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Volltext: Alte und Moderne Kunst XX (1975 / Heft 140)

 
IDURUTIPIIIEIIJM 
KUNSTABTEILUNG, WIEN, l., DOROTHEERGASSE 11, 
Tel. 52 3129 
609. Kunstauktion 
16., 17., 18. und 19. September 1975 
14 Uhr 
Gemälde, Graphik. 
Jugendstil, Skulpturen, antikes Mobiliar. 
Antiquitäten, Asiatika. 
Waffen. 
Besichtigung: 
11.. 12., 13. und 15. September1975 von 10 bis18 Uhr 
Sonntag, 14. September, von 9 bis13 Uhr 
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Für den Kunstsammler 
Wiener Spaziergang. 
Zweifellos richten Intuition und ein durch ständiges 
stilkritisches Vergleichen geschulter Blick unter 
Umständen mehr aus als wissenschaftliche Tests. Ein 
gutes Beispiel ist van Meegerens berühmteste 
Fälschung „Christus und die Jünger von Emmaus". 
Das Bild bestand alle wissenschaftlichen Tests von 
der Bleiweißprobe über die Röntgenuntersuchung 
bis zur Spektraluntersuchung. 
Schon Max J. Friedländer empfahl größte Vorsicht 
gegenüber Zertifikaten, iedoch die laufendeSchulung 
der Augen, des Geschmacks und der Urteilskraft. 
immer wieder interessant ist es, einem Sammler der 
Vergangenheit zu folgen. Eine Auktion aus dem 
Jahre 1916. Österreich im dritten Kriegsiahr. Diese 
Auktion hatte Gemälde moderner und alter Meister 
zum Inhalt. Die Beiträge stammen aus - wie sich 
der Versteigerer C. J. Wawra in seinem Katalog' 
ausdrückte - berühmten Wiener Sammlungen. 
Die kurzen, aber prägnanten und konsequenten 
Katalognotizen geben ein lebendiges Bild dieser 
mit hervorragenden Namen bestückten Auktion. 
S0 lauten z. B. die angeführten Bezeichnungen, 
beginnend bei Andreas Achenbach, von „schön bis 
mäßig" über „nicht schlecht" bei einer „Ansicht 
von Wien" von Franz Alt (dieses Aquarell z. B. 
erbrachte 1900 Kronen, zu dem 10 Prozent Aufschlag 
hinzukamen), bis zu „mittelmößig" bei einem 
Ulbild „Venedig" van Rudolf v. Att. Trotz der 
Katalogbeschreibung „. .. ein hervorragendes Werk 
aus des Meisters bester Zeit" vermerkte unser 
unbekannter Käufer noch: „. . . bes. schwach der 
Schifferstand mit Gondeln". Dieses Bild, dem 
unbeirrte Kritik zuteil wurde, erzielte einen 
Spitzenpreis von 16.000 Kronen! Weiter geht's 
mit „teils Skizze" als Gedächtnisstütze, doch 
„sehr herzig" bei einem Aquarell „Die Kartäuse 
in Aggsbach" - Preis 1200 Kronen - von Rudolf 
v. Alt. Als „Museal" bezeichnet er ein Gemälde von 
Alexander Calcime „Nach dem Gewitter", es 
erzielte 18.500 Kronen, nach einem Bietbeginn von 
100 Kronen. Canon, Daffinger, Danhauser wurden 
nicht näher beurteilt. 
Wahrscheinlich waren diese für unseren Sammler 
nicht von Interesse. Bemerkenswert aber, daß die 
„Dichterliebe" von Josef Danhauser 47.000 Kronenl! 
erbrachte. In der Folge reihen sich Namen wie 
Fendi, Füger, Führich, Gauermann, Lenbach, Lauer, 
Pettenkofen - mit Notizen wie „lnteressanter Preis; 
nicht schön; gefällig; Gesichter verzeichnet" oder 
mit Bemerkungen wie „zu abgezirkelt" bei einem 
Moritz von Schwind. Ausgeboten wurden Schleich, 
Schindler, Schrödl, Waldmüller und Zügel, dessen 
Bild „Unangenehme Begegnung" zwar 9800 Kronen 
erzielte, aber mit „nicht wert" taxiert wurde. 
An dieser Stelle muß die Bemerkung eingefügt 
werden, daß sämtliche oben angeführten Bilder 
damals natürlich als Gemälde und Aquarelle 
moderner Meister angeboten wurden. 
Bei den Gemälden „alter Meister" finden sich 
bekannte Künstlernamen, wie Christoph Amberger, 
Pieter de Bloot, Caravaggio lMichel Angelo Merisi), 
Cranach, Cornelis Drost, Norbert Grund, Rotten- 
hammer, David Teniers d. J. und Zuccorelli, die 
zum Teil mit Notizen wie „hervorragend", 
„einwandfrei", „mittlere Qualität" und „vergleiche 
Bild Museum" charakterisiert wurden. Hier wurden 
auch die absolut höheren Preise erzielt; den 
Spitzenpreis der Auktion erbrachte „Die Cello- 
spielerin" in der Art des Jean Honore Fragonard 
mit 150.000 Kronenl! durch einen Kenner, der sich 
sicher sehr bewußt tiefgehend und „vorausschouend" 
mit Kunst auseinandersetzte. Heute agierenden, 
aber erst recht beginnenden Sammlern muß das 
Herz schwer werden, wenn sie diese Namen hören, 
die auch auf großen Auktionen immer seltener 
werden. Dennoch, solange nicht die immer praller 
werdenden Depots der öffentlichen Hand selektives 
Kunstgut vollständig geschluckt haben, verbleibt 
von diesem für ieden und iede Geldbörse genügend 
an Anbot übrig. 
Abschließend möchte ich zu den drei Freiländer- 
Kriterien Auge, Geschmack und Urteilskraft als 
viertes ein „einwandfreies Gedächtnis" hinzufügen. 
W. A. Siedler
	        
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