
als Zentrum räumlich-geistiger Energien zu deuten
wäre. Ab und zu tendiert die Form dahin, sich im
Farbrausch aufzulösen, doch bleibt stets die Farbe
dominant und von großer Ausdruckskraft.
(3.-27. 4. 1975)
Konrad Koller
Der 59iährige Arzt aus Villach dokumentiert mittels
des ihm „technisch zugänglichen Weges der
Kleingraphik" künstlerische Ausdrucksfähigkeit von