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Volltext: Alte und Moderne Kunst XX (1975 / Heft 140)

. Österreichisches Museum für angewandte Kunst 
 
Österreichische Keramik des Jugendstils 
Sammlung des Österreichischen Museums 
für angewandte Kunst, Wien 
Buch und Katalog Neue Folge Nr. 35 
herausge eben vom Prestel-Verlag München 
und dem sterreichischen Museum 
für angewandte Kunst 
Altes Haus, Säulenhof und Saal l 
Wien 1, Stubenring 5 
13.12.-14.2.1975 und 6. 3.-31. 3. 1975 
In logischer Folge führte man nach dem „Glas des 
Jugendstils" nun die „Keramik des Jugendstils", 
genauer der Jahrhundertwende - beide Sammlungen 
des Österreichischen Museums - hier im Stammhaus 
vor. Gleichfalls ein Zurschaustellen auf Zeit von 
Obiekten, die konsequenterweise als ständige 
Präsentation erwartet werden müßten. Wenn es 
die Raumnot nicht gäbe! Womit man rechtfertigen 
muß, daß dem Besucher wohl erlesene Schöpfungen 
früherer Epochen ausreichend gezeigt werden, 
dieser jedoch vergeblich nach solchen des 19. Jahr- 
hunderts und der neueren Zeit sucht. Sa ist ein 
durchaus lebenswichtiger Teil des 5ammlungs- 
organismus der neueren Zeit stets in Depots 
verbannt - begraben auf fast ewige Zeiten? 
Das wurde einem wieder so recht bewußt, als 
man vor der Vielfalt schöpferischer Potenz der 
österreichischen Keramik der Jahrhundertwende 
stand, die Zeugnis gibt für die unbändige Kraft 
und stilprägende Vielgestaltikeit dieser Zeit. 
„Nie mehr wurde seither in Österreich diese fast 
fieberhafte Schaffensfreude, diese Vielzahl 
keramischer Richtungen, diese reichen Form-, Dekor- 
und Ausdrucksmöglichkeiten in einem Material 
wieder erreicht." - Sa endet der umfassende 
titeltragende Essay, den Dr. Waltraud Neuwirth, 
Autorin der reich ausgestatteten Publikation, als 
Kern zum Thema verfaßte. Die Fertigstellung des 
Werkes glich einer aufregenden Schußfahrt zu Tal, 
bei der einiges an Qualität auf der Strecke bleiben 
muBte. Sehr zum Leidwesen der Autoren. Doch das 
war ganz kurz vergessen, als man der Presse 
Gelegenheit gab, als erste die Ausstellung zu 
besichtigen. Termingemäß zwar, allerdings wiederum 
nur mit einem Katalogauszug. Den Pressestimmen 
zufolge wurde, wie bei den einschlägien 
vorangegangenen Ausstellungen, allgemein das 
Verdienst anerkannt, daß Direktor Hofrat Prof. 
Dr. Wilhelm Mrazek und Dr. Waltraud Neuwirth 
neuerlich wertvolles Beslandsgut des Hauses seiner 
katalagisierten Ordnung zuführten, die Thyssen- 
Stiftung mit Dr. Coenen und der Prestel-Verlag 
seine Publizierung in die wissenschaftliche Evidenz 
ermöglichen halfen. 
Waren es im Säulenhof die Obiekte, 312 an der 
Zahl, die etwas dicht und auf einer wohl neutralen, 
iedoch nicht ganz hormonisch-kontrastierenden 
Farbe die Vitrinen füllten, so konnte im Saal l eine 
ganz beträchtliche Folge von Entwürfen guten 
Einblick in die Entstehungsgeschichte mancher 
Obiekte geben und den Gesamteindruck der 
Ausstellung echt aufwerten. ist es doch immer 
wieder aufregend, der Spontaneität des ersten 
Einfalls vom ersten Strich an zu folgen, zu verfolgen 
wie dieser aus dem Papier in die Materie umgesetzt 
wird. Hier ist die Hand eines Moser, Hoffmann, 
Peche oder Galle, einer Sika, Trethan oder eines 
Margald in ideenfrischer Ursprünglichkeit 
zu sehen, die neue Aufschlüsse vermittelt. Bei oder 
besser vor den Obiekten wird einem teilweise 
bewußt, wie sehr der Titel besser der Jahrhundert- 
wende ohne kommerziell-gängigeres „Jugendstil- 
Korsett" lauten müßte. Doch das gilt unausge- 
sprochen sowieso für den engeren Kreis der 
Experten. Und weiters wird einem bewußt, wie sehr 
wieder eine starke künstlerische, zudem pädagogisch 
wirkende Persönlichkeit wie vor allem Kolo Moser 
im eigentlich kunstgewerblichen Bereich einen 
ungemein starken malerischen Aspekt zum Tragen 
brachte. Ein überreiches Szenarium an Floralem, 
Animalischem, Figurativem, Geometrisierend- 
Strengem läßt abermals von der Geschlossenheit 
dieser kunstgeschichflichen Epoche sprechen, die 
von etwa 1890 bis 1914 reichte. Das Museum, sein 
gegenwärtiger Direktor und dessen engste 
Mitarbeiterin im Sammlungsbereich haben mit 
50 
dieser Aufgabe der österreichischen Keramik dieser 
Zeit ihre volle wissenschaftliche Bedeutung 
gegeben, indem sie eine ungeordnete Depot- 
sammlung in ihre kunsthistorischen Bezüge setzten 
und diese, unterstützt durch die umfassende, alles 
ausschöpfende Publikation Dr. W. Neuwirths, 
internationalen Sammlungen echt konkurrenzierend 
gegenüberzustellen vermochten (Abb. 1-6). 
Meisterklasse für Keramik - 
Heinz Leinfellner 
Ausstellung der Hochschule 
für an ewandte Kunst 
Altes aus, Säulenhof 
Wien l, Stubenring 5 
25. 4-25. 5. 1975 
„ln seinen letzten Lebensiahren beschäftigte sich 
Heinz Leinfellner immer wieder mit dem Proiekt, 
eine Ausstellung von eigenen Arbeiten gemeinsam 
mit denen seiner Schüler zu veranstalten. Ein tra- 
gisches Schicksal ließ ihn dieses Proiekt nicht mehr 
realisieren. Wenn daher die Hodischule und das 
Museum diese Ausstellung nachholen, so soll diese 
nicht nur ein Akt des Geschehens, eine Totenfeier 
sein, sondern gleichzeitig auch ein Fest der Leben- 
den und der in die Zukunft wirkenden lmpulse." - 
Direktor Dr. Mrazek schickte dies der Ausstellung 
voraus. Wie sehr ein Leben auch abrupt abreißen 
mag, es geht dennoch alles weiter, doch wenn einer 
mit Fleisch und Blut so Künstler und Lehrer war 
wie Leinfellner, lebt er auch nach seinem 
Hinscheiden erst recht weiter. 15 Jahre leitete, nein 
lebte er inmitten und für seine Meisterklasse. 
Mit Recht nennt ihn S. M. Prof. C. Unger, der 
Rektor der Hochschule für angewandte Kunst, 
„einen großen Anreger für seine Sd1üler, welche 
Leistung in der Mannigfaltigkeit der Arbeiten und 
den vielfältigen Experimenten sichtbar wird". 
Heinz Leinfellner ist vor allem Bildhauer, und mit 
der Stehenden markiert er offensichtlich seine 
künstlerische Abkunft aus der großen Meister- 
trodition der Moser, Powolny und Obsieger. 
Wiewohl er seine ganz spezifisdie Eigenart, ia 
seinen ganz typischen Stil erst mit seinen Reliefs 
gefunden hat. Unverkennbar auch die tiefgehende 
Physiognomik seiner Porträts. Hier liefert ieder 
Daumendruck, iede Kratzschraffur und iede 
Ubersteigerung einer Gesichtspartie den Beweis 
für eine wesensinterpretierende Bildhauerhand, 
die von einem angeborenen Instinkt geleitet wird. 
Hier stoßen wir mit in iene Bereiche der Kunst vor, 
die die echte, auch vom Geiste her echte 
Schöpfung empfinden läßt. Leinfellner vermochte, 
wie Beispiele beweisen, einigen seiner Schüler vieles 
von dem zu vermitteln, was ihm in einem langen 
Bildhauerleben an Geist, an Erfahrung und an 
Experimentierwillen eigen war. Wir erkennen dies 
vor den Figurativen Anton Raidls im plastischen 
Bereich wie auch vor den Reliefs Elisabeth 
Schrammels oder dem Gebrauchskeramischen 
Edla Freis, lnge Stockners und Hedwig Rabls. Auch 
mit Arbeiten, die im Endeffekt im Experimentellen 
stärker verhaftet blieben, morgen iedoch als 
durchaus ausführbare Realität als Luftbefeuchter, 
Elektroofen oder Schachspiel ihre Anwendung 
finden könnten, stellten Leinfellner und Schüler die 
methodisch angestrebte Universalität unter Beweis. 
Die nun über 100 Jahre olte Hochschule für 
angewandte Kunst ist laut Präambel ihrer Statuten 
streng darauf bedacht, „den Erzeugnissen des 
Gewerbes und der lndustrie eine künstlerische Basis 
zu geben, das Gebrauchsding auf ein ästhetisches 
Niveau zu heben und durch die industrielle 
Produktion einer breiten Uffentlichkeit zu 
erschließen". 
Leinfellners Universalität war dazu angetan, in 
diesem Geiste zu wirken. Dazu war er noch von 
echtem menschlichem Verständnis und Bewußtsein 
erfüllt. Dies wird ihm einen Platz in der Ehrenliste 
der Schule sichern. (Abb. 7, B) 
Möhren - Malerische Ansichten 
aus Romantik und Biedermeier 
Schloß GrafenegglKremslNO 
Ausstellung des Adalbert-Stifter-Vereins, 
München, und des Österreichischen 
Museums für angewandte Kunst 
S. 5. -1. 11. 1975 
Wir stehen vor Schöpfungen des 19. Jahrhunderts, 
die lmaginatianen iungfräulicher Landschaften 
ebenso heraufbeschworen wie die der unter 
malerischen Rauchschwaden dahinziehenden ersten 
k. k. Eisenbahn Wien-Brünn, deren Lokführer, 
quasi in Cut und Zylinder, offenen Auges am 
dickqualmenden Rauchfang vorbei nach vorne 
Richtung Fahrziel blickt. In diesen für uns Heutige 
eher sentimentalisch-romantischen Impressionen 
dokumentieren sich eigentlich am sinnfälligsten der 
Geist und die Wandlung dieser Zeit im Spiegel 
zeitgenössischer künstlerischer Schöpfungen. Wir 
meinen die derzeit in Schloß Grafenegg laufende 
Schau zit. Titels, deren Ausstellungsgut die durch 
Leihgaben bereicherte Privatsammlung Dr. Hugo 
Bratmann darstellt. 
Zuweilen ertappen wir uns dabei, über einem pizzlig 
pointillierten Bergrücken irgendeiner dieser 
Darstellungen dem Pinsel des Künstlers von damals 
nachzufühlen, seine Begeisterung, das Feuer seines 
Naturerlebnisses, nachzuempfinden, wenn Land- 
schaft im ähnlichen Erscheinungsbild scheinbar 
unverändert vor uns Heutigen steht. Doch der 
Künstler hat mit der Betulichkeit seines Jahrhunderts 
auch dessen Stille und Unveränderliches hinein- 
emalt, und darin liegt der ungemeine Reiz dieser 
kleinen Kunstwerke. So ergeht es uns auch vor 
den mährischen Ansichten. Ungemein Vertrautes an 
Berg, Baum, Burg und Gebäu, Mensch und Maschine 
steht da in liebenswerter Akkurotesse, Alt- 
österreichisches im besten Sinne des Wortes. 
Manchem davon meinen wir auch heute noch 
daheim in bestimmten Gegenden und Winkeln 
in Margen- oder Abendstimmungen menschen- 
abgeschiedener Landschaften nahe zu sein wie 
vor rund 150 und mehr Jahren. Wie gut paßt doch 
diese Schau ins Niederösterreichische, eng 
benachbart mit Möhren, dieser alten Kulturlandschaft 
im Herzen Europas, beide über viele Geschlechter 
und Generationen verzahnt und verbunden als olte 
Stammregionen der k. k. Monarchie. 
Mit dieser Präsentation wird nicht nur ein Jahr- 
hundertpanorama in reich-variabler Blau- und 
Grünpalette mit seinen ldealerscheinungen von 
Landschaften, Burgen, Ruinen und Schlössern 
aufgerollt, da ist auch die noch zierliche erste 
Dampflakamotive, sind die dunkel gähnenden 
Tunnels, die Viadukte über reißenden Flüssen und 
Schluchten und die schwarzqualmenden Schlote über 
den ersten erstehenden Industrien, Vorzeichen einer 
Entwicklung, deren Bedrohlichkeit damals nach 
von bläßlicher Abendröteramantik verklärt schien. 
Hier wurde versucht, Möhren, dieses kulturgesättigte, 
bis in die heutigen Tage seine spezifischen 
Charakteristika bewahrende Land, wieder ins 
Bewußtsein zu rücken, es aus dem politischen Dunkel 
zu holen. 
Dank gebührt vor allem der Hauptinitiotorin des 
Unternehmens, Dr. Johanna von Herzogenberg, die 
aus reiner Herzensbindung an ein Land und seine 
Menschen die organisatorische Last nicht scheute, 
die Sammlung Dr. Bratmann für die Ausstellung 
auszuersehen und einzurichten. 
Wer der Zeit ein Schnippchen schlagen will und 
gerne alten Kindheitsträumen nachhängt, dabei, 
künstlerisch verbrämt, topographische und 
historische wie kulturgeschichtliche Kenntnisse 
aufpolieren will, eile stracks nach Schloß Grafenegg, 
denn dort ist im heurigen Sommer die Romantik 
doppelt zu Hause. 
Daß außerdem auf Schloß Grafenegg noch immer 
die schon eingerichteten Ausstellungen „Grafenegg 
und der Schloßbau der Romantik", „Gold- und 
Silberschätze in Kopien des Historismus", „Metall- 
arbeiten des Historismus", „Die romantische 
Bilderwelt des Wiener Opernhauses" wie auch 
die Ergebnisse des Wettbewerbes „Kinder zeichnen 
ein Schloß" auf dem heurigen Programm stehen, 
sollte erst recht Ansporn sein, dieses Schloß aufzu- 
suchen. Nicht zu vergessen ist, daß es musikalische 
Veranstaltungen gab und gibt. Am 7. 9. u. a. ein 
„SchloßkonzerW mit Haydns Schöpfung und am 27. 9. 
Schuberts Liederzyklus „Winterreise". (Abb. 9, 10]
	        
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