I Aktuelles Kunstgeschehen l Österreich
Wien
Museum des 20. Jahrhunderts
Saul Steinberg
Als Endstation einer durch die Bundesrepublik und
Österreich führenden Tournee präsentierte das
Museum des 20. Jahrhunderts eine in gleicher Weise
umfassende wie künstlerisch ergiebige Retrospektive
des 1914 in Rumänien geborenen, heute
vorwiegend in New York lebenden Zeichners,
Graphikers und Cartoonisten. Die von einem
informativen Katalog begleitete Schau enthielt
Zeichnungen, Aquarelle, Collagen, Gemälde und
Reliefs aus den Jahren 1963 bis 1974 - alles in
allem 84 Werke, die signifikante Einblicke in das
iüngste (Iuvre dieses universellen, humorvollen,
klugen und espritgeladenen Zeichners ermöglichten.
Es ist längst keine Frage mehr, daß Steinberg
in der modernen Karikatur oder, besser besagt,
auf dem Feld dessen, was man ihr strukturerweiternd
zuordnen kann, Kunstgeschichte gemacht hat.
Seine Intelligenz und sein Ideenreichtum sind der
Schlüssel seiner durch einen Hang zum Under-
statement sich auszeichnenden Graphik.
Steinberg selbst betrachtet Humor als eine „Mög-
lichkeit, Fallen zu stellen". Mit Ironie entlarvt
er den Alltag, zitiert aus ihm und kritisiert und läßt
sich dabei ganz deutlich vorn Reiz und der
Unaufwendigkeit des rein Graphischen, von den
Möglichkeiten und Wesenheiten des einfachen,
linearen Striches leiten. Keine Frage: gemessen an
manch anderem innerhalb der zuletzt maßgebenden
Malerei und Plastik, ist das, was Steinberg macht,
Kleinkunst, zeitnahes Kabarett, wirklichkeits-
bezogene Parodie. Das Niveau freilich, welches
Steinberg in diesem von ihm entscheidend
entwickelten Medium sui generis erreicht hat,
ist ein denkbar hohes, das keinerlei falsche
Abwertung zuläßt.
(5.-27. 7. 1975) - (Abb. 1, 2)
Galerie Würthle
Oskar Laske
Ölbilder, einige Aquarelle und mehrere Druck-
graphiken (Lithographien bzw. Radierungen)
wurden zu einer ansprechenden Kollektion vereint.
Sie galt einem der Iiebenswertesten Einzelgänger
der österreichischen Malerei der ersten Hälfte des
2D. Jahrhunderts, als der Laske - fern von falscher
Überschätzung - seinen Stellenwert behaupten
dürfte. Die Auswahl selbst war von sehr unter-
schiedlicher Qualität und machte trotz mancher
herausragender Einzelstücke deutlich, daß Laskes
Ul- und Aquarellmalerei gegenüber der viel
stärker aus einem Guß wirkenden Radierung eher
überschätzt wird. Den Druckgraphiker Laske gilt es
also nach wie vor durch eine wirklich umfassende
Schau, die die künstlerische Eigenart und Poesie
des 1951 Verstorbenen markant zu unterstreichen
hätte, kunsthistorisch zu würdigen.
(5.-28. 6. 1975)
Galerie am Graben
Fritz Maierhofer
Kreativität und ein bewußtes Abgehen vom
konventionellen Materialfetischismus des Juweliers
(und seiner Kunden) zeichnen schon seit Jahren die
Schrnuckobiekte des Wiener Desiners aus.
Maierhofer, der sich längere Zeit in England
aufhielt und dort entscheidende Impulse empfing,
gilt heute auch auf internationaler Basis als einer
der pragressivsten und bemerkenswertesten
Schmuckdesigner der iüngeren Generation.
Er beweist laufend eine echte schöpferische
Weiterentwicklung, getragen von Einfällen sowie
zunehmender Harmonie und Materialgerechtheit
in der Verarbeitung. Technisch verbessert
präsentieren sich seine vielfach auf farbigen
Kunststoffen und Metall hergestellten Obiekte
als Signale einer im Schmuckdesign nicht mehr
aufzuhaltenden neuen Grundeinstellung.
(Juli 1975) - (Abb. 3)
Galerie Grünangergasse
Arnulf Rainer und Dieter Roth
Zwei Vertreter der Avantgarde präsentierten
38
gemeinsam experimentell erstellte Ergebnisse
sogenannter „Misch- und Trennkunst". Ein
interessanter und ausreichend kompakter Versuch,
der in Details durchaus Aufschlußreiches ver-
mittelte und Ansatzpunkte verdeutlichte, insgesamt
iedoch bei weitem nicht den künstlerischen Stellen-
wert der von Roth und Rainer sonst einzeln statt
gemeinsam entwickelten Arbeiten aufzuweisen
hatte. Flüchtigkeit und eine gewisse Freude am
graphischen Gag gehen bei diesen Versuchen noch
zu oft auf Kosten größerer Intensität und
gestalterischer Geschlossenheit. Nichtsdestoweniger
war es eine Ausstellung, die ungemein anregte,
relativierte und gerade in der Skurrilität und
Schalkhaftigkeit mancher dieser gemeinsamen
Zeichnungen und iiberzeichneten Fotos neue
künstlerische Möglichkeiten eröffnete. Unter dem
Titel „NEO MlX-NEO NIX" erschien zur Vernissage
in einer Auflage von 400 Exemplaren ein Buchwerk,
bestehend aus 242 Original-Offsetlithographien.
Numeriert und von beiden Künstlern signiert,
kostet es 1800 Schilling.
(10.-25. 7. 1975)
Alte Schmiede
Franz Bayer
Mit Hilfe des Kulturamtes der Stadt Wien und
dem organisatorisch mitwirkenden Verlag für
Jugend und Volk wurde in unmittelbarer
Nachbarschaft zur Galerie Basilisk in der
Schänlaterngasse ein neues Kulturzentrum in den
alten Gemäuern einer Schmiede errichtet. Eine
löbliche Initiative mit einem dichten Programm,
bedacht auf die Schwerpunkte bildende Kunst und
Literatur. Kontaktbetonte Offenheit und eine
nette Atmosphäre, zu der auch das mittägliche
warme Essen gehört, sollen Esoterik und eventuelle
Einseitigkeit von vornherein verhindern. Einer
der ersten Aussteller, der aus Jugoslawien
stammende.Ma1er und Zeichner Franz Bayer,
hinterließ mit seiner graßteils unverkäuflichen
Kollektion einen günstigen Gesamteindruck.
Als „Naturalist und Phantastischer Realist", wie
ihn Johann Muschik bezeichnet, imitiert er iedoch
nicht die Wiener Schule, sondern steht ihr mit
der eine durchaus schätzenswerte Eigenständigkeit
fördernden Distanz gegenüber.
(17. 7.-4. 9. 1975) - (Abb. 4)
Galerie auf der Stubenbastei
Florentina Pokosta
Es zählt zu den positiven Eigenschaften der Wiener
Zeichnerin Florentina Pakosta, daß sie auf
modische Gags und Verwandlungen keinen Wert
legt. Sie kommt im wesentlichen vom
Expressionismus her, setzt diesen iedach - nahezu
ausschließlich im Porträt - unter dem dominierenden
Aspekt einer stark graphisch bestimmten Wirk-
lichkeitsnähe und -deutung ausreichend modifiziert
fort. Die von ihr gezeigten Zeichnungen und
Radierungen waren allesamt „Paraphrasen zu Franz
Xaver Messerschmidts Charakterköpfen",
ein markanter neuer Abschnitt in ihrem einem
glaubwürdigen Anliegen verpflichteten Werk.
(28. 5-28. 6. 1975) - (Abb. U) Peter Baum
Bildhauer im Park des
Max-Reinhardt-Seminars
Von der Gesellschaft der Kunstfreunde Wien wurde
in der großen Gartenanlage in Hietzing unter
den alten Bäumen eine Flastikkollektion geboten.
Es waren fast durchwegs große Arbeiten,
die im Freien bestehen konnten, ia, durch den
großen Umraum erst richtig zur Wirkung kamen.
Nur Gerde Fassel und Hans Knesl hatten die
menschliche Figur als Grundthema. Die meisten
Bildhauer setzten freie Gestaltungen oder signal-
hafte Zeichen. Erfreulich, daß auch Arbeiten vieler
jüngerer Künstler gezeigt wurden: Robert Berger,
W. Haidinger, H. Klinger, G. Linke und L. Schlatter.
(6. 5.48. 7. 1975) - (Abb. 6)
Neues Wiener Kulturzentrum Alte Schmiede
in der Schönlaterngasse
In Wien wurde am Dienstag, den 3. Juni, in einem
der ältesten Stadtviertel ein neues Kulturzentrum
von Frau Vizebürgermeister Gertrude Fröhlich-
Sandner eröffnet. Das mittelalterliche Haus ist bei
Beibehaltung der gegebenen Räumlichkeiten für
diese Zwecke großzügig umgebaut worden.
Arbeitsräume für Keramiker, Druckgraphiker,
eisenverarbeitende Künstler wurden geschaffen.
Ein „Literarisches Quartier" mit einem Vortragsraum,
mit Bibliothek, Buchhandlung und Libresso
bietet eine Möglichkeit der Kommunikation der
Autoren und ihrer Leser. Eine Folge guter Veran-
staltungen machte hier bereits den Anfang.
Reinhard Urbach betreut diesen Sektor.
Ein großer Raum im Parterre und die Wände des
Libressos und des „Literarischen Quartiers"
stehen der bildenden Kunst zur Verfügung. Prof.
Johann Muschik zeichnet für dieses Programm.
Als erstes wurde unter dem Titel „Beispiele" im
Parterre eine Reihe namhafter österreichischer
Künstler ausgestellt, deren Werke in Publikationen
des Verlages Jugend und Volk vorliegen.
Im ersten Stock sind die satirischen Blätter Walter
Schmögners und im zweiten die Olbilder
Elisabeth Ernsts, letztere kraftvolle Auseinander-
setzungen mit dem Thema Frau. Ein umfangreiches
Programm für die nächsten Monate liegt bereits vor.
Da sich im Haus auch ein den alten Räumen
angepaßter Restaurationsbetrieb befindet, ist mit
einem ständigen und zahlreichen Besuch dieser
Ausstellungen zu rechnen. Wie sich die Benützung
der Werkstätten regelt, gilt abzuwarten.
(Abb. 7, 8)
Galerie auf der Stubenbastei
Gottfried Salzmann
Der Maler hat in einer künstlerischen Aussage,
die nur wenig Spielraum läßt, dem Aquarell,
einen eigenen Weg gefunden. Mit sparsamen
Nuancen, eher manochrom, gestaltet er von
Blattrand zu Blattrand „Landschaften". Oft hat man
den Eindruck von Luftaufnahmen, die auch nur
Teilausschnitte und sehr hohe Horizonte zeigen.
(1-24. 5. 1975) - (Abb. 9) A. V.
Salzburg
Galerie Academia
Anton Lehmden
Auch in den iüngeren Arbeiten Anton Lehmdens
scheinen seine bildnerischen Gedanken stets um
die Symbole der Vergänglichkeit, um die
Relativität alles irdischen zu kreisen. Albert Paris
Güterslah soll einmal gesagt haben: „Überall, wo
Lehmden ist, ist Landschaf ." Es ist eben eine
phantastisch realistische Landschaft, geboren aus
tiefem Einfühlungsvermögen und hoher Sensibilität.
Diese „natürlichen" wie architektonischen
„Landschaften", seien es die Rinden der Erde
oder die Leiber der Tiere, sind dem Verfall
preisgegeben, lassen sich aufspalten, lassen sich
minuziös beobachten, lassen sich durch den
Zeitablauf des Verfalls teilen wie die Schichten
einer Zwiebel; selbst wenn sie „bersten", bersten
sie lautlos und unheimlich langsam. Ganz
charakteristisch ein früheres Wort Lehmdens:
„Wirklich belehrend wäre es, wenn man eine
flache Wiese 300 Jahre lang beobachten könnte."
(10.-29. 7. 1975)
Künstlerhaus
Max Rieder und Gottfried Salzmann
Die beiden Preisträger des Kunstpreises der
Salzburger Wirtschaft (siehe „Varia" dieses
Heftes) haben zusammen mit 40 anderen Salz-
burger Künstlern die ausgewählten Arbeiten in
einer gut gehängten Schau gezeigt. In den Werken
des nun 66iährigen Rieder ist immer die Menschen-
gestalt das A und das O; kraftvoll, statuarisch,
doch keineswegs naturalistisch summieren sich in
ihnen die Erfahrungen eines arbeitsvollen
Bildhauerlebens. Manchen, die sich früherer
Ausstellungen von Werken des 1943 in Saalfelden
geborenen und nun in Paris lebenden Gottfried
Salzmann erinnern, werden dessen jüngste
Kahlezeichnungen nicht so sehr überraschend