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Volltext: Alte und Moderne Kunst XX (1975 / Heft 141)

Veit Loers 
Unbekannte Glockenmodel 
von lgnaz Günther 
Zum 250. Geburtstag von lgnaz Günther 
am 22. November 1975 
Veit Loers 
Unbekannte Glockenmodel 
von lgnaz Günther 
Zum 250. Geburtstag van lgnaz Günther 
am 22. November 1975 
Für hilfreiche Ratschläge und praktische Unterstützung 
danke ich Dr. Frank Leusch, München, Franz Mehrin er, 
Mandien, Dr. Wolfgang Pfeiffer und Heinz Radema er, 
Museum der Stadt Regensburg, Irmentraud Rohrlnayr, Stadt- 
ardiiv Straubing, Dr. Rudolf Schmidt, Stadtardiiv Braunau 
am lnn, Dr. Heinz Jürgen Sauerrnost, München, Franz Wag- 
ner, nerndrrnrisenni Salzburg, und Dr. Gerhard weedrei, 
Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München. 
Anmerkungen 1-10 
'H. Rohrmoyr, Geschichte des Hauses 441, heute Unterm 
Rain 51, Straubing o. J. (masch. Manuskript). 
zMax Schlickinger, Die Chronik der Familie Gugg in 
Braunau, in: Braunauer Heimatkunde, 6. Heft, Braunau 
1922, S. 1 f. 
' Rahrmayr. a. a. O. 
tDie Neuerwerbungen Juni-Dezember 1913, in: Münchener 
Jahrbuch der Bild. Kunst, 1913, S. 205. Arno Schönberger, 
lgnaz Günther, München 1954, S. 59 f. Die von Schön- 
berger aufgeführten Tonmodel im Besitz des Bayer. Na- 
tionalmuseums sind nur z. T. von Günther und seiner 
Werkstatt. Eine Reihe von ihnen ist mit Regensburger 
Modeln deckungsgleich, was riir die weite Verbreitung 
und Popularität der Motive spricht. 
tAmtl. Beridite aus den Königl. Kunstsammlungen, Berlin, 
34. Jg., Nr. 2D, Juli 1913, S. 195; lnv.-Nr. 7601-7613, 
7629, 7630. lnventartotos der verlarengegangenen Model 
sind vorhanden. G. Woeckel und F. Leusch werden sich 
in Publikationen näher mit diesen Werken und der 
Glackengießerei Daller befassen. 
tGerhard P. Woedxel, Eine unbekannte hl. Scholastika 
aus der Frühzeit lgnaz Günthers, im Alte und moderne 
Kunst, 19. J 1974, 5. 23. 
 
  
7 Sdiönberger, a. a. 0., 5. 36, Abb. E 13 u. 15. 
' Die Nase des Tannegativs etwas breitgedrüdrt. 
'Sdiönberger, a. a. 0., Abb. 9B. 
"' Redite Hand das Tonnegativs verdorben. 
Obwohl das CEuvre lgnaz Günthers im großen 
und ganzen erforscht ist, gelingen immer wie- 
der kleinere Funde, die unser Wissen um seine 
Kunst bereichern. So befinden sich im Museum 
der Stadt Regensburg vier Tonmatrizen von 
Glockenmodeln, die sich nach ihrer Ausformung 
in Wachs eindeutig als Werke Günthers bzw. 
seiner Werkstatt bestimmen ließen. Sie gehören 
zu einem größeren Bestand von Holzmodeln 
und Tonmatrizen, die geschlossen aus der Glok- 
kengießerei Giugg in Straiubing stammen und 
1936 vom Regensburger Museum erworben wur- 
den, nachdem sie von einem Antiquitätenhändler 
auf dem Dachboden des Guggschen Anwesens 
entdeckt worden waren. Zunächst lag die Ver- 
mutung nahe, daß die Model aus dem Besitz der 
Familie Gugg selbst kommen könnten. Der Glok- 
kengießer Franz Xaver Gugg aus Braunau am 
lnn hatte 1843 die um 13 Jahre ältere Katharina 
Stern geheiratet und damit das reale Glocken- 
gießergewerbsrecht ihres Vaters Max Stern samt 
Werkzeug, Gießhäusern, Werkstätte, Stallung 
usw. übernommen '. Er selbst stammte aus einer 
Glockengießerfamilie, die seit zwei Generatio- 
nen in Braunau ansässig war. Sein Großvater 
Karl Anton Gugg aus Salzburg hatte am 15. Mai 
1781 die dortige Gießerei „samt lnventar" er- 
warben und in der Folge viele Kirchen des Inn- 
viertels mit Glocken versorgtz. 
Gegen die Annahme, daß die Günther-Model 
aus Braunau nach Straubing gekommen sind, 
spricht iedoch ein wichtiger Umstand. Für etliche 
der Guggschen Reliefmodel finden sich noch 
heute Glocken im Umkreis van Straubing und 
Regensburg, die sämtlich von Johann Baptist 
Florida verfertigt sind. So liegt es nahe, daß sich 
auch die Tonmatrizen Günthers im Besitze die- 
ses Glockengießers befanden, der von 1752 bis 
1793 in Straubing nachweisbar ist? Ihre bessere 
Tonqualität, ein hellroter Scherben ohne Mage- 
rung, unterscheidet sie iedoch von den anderen 
Matrizen, sodaß Straubing als Ursprungsort aus- 
geschlossen werden kann. 
Nun befinden sich ähnliche Tonmodel Günthers 
und seiner Werkstatt, die 1913 vom Nachlaß 
der Gießerei Daller in München erworben wur- 
den, im Bayerischen Nationalmuseumt. Andere 
Günther-Model aus derselben Gießerei, von de- 
nen eines sogar mit den unseren identisch war 
(hl. Jakobus d. J.), besaß das ehemalige Deut- 
sche Reichsmuseum in Berlin; sie verbrannten 
1945 5. Dies alles weist darauf hin, daß die Strau- 
binger Tonmatrizen ebenfalls von der Glocken- 
gießerei Daller kommen und schon im 18. Jahr- 
hundert von dem mit Günther zusammenarbei- 
tenden Franz Jakob Daller (1735-1777) zu Jo- 
hann Baptist Florido gelangten. 
Die vier Tonmatrizen, die im Durchschnitt 26,5 
cm lang und 17 cm breit sind, enthalten die 
Reliefnegative von drei Aposteln und einem 
Evangelisten. Ihre feine gratige Konturierung 
läßt vermuten, daß man die Modelle, Relieffi- 
guren aus Holz, nicht über den Umweg einer 
Wachsabformung reproduzierte, sondern direkt 
in die weiche Tonmasse eindrückte. Ein Verfah- 
ren, das viele gleichwertige Reproduktionen der 
Güntherschen Holzmodelle ermöglichte, ohne 
daß iene Schaden gelitten hätten. Die Über- 
einstimmung der Maße bei den Matrizen sowie 
die Plazierung der Heiligen auf Rasensockeln 
läßt mit Sicherheit annehmen, daß es sich um 
Teile eines Apostelzyklus handelt, der als Relief- 
schmuck van Glocken Verwendung fand. Vier 
weitere Apostelmadel aus Holz in Privatbesitz 
und ein Tonmodel im Barockmuseum Salzburg, 
die derselben Serie angehören, erhärten diese 
Vermutung. Indem die klingende Botschaft der 
Kirchenglodre auf die Apostel bzw. Evangelisten 
als Künder des Evangeliums anspielte, wurde 
der Allusiansfreude des 18. Jahrhunderts Rech- 
nung getragen. 
Sind die vier Regensburger Glockenmodel auch 
keine „Originale" Günthers, so stellen sie doch 
eine Bereicherung seines (Iuvres dar, vor allem 
in typologischer Hinsicht. Gerhard Woeckel hat 
mit Recht festgestellt, daß Günthers Figuren ex- 
trem typenfixiert seien 5, d. h. also, die Vielfalt 
und Individualität der Charaktere auf wenige 
Grundtypen reduziert werden können, ohne daß 
deshalb die Einzelfigur an Originalität einbüßen 
müßte. Diese Feststellung läßt sich auch auf die 
Regensburger Glockenmodel übertragen. Trotz 
unverwechselbarer Charakteristik lassen sie sich 
typologisch auf allgemeine Vorbilder zurückfüh- 
ren und finden zumeist Parallelen in Günthers 
Werk selbst. 
Die Figur des Evangelisten ist ohne nähere 
Attribute dargestellt, nur mit Buch und Schreib- 
feder, so daß eine ldentifizierung nicht möglich 
ist. Durch den Umstand, daß sein linkes Bein auf 
einen niedrigen Sockel gesetzt ist - ein öfter 
wiederkehrender Kunstgriff Günthers - erscheint 
die Haltung der über das Buch gebeugten, mas- 
sigen Gestalt eigentümlich unstatisch, ihre Ge- 
mütsvertassung unruhig und spannungsvoll. 
Durch „wogende" Drapierung und die gezack- 
ten Säume des Gewandes wird dieser seelische 
Zustand gleichsam greifbar. lnnerhalb von Gün- 
thers CEuvre findet sich der bärtige Typus des 
Heiligen noch zweimal, bei der Büste des Apo- 
stels Petrus im Bayerischen Nationalmuseum und 
bei einem knienden Apostel im Vordergrund des 
Maria-Himmeltahrt-Reliefs der Schloßkapelle in 
Sünching, beide um 17607. Seine Wurzel hat er 
in den muskulösen Evangelistenfiguren eines 
Guido Reni (hl. Matthäus, Rom, Vatikan) und 
eines Camillo Rusconi (hl. Matthäus, S. Giovanni 
in Laterano, 1713-1715), einem Typus, der zum 
Evangelisten- und Eremitentopos des 17.118. 
Jahrhunderts gehört. Verwandt ist ihm die Figur 
des hl. Jakobus d. J.', der mit seinen nach rechts 
gerichteten betenden Händen den Wollbogen 
des Walkers, das Attribut seines Martyriums, 
umschließt. Auch bei ihm bewirken die Körperhal- 
tung, das vorgestellte linke Bein und der leicht 
vorgebeugte Oberkörper in Verbindung mit der 
flatternden Gewandung eine Unruhe in der 
physischen und psychischen Verfasstungpdie durch 
den nach oben gerichteten Blick als Verlangen 
zu Gott gedeutet werden kann. Einen ähnlichen 
Typus, auch in der Gebetsattitüde, stellt Gün- 
thers hl. Petrus vom Hochaltar der Dominikane- 
rinnenkirche in Altenhohenau dar". Beide gehen 
sie auf die Nischenfigur des hl. Andreas von 
Francois de Duquesnoy in der Vierung von St. 
Peter, Rom (1629-1640), zurück. 
lkonographisch interessanter sind die beiden an- 
deren dargestellten Apostel, der hl. Jakobus 
d. Ä. "' und der hl. Bartholomäus. Jakobus ist in 
Pilgertracht dargestellt mit aufgebogenem 
Schlapphut und Schultermäntelchen, beide mu- 
schelbesetzt, rechts die obligatorische Kürbis- 
flasche und der Pilgerstab. Das Schwert in der 
ausgestreckten Rechten ist wohl nicht nur Attri- 
but für die Enthauptung des Märtyrers, sondern 
soll wohl, wie die Angriffshaltung und das Mu- 
schelabzeichen am Knauf vermuten lassen, an 
die legendäre Schlacht von Clavigo (Nordspa- 
nien) erinnern, wo Santiago als „Matamoros" 
die Spanier vor den Mauren errettet haben soll. 
Trotz der theatralischen Pose des Heiligen, dem 
wirkungsvoll hochgesetzten, zur Seite gedrehten 
linken Bein und dem sehnsüchtig nach oben ge- 
richteten Blick strahlt die Erscheinung Ruhe aus, 
ein Zustand, der durch den Faltenwurf eines bis 
zum Boden reichenden Umhangs unterstrichen 
wird. Der Typus des hl. Jakobus ist in Günthers 
Werk ziemlich häufig vertreten: ein schmales, 
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