Horst-Herbert Kossatz
Der Austritt
der Klimt-Gruppe-
Eine Pressenachschau
„Den vielen Köpfen, die in sieben Jahren stark ge-
wachsen sind, ist der eine Hut, unter den sie einst
unter dem Zwang unserer drückenden Kunstver-
hältnisse gebracht wurden, zu eng geworden."
Ludwig Hevesi
Am Sonntag, dem 11. Juni 1905, wurde die Wie-
ner Öffentlichkeit durch einen - wahrscheinlich
von Friedrich Stern verfaßten - Artikel im
„Neuen Wiener Tagblatt" mit dem am Vortage
erfolgten Bruch in der Secession vertraut ge-
macht. Es scheint, daß diese Darstellung mit
dem Titel „Spaltung in der Wiener Secession.
(Austritt von sieben Gründern)" die vorhande-
nen Differenzen durch eine betont unsachliche
Argumentation verstärkte und die Spaltung erst
recht zementierte. Es ist nicht unwichtig, die von
den Wiener Tageszeitungen in ienen Tagen mit-
geteilten Einzelheiten festzuhalten und zu unter-
suchen, da bis heute diese Vorgänge mit ande-
ren und vor allem Archivmaterial nicht geklärt
werden konnten. Sa liegen zum Beispiel im Ar-
chiv der Wiener Secession nach der Angabe
Oskar Matullas keine Dokumente auf über die
trennenden Gründe iund Beschlüssel. Natürlich
haben aber die Tageszeitungen ausführlich über
die Hintergründe der Spaltung berichtet, wie im
folgenden gezeigt wird.
In dem ersten Artikel hieß es:
„Eine Gruppe von Künstlern hatte sich von An-
fang an sowohl bei der Veranstaltung von Aus-
stellungen als auch bei sonstigen Anlässen als
solidarisch erwiesen, wodurch andere, vielleicht
nicht minder begabte Kräfte sich in den Hinter-
grund gedrängt wähnten..."
„Es gab aber auch wiederholt zu lebhaften Kri-
tiken Anlaß, daß gerade die Führer der erst-
erwähnten herrschenden Gruppe bei der Be-
setzung von Professuren und anderen Stellen
eine Bevorzugung fanden, aus der sie selbst-
verständlich auch in ihrer privaten Stellung Vor-
teile zogeni. Unter anderem wurde es in der
,Secession' beispielsweise sehr übel vermerkt,
daß die Professoren Hoffmann und Moser die
,Wiener Werkstätte' begründeten. Auch daß
der Maler Moll die geschäftliche Leitung der
Kunsthandlung Miethke im letzten Herbst über-
nahm und sowohl in Wien als auch in Berlin,
Dresden und anderwörts die Interessen seines
Kreises vertrat, war einer der Vorwürfe, welche
man gegen die Gruppe erhob. Alle diese Vor-
gänge hatten die Stimmung der Mitglieder unter-
einander zu einer gereizten gestaltet, und zu
einem offenen Ausbruche derselben gelangte es
schon gelegentlich der Ausstellung in St. Louis . . .
Während nun die Künstlergenossenschaft wie
der Hagenbund bemüht waren, dem amerikani-
schen Publikum ein Lebensbild von den Leistun-
gen ihrer Mitglieder zu bieten, verfügte der
Ausschuß der Secession, ohne daß vorher das
Plenum hierüber befragt worden wäre, daß der
ganze, der Secession eingeräumte Saal aus-
schließlich mit Werken Gustav Klimts besetzt
werden solle. Diese Entscheidung führte, wie
erinnerlich, dazu, daß das Ministerium Einspra-
che erhob, worauf dieselben Persönlichkeiten,
welche die ursprüngliche Verfügung getroffen
hatten, die Erklärung abgaben, daß sie über-
haupt auf die Beteiligung an der Ausstellung
verzichten. Und zwar soll auch dieser Beschluß
nicht die Zustimmung der Gesamtheit gefunden
haben '."
1 Jose h Maria Olbrich, Wiener Secession, Fassa-
den etail, 1898
Anmerkungen 1-6
'Oskar Malulla, Die Wiener Secessian, Gründung und
Entwicklung, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Ver-
gleirhende Kunstfarschung in Wien, 15. Jg. 1963, S. 8;
folgende Tageszeitungen wurden herangezogen: Arbeiter-
Zeitung, Fremden-Blatt, Neues Wiener Journal, Neues
Wiener Tagblatt, Neues Wiener Abendblatt, Neue Freie
Fresse, Das Vaterland, Wiener Allgemeine Zeitung; ver-
schiedene andere Zeitungen, sa auch die Wiener Zeitung,
nahmen von den Vorgängen keine Notiz.
zNeues Wiener Tagblatt (Nr. 160) v. 11. Juni 1905, S. 13.
'Neue Freie Fresse (Nr. 14657) v. 14. Juni 1905, S. 11.
tVgl. Katalog der 20. Ausstellung März-Mai 1904, S. 8,
und Katalo der 21. Ausstellung November-Dezember
1904, S 3 dieser Katalog unpasiniert). Leopold Bauer
scheint seine Ausschußfunktion ann aber nicht lange
aus eübt zu haben, da er schon im Katalog der 22. Aus-
stel un nicht mehr im Verzeidinis der Ausschußmitglie-
der au scheint.
'Vgl.: Hans Ankwicz von Kleehovan, Felician Freiherr
von Myrbach-Rheinfeld, in: Große Österreicher, Bd. 13,
ZÜIlElI, Leipzig und Wien 1959, s. m.
tVgl. gViener Allgemeine Zeitung (Nr. 1870) v. 14. Juni
1905, - 3
Schon am Dienstag, dem 13. Juni, sprach die
„Neue Freie Presse" von zehn Mitgliedern, wäh-
rend das „Neue Wiener Tagblatt" die Entgeg-
nung eines der Ausgetretenen veröffentlichte, in
der von 16 Mitgliedern gesprochen wurde. Tat-
sächlich waren nicht alle diese Mitglieder der
Secession gleichzeitig ausgetreten, wie ein mit
13. Juni datierter Artikel in der „Neuen Freien
Presse" vom 14. Juni klarstellt:
„Zu Klimt, Wagner, Hoffmann, Moll, Moser,
Roller, Luksch, List, Metzner und Bernatzik
haben sich im Laufe des heutigen Tages noch
Josef M. Auchentaller, Adolf Böhm, Franz
Wilhelm Jäger, Max Kurzweil und Emil Orlik
gesellt. ...Man erwartet noch weitere Aus-
trittsanmeldungen, insbesondere aus dem Aus-
lande. Man nennt den früheren Direktor der
Kunstgewerbeschule, Felician Freiherr von
Myrbach, und den in Darmstadt wirkenden
Olbricht . . '
In dem am 13. Juni erschienenen Artikel der
„Neuen Freien Presse" wird zum erstenmal auch
ein „Zirkularbrief" erwähnt, in welchem die Se-
cession ihren Mitgliedern vom Austritt der zehn
Kenntnis gab. Danach wurde als Ursache des
Austrittes angeführt, daß der Maler Moll in
eine geschäftliche Verbindung mit der Kunst-
handlung H. O. Miethke getreten sei, die der
Ausschuß und die Maiorität mit den Interessen
der Secession für unvereinbar gehalten haben.
Hieraus hätten Moll und seine Freunde die
Konsequenzen gezogen. Soweit die offizielle
Version der Secession.
Die Gruppe um Klimt hatte schon im Jahr davar
nach dem Scheitern der geplanten Klimt-Aus-
stellung in St. Louis nicht mehr für den leitenden
Ausschuß kandidiert, der ieweils zu Beginn des
„Ausstellungsiahres" im Herbst neu gewählt
wurde. Statt des alten Ausschusses mit Felician
Freiherr von Myrbach als Präsidenten und den
Mitgliedern Adolf Böhm, Otto Friedrich, Rudolf
Jettmar, Wilhelm List, Carl Moll und Koloman
Moser wurde daher ein neuer Ausschiuß ge-
wählt, der aus dem Präsidenten Rudolf Bacher
und den Mitgliedern Leopold Bauer, Josef En-
gelhart, Franz Hohenberger, Anton Nowak, Oth-
mar Schimkowitz und Ferdinand Schmutzer be-
stand t. Merkwürdigerweise ist in diesem Zusam-
menhang aber noch nie auf die bekannte Tat-
sache hingewiesen worden, daß sich Myrbach als
Direktor der Kunstgewerbeschule zum Zeitpunkt
der Wahl immer noch in Amerika aufhielt, wof
er auf der Weltausstellung St. Louis die Aus-'
stellung der Kunstgewerbeschule in einer Raum-
ausgestaltung von Josef Hoffmann eingerichtet
hatte. Myrbach erkrankte und bat im Juli in
einer mit einem ärztlichen Attest belegten Ein-
gabe beim Ministerium um eine Urlaubsverlän-
gerung. Da der Akt nicht rechtzeitig erledigt
wurde, galt Myrbach für einige Monate in Wien
als „verschollen". Da in der Zwischenzeit ein
unredlicher Kanzleibeamter der Kunstgewerbe-
schule einen größeren Betrag aus der Kasse un-
terschlagen hatte, war Myrbachs Stellung so er-
schüttert, daß er sich nach seiner Rückkehr im
Januar 1905 genötigt sah, um seine vorzeitige
Pensionierung anzusuchen, die ihm mit ErlaB
vom 20. April 1905 bewilligt wurdes. Es ist klar,
daß die Klimt-Gruppe Myrbach bei den Wahlen
daher nicht präsentieren konnte und aus Grün-
den des normalen Anstands aber auch auf die
Aufstellung eines anderen Kandidaten verzich-
ten mußte. Diplomatische Klugheit veranlaßte
daher diese Künstler - das läßt sich aus Zuk-
kerkondls Darstellung schließen -, die Gegen-
partei aufzufordern, nun einmal auch ihre künst-
lerischen Anschauungen frei und ungehindert
durchzuführen; sie wählten daher einstimmig
den von der Engelhart-Gruppe designierten Aus-
schußt.
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