Aura
Gerrit Rietveld, Rot-Blau-Stuhl. Stedeliik Museum
Amsterdam [lnv.-Nr. KNA 1779)
Gerrit Rietveld, Rot-Blau-Stuhl (leichte Rücken-
ansicht) _
Kurt Löb, Militär-Stuhl
Gerrit Rietveld, Militär-Stuhl
nun auch eine Innenausstattung, die dem Geist
dieses großen amerikanischen Genies entsprach.
Da er von Frank Lloyd Wright entworfene Mö-
bel aus Fotos kannte, wünscht er sein Haus mit
ähnlichen Möbeln ausgestattet zu sehen. Der
wichtige Auftrag für die Innenausstattung dieses
Hauses im Geiste Frank Lloyd Wrights erging an
den jungen Architekten und Möbelkünstler Riet-
veld. Rietveld wurde beauftragt, nach den vor-
handenen Fotos Kopien der Wright-Möbel anzu-
fertigen.
Leider liegen für diese Jahre keine genauen Da-
ten vor, so daß es schwer ist, wenn nicht unmög-
lich, eine exakte Chronologie der Ereignisse zu
fixieren. Sicher scheint lediglich zu sein, daß dies
alles vor dem Zeitpunkt geschah, in dem Rietveld
Kontakt mit der De-Stiil-Gruppe bekam, der
wiederum durch Robert van't Hoff vermittelt
wurde. Auch die Möbel des Hauses in Huis ter
Heide scheinen nicht mehr vorhanden zu sein,
auch sie hätten wichtige Schlüsse auf die Aus-
einandersetzung Rietvelds mit Frank Lloyd
Wright geben können.
greifen von Außen- und Innenraum fanden hier
für die jungen Architekten und Möbelentwerfer
in Europa exemplarische Synthese. Der freie,
harmonische Ausgleich von Raumteilen in aus-
balancierter Ordnung, die Durchdringung der
Horizontalen und Vertikalen in einem räumlichen
Ganzen von neuer Art, in einem freien, nicht
mehr kubisch vorgegebenen Raum, mußte für
alle, die auf ähnliche Ziele gerichtet waren, eine
Offenbarung sein. Hinzu kam die von Wright in
diesem Bau realisierte vollkommene lntegration
von Architektur, Malerei und Plastik.
Der Hinweis auf Wright war notwendig, um die
spezifischen Formeigenschaften des Rot-Blau-
Stuhls verstehen zu können. lm Prinzip handelt
es sich um eine freie Raumkomposition, die struk-
turell von der traditionellen Formgestalt des
Sitzmöbels abweicht. Rietvelds Stuhl besteht aus
einem System vertikaler und horizontaler Holz-
teile, die sich ausschließlich im rechten Winkel
treffen und in das zwei im stumpfen Winkel auf-
einandertreffende Holzflüchen eingefügt sind.
Um eine Komposition in räumlichen Zusammen-
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Das Obiekt, um das sich alle diese Überlegun-
gen drehen, der Rot-Blau-Stuhl als das wichtig-
ste Werk der Frühzeit Rietvelds, lößt sich eben-
falls nicht genau datieren. Bei Brown (The work
of G. Rietveld architect, Ultrecht1958) ist die Jah-
reszahl 1918 plus oder minus 1 angegeben. Das
Museum af Modern Art in New York, das eine
Fassung des Meisterwerkes enthält, hat in seinem
großen Katalog die Jahreszahl 1917 stehen.
Wenn dieses Werk seine Entstehung der Aus-
einandersetzung Rietvelds mit dem Werk Frank
Lloyd Wrights verdankt, so spielen bei dieser
Beeinflussung neben den Möbeln Wrights auch
dessen architektonische Leistungen eine Rolle.
Hier ist in erster Linie auf das Restaurant und
Tanzlokal Midway Gardens in Chikaga hinzu-
weisen, das im Jahre 1913114 erbaut und 1923
durch Feuer zerstört wurde. ln diesem Bau er-
reichte Wright einen Höhepunkt seiner Entwick-
lung, die ihn zu immer größerer räumlicher Frei-
heit und vollkammenerer Handhabung seiner
Materialien geführt hatte. Besonders die räum-
lichen Formen der Türme und das lneinander-
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hängen zu realisieren, vermied Rietveld eine
Durchdringung der auteinanderstoßenden Stäbe
und ließ sie an den Schnittpunkten aneinander
vorbeilaufen, ein konstruktives Prinzip, das Mies
van der Rohe später, wahrscheinlich nach dem
Vorbild des Hauses Schröder in Utrecht, das
ebenfalls dieses Verbindungsdetail zeigt, so mei-
sterhaft anwandte. Der Rot-Blau-Stuhl hatte ur-
sprünglich eine andere Form, und zwar durch
zwei seitliche, die Sitzflüche nach außen hin ab-
schließende hölzerne Begrenzungstlöchen, die
aber unmittelbar nach der Vollendung des Stuhls
beseitigt wurden.
Das Ziel Rietvelds ist die vollkommene Durch-
sichtigkeit des Gebildes Stuhl. Die seitlichen Flö-
chen waren noch ein Restbestandteil des Stuhls
mit räumlich eingegrenzter Sitzflöche, der weg-
fallen mußte, wenn Rietveld seine Kunst räum-
licher lmmaterialisation rein verwirklichen woll-
te. Diesem Ziel der lmmaterialisatian ordnet sich
auch die Farbgestaltung des Stuhls unter: Das
Stützsystem ist schwarz, die Stirnseiten der Trag-
stützen sind gelb, um die Leichtigkeit und Zu-
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