chen stumpfen erdigen Farben. Diese sind in
gleichzeitigen Salzburger Handschriften auch
sonst nachzuweisen, vor allem in den bekannten
astronomischen Handschriften in Wien (CVP.
387)5 und München (Clm. 210). Auch in der
flüchtigen Strichführung, die man ruhig als wenig
qualitötsvoll bezeichnen kann, scheint uns von
diesen sachlich bestimmten Darstellungen kein
großer Abstand zu bestehen.
Auch hier sind es Gesichtspunkte der ikono-
graphischen Zusammenhänge, die im Vorder-
grund unseres Interesses stehen. Zunächst ist es
die Tatsache, daß die Evangelisten und ihre
Symbole auf Vollbildern einander gleichwertig
gegenübergestellt sind. Hier bietet tatsächlich in
der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts lediglich
der Codex Millenarius eine Paralleleß. Den-
noch ist D. H. Wright beizupflichten, wenn er einen
direkten Zusammenhang verneint. Wir möchten
sogar weitergehen und überhaupt die Vorbild-
lichkeit des Millenarius in Frage stellen oder ver-
neinen. Wir meinen, daß die Zusammenhänge
weitaus komplizierter gesehen werden müssen.
Von den Evangelisten sind nur drei erhalten
(Abb. 1, 10, 11). Matthäus fehlt. Die übrigen
sind relativ gleichartig gestaltet. Sie sitzen zur
rechten Bildseite gewendet, mit leicht geöffne-
ten und ausgewinkelten Beinen und schreiben in
dem offen nach vorne gehaltenen Buch. Die Art,
wie dieses geöffnete Buch gehalten ist, variiert,
geringe Differenzierungen finden sich auch bei
der Haarfarbe (Lukas, Abb. 10, ist etwas dunkel-
haariger, vgl. etwa den Johannes des Cutbercht-
Codex, Wien CVP. 1224), bei den Thronen und
den Polstern dieser Throne. In der Art, wie die
Gewänder über den Schoß gelegt sind, ist
Lukas einfacher als die beiden anderen, bei
denen die Falten bewegt tiefer einbrechen
(Abb. 11). Gewiß war diese Eigentümlichkeit der
Anlaß fiir D. H. Wright, auf die Markusfigur im
Pariser Codex 8849 hinzuweisen, da dieser fast
wie eine Vorlage wirkt (Abb. 12). Aber audi der
Matthäus der gleichen Handschrift steht, bis auf
die engere Fußstellung, durchaus nahe. Im Ge-
gensatz zu den Initialen und Kananesbögen
stehen bemerkenswerterweise die Evangelisten
des Harburger Codex zwar den Miniaturen der
Handschrift in der Vaticana wegen ihrer gerin-
geren Qualität näher, ikonographisch unter-
scheiden sie sich aber dadurch, daß sie alle
das geöffnete Buch (mit leeren Seiten) mit beiden
Seiten dem Betrachter vorweisen, aber nicht
schreiben. Da der Typus des Markus in der Pari-
ser Handschrift kein unmittelbares Vorbild in der
karolingischen Buchmalerei besitzt, scheint uns
auch die Annahme eines gemeinsamen Vorbildes
denkbar.
Neben dem iugendlichen Typus ist auch die Ar-
chitekturrahmung dieser Seiten gleichartig. Mit
ihren Türmchen und Mauern übertreffen sie die
anderen Salzburger Beispiele und erweisen sich
damit sicherlich als selbständiger Zweig, die
Rosetten und Unterbrechungen auf den Giebeln
haben sie mit Paris 8849 und der Handschrift der
Harburg gemeinsam.
Ein völlig neues Element tritt uns bei den Evan-
gelistensymbolen entgegen. Die Halbfiguren der
Symbole halten je ein offenes Buch, auf dem sich
ihre Bezeichnung in lateinischer Sprache, in Ka-
pitalis geschrieben, findet. Sie sind mit sechs
Flügeln dargestellt und von einem kreisförmi-
gen Rahmen umgeben, der sich aus den Innen-
zeichnungen als Umbildung eines (Lorbeer-)Kran-
zes erklären läßt (Abb. 2, 13). Durch streifenför-
mige Kompartimente, teilweise auch Architek-
turüberhöhungen, werden die Felder auf die
gleiche Höhe gebracht wie die Gegenseite.
Die kreisförmigen kranzartigen Rahmen können
als ein sehr verbreitetes Motiv der spötantiken
14
Kunst gekennzeichnet werden. Wir denken etwa
an die Wiener Rufinus-HandschrifV und viele
andere Beispiele. Die sechsflügeligen Symbole
sind dagegen sehr selten. Sicherlich wird eine
weitere Nachsuche noch weiteres Material bei-
bringen können. Wir möchten uns darauf be-
schränken, auf ein Elfenbeindiptychon in Mai-
land hinzuweisen, auf welchem die Symbole in
Halbfigur und in Lorbeerkrünzen dargestellt sind
(Abb. 14). Volbach hat es vermutungsweise nach
Ravenna lokalisiert". Da dieser Sechsflügeltypus
der Symbole (nicht der Cherubime!) der karo-
lingischen Buchmalerei fremd zu sein scheint,
glauben wir in diesem Salzburger Vorkommen
einen weiteren Beleg für die unmittelbare Wirk-
samkeit oberitalienischer Vorbilder in diesem Be-
reich annehmen zu können.
Auch hier möchten wir die Situation nicht zu
einfach sehen. Einzelne Elemente des hier vor-
liegenden Typus weisen auf weitere Zusammen-
hänge. Ein Vorkommen sechsflügeliger Evange-
listensymbole, nicht in Parallelen angeordnet,
sondern eher in der Art der Cherubime, fin-
det sich z. B. in dem zweifellos älteren Evange-
liar des Essener Münsterschatzes'. G. Micheli
hat dazu auf eine koptische Parallele hinge-
wiesen, wo sechsflügelige Symbole überhaupt
nicht selten zu sein scheinen. Eine Verfolgung
dieser Spur wäre außerordentlich reizvoll, über-
schreitet aber den hier möglichen Rahmen.
Kranzgerahmte Symbole finden sich weiter in
einigen wenigen spätkarolingischen nordfrönki-
schen Handschriften, bei denen G. Micheli schon
darauf aufmerksam gemadit hat, daß sie in
ihrer Verdoppelung eine Parallele zum Codex
Millenarius bieten". Es muß also das eine oder
andere Exemplar einer ähnlichen Redaktion oder
vielleicht eine Wanderschaft des nach 800 in
Salzburg wirksam gewordenen Exemplars ange-
nammen werden.
Obwohl es uns nicht möglich ist, die hier ange-
deuteten Probleme weiter auszuführen, muß doch
noch auf einen Tatbestand aufmerksam gemacht
werden. Das angeführte Diptychon in Mailand
zeigt nicht nur die Evangelistensymbale, sondern
auch deren Halbfiguren in gleichartigen kreis-
förmigen Rahmen (Abb. 15). Bezogen auf die
Buchmalerei hieße dies, daß zunächst ein Deko-
rationsschema anzunehmen wäre, in welchem
Evangelistenbüsten und Symbolbüsten, kranz-
förmig gerahmt, einander gegenübergestanden
wären. Ein Typus, der spötantiker Auffassung
unseres Erachtens in außerordentlicher Weise
entsprechen würde. Mit dem Aufkommen des
aus dem antiken Autorenbild abgeleiteten Evan-
gelistenporträts mußte der vielleicht ältere Ty-
pus weichen, und er ist seit der Karalingerzeit
fast ganz verschwunden. Ganz verdrängt war
dieser Typus um 800 iedoch nach nicht. Wir fin-
den in Handschriften, besonders aus dem angel-
sächsischen Einflußbereich, in welchem spcitan-
tike Motive immer wieder feststellbar sind, ge-
wissermaßen am Rande, in nebensächlicher Posi-
tion solche kreis- oder kranzförmig gerahmte
Evangelistenbüsten. In den Kanonesbögen z. B.
des Evangeliars van Maaseyck oder von Trier
(Cod.61) oder über dem Symbol im Book ofCerne
können wir sie beobachten". Wir möchten mei-
nen, daß sie in dem hier vorgeführten Zusam-
menhang als Beispiele, gewissermaßen Rudi-
mente einer alten, aber nur wenig erfolgreichen
Tradition, angesehen werden können. Der Codex
der Vaticana gewinnt dadurch, trotz seiner nicht
eben hervorragenden Qualität, an entwicklungs-
geschichtlichem Interesse. Innerhalb der Salz-
burger karolingischen Kunst möchten wir ihn als
einen weiteren Markstein für den Nachweis un-
mittelbarer Beziehungen zu Oberitalien, und ver-
mutlich zu Ravenna, betrachten.
Summary
In the year 1964 Dr. H. Wright referred
footnate within a work dealing with the ic
graphy of the well-known Codex Millent
from Kremsmünster in the "Münchner Jahr
der Bildenden Kunst" to a carolingian Eva
liarium in two volumes (Vat. Lot. 7224 and 7
He stated that their pictures which cover
whole of two pages-iust as in the Millena
"cannot be directly related to Millenarius"
assumes (contrarily to our interpretation)
they originate from a later date; "they '
probably aclded only towards'the end ol
ninth century", he reiects a model of the
Roman Empire and assigns them to a car
gian tradition which was rather simple
unimaginative (...not based directly an
late antique model, but on an established
unimaginative Carolingian recension...).
the one hand it is the task of our stud
demonstrate the copy of the Vaticana in pl
graphs, to range it within the series of
other Salzburg manuscripts and to make pr
their position in that series. The Evangelic
made in the Salzburg Scriptorium, whir
now to be faund in the Harburg colle
(l, 2, Fol. 2), is of special interest; its po:
within the history of art was stated by
outhor of the present article in 1958. The
of the eusebian canons in both the manusl
stands in relation to Ravenna (cf. Clm. 6212)
On the other hand it does not seem us t
impossible to state a Late Roman basis o
comparatively careless miniatures in the
cana, being pointed out the symbols ol
Evangelists in a circular framework. An ii
graphic parallel in ivory (a diptychon ir
treasury of the Milan cathedral, dating fror
second part of the fifth century) shows us t
has its origins in North ltaly, apparently II
venna, too. In the carolingian scriptoria this
was rarely imitated, and if so, it was coml
with other models. Wherever we find simila
tails, they suggest connections with the co
art. As we cannot, for stilistic reasons, su;
that it came from the irish-anglosaxon terr
the manuscript which has certainly its orig
Salzburg becomes rnuch more important a
other evidence for direct connections with l
Italy. lf the references to the coptian art II
right, this impartance would become even
significant.
Anmerkungen 5-11
fVgl. H. J. Hermann, Die varromanischan Handscl
Besdireibendes Verzeichnis der illuminierten H
Usterr. N. F. I. (1923), S. 145 ff.
fVgl. die Abbildun en in den Anm. 1
'H. J. Hermann, . c. l., S. 39H.
vermutlich aus Ravenna.
'W. F. Volbacfi u. W. Hirmer, Frühdtristlicha Kur
5 ätantike in West- und Ostram. München (1958
1 und 101.
'G. L. Micheli, Uenluminure du haut moyen äge
influences irlandaises. Bruxelles (1939), Fig. 95.
"' Ebenda, S. 136, Fig. 136-188.
"Ebenda, S. 46, 50, Fi . 158, 159, bzw. Fig. 2B. D
meinsame Auftreten ieser Evan elistenbüsten in
medaillans mit Sitztiguren in rkaden legt es
dieser Kombination einen gemeinsamen Dberliefr
weg zuzuschreiben. In unserer Handsdirift ist d
meinsamkeit der Symbole im Kranz und der Ev
sten als Sitzfiguren ähnlich zu erklären. Eine a
liche Darstellung müßte aber den hier gebatenei
men überschreiten.
enannten Ar
er Codex
j Unser Autor:
Hon.-Prof. Dr. Kurt Halter
Maria-Theresien-Straße 3
4600 Wels, OÜ