Für den Kunstsammler
Wilhelm Mrazek
Die österreichischen Glashütten
zur Barockzeit
Die Glasmacherkunst, die „unter allen Erfindungen
und Früchten der löblichen Feuer- und Schmelzkunst
nicht der geringsten eine" ist, erlebte in der
Barockzeit eine Blüte sandergleichen.
Schon im I6. und I7. Jahrhundert waren
venezianische Glasbläser nach Tirol gekommen und
hatten in Innsbruck und in Hall Gläser im
venezianischen Stil erzeugt. Als diese Glashütten
zugrunde gegangen waren, wurde die Erzeugung
rnit einheimischen Kräften in dem kleinen Orte
Kramsach weitergeführt. Hier wurden, wie ein
Warenverzeichnis van 1786 festhält, neben der
Kommerzware auch geschnittene Trink- und
Branntweinglöser, Karafindln, Grabkugeln und
blaue Pulverflaschen hergestellt. Diese Waren
wurden von den Kraxentragern bis in die
entlegensten Täler verkauft und deckten den Bedarf
der Tiraler Bevölkerung. Die Kramsacher Hütte
und ihre Erzeugnisse hatten nur lokale Bedeutung.
Anders verhielt es sich mit den Glashütten der
österreichischen Kranländer Böhmen und Schlesien.
In den Tälern und Wäldern des Riesen- und
lsergebirges entstanden im I7. und I8. Jahrhundert
zahlreiche Glashütten, deren Erzeugnisse einen
Höhepunkt in der Geschichte des europäischen
Glases bedeuten. Diese Hütten im böhmisch-
schlesischen Raum favorisierten einen neuen
Glasstil, in dem sich die barocken Stileigentümlich-
keiten hervorragend verwirklichen ließen. Entgegen
der hauchzarten und flüssigen Eleganz
venezianischer Gläser wurden die Gefäßwönde
stark und kantig gebildet, um den Giasschleifern
und -schneidern die Möglichkeit zu geben, Schliff-
und Schnittdekare ahne allzu graße Gefährdung
des Glases durchzuführen.
Die Glashütten des Hirschbergtals, die den Grafen
Schatfgatsch gehörten, bevorzugten für ihre
Glaserzeugnisse den Hachschnittdekar. In die
besonders dicke Gefäßwarid wurde der Schnitt so
tief geführt, daß kraftvolle, reliefartige Ornamente
stehenblieben, die die plastische Wirkung des
Gefäßes steigerten und den Eindruck von
bergkristallähnlicher Kostbarkeit hervarriefen.
Dieser Hochschnitt wurde nach 1700 vom Tiefschnitt
abgelöst, der größere Feinheit und Mannigfaltigkeit
im Dekar zuließ. In den folgenden Jahrzehnten
entfalteten die Glasgraveure der böhmischen und
schlesischen Hütten Schritt für Schritt den ganzen
Reichtum an Dekarmöglichkeiten.
Bevorzugte Glasform war der Pokal mit und ohne
Deckel. Die Grundform mit Fuß, Schaft, Kuppa und
Deckel ließ sich mannigfaltig dekarieien. Die
Kuppa war anfänglich trichter-, später becherförmig,
der Deckel mehr oder weniger gewölbt und mit
einem Knauf versehen, der Balusterschaft durch
Zwischenscheiben abgesetzt und der Fuß, ähnlich
dem Deckel, flach oder gewölbt gebildet. Ein
Schliffdekar van verschiedenartigsten Facetten
gab den einzelnen Gefdßteilen eine individuelle
Nate. Im Laufe der Entwicklung bedeckte man die
geschliffenen Teile mit immer reicherem Schnittdekar.
Aus der Vereinigung und der Kantrastierung von
Schliff- und Schnittdekar entstanden dann iene
gleißenden Prunkgefäße, die den Ruhm der
böhmisch-schlesischen Hütten ausmachten.
Die Vorlagen zu diesem phantastischen Reichtum
an Dekoratiansweisen entnahmen die Glasschneider
den Musterbüchern und Ornamentstichen. Zu Beginn
des I8. Jahrhunderts wurden die schweren Frucht-
und Blütengehänge von dem pflanzlich-
geometrischen Laub- und Bandelwerk und den
flüssigen Formen der Kalligraphenschnörkel
abgelöst. Nach der Jahrhundcrtmitte wcir es dann
clie Rocaille, welche das netzartige Dekorsyslem
des Laub- und Bandelwerkes zu miriiaturhaft
geschmückten kleinen Bildfeldern auflöste. Alle diese
Dekare waren aber mehr oder weniger nur Beiwerk
für die auf der Kuppawand angebrachten
Hauptmotive, die Wappen, Bildnisse, Manogramme,
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