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Volltext: Alte und Moderne Kunst XVIII (1973 / Heft 126)

chen stumpfen erdigen Farben. Diese sind in 
gleichzeitigen Salzburger Handschriften auch 
sonst nachzuweisen, vor allem in den bekannten 
astronomischen Handschriften in Wien (CVP. 
387)5 und München (Clm. 210). Auch in der 
flüchtigen Strichführung, die man ruhig als wenig 
qualitötsvoll bezeichnen kann, scheint uns von 
diesen sachlich bestimmten Darstellungen kein 
großer Abstand zu bestehen. 
Auch hier sind es Gesichtspunkte der ikono- 
graphischen Zusammenhänge, die im Vorder- 
grund unseres Interesses stehen. Zunächst ist es 
die Tatsache, daß die Evangelisten und ihre 
Symbole auf Vollbildern einander gleichwertig 
gegenübergestellt sind. Hier bietet tatsächlich in 
der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts lediglich 
der Codex Millenarius eine Paralleleß. Den- 
noch ist D. H. Wright beizupflichten, wenn er einen 
direkten Zusammenhang verneint. Wir möchten 
sogar weitergehen und überhaupt die Vorbild- 
lichkeit des Millenarius in Frage stellen oder ver- 
neinen. Wir meinen, daß die Zusammenhänge 
weitaus komplizierter gesehen werden müssen. 
Von den Evangelisten sind nur drei erhalten 
(Abb. 1, 10, 11). Matthäus fehlt. Die übrigen 
sind relativ gleichartig gestaltet. Sie sitzen zur 
rechten Bildseite gewendet, mit leicht geöffne- 
ten und ausgewinkelten Beinen und schreiben in 
dem offen nach vorne gehaltenen Buch. Die Art, 
wie dieses geöffnete Buch gehalten ist, variiert, 
geringe Differenzierungen finden sich auch bei 
der Haarfarbe (Lukas, Abb. 10, ist etwas dunkel- 
haariger, vgl. etwa den Johannes des Cutbercht- 
Codex, Wien CVP. 1224), bei den Thronen und 
den Polstern dieser Throne. In der Art, wie die 
Gewänder über den Schoß gelegt sind, ist 
Lukas einfacher als die beiden anderen, bei 
denen die Falten bewegt tiefer einbrechen 
(Abb. 11). Gewiß war diese Eigentümlichkeit der 
Anlaß fiir D. H. Wright, auf die Markusfigur im 
Pariser Codex 8849 hinzuweisen, da dieser fast 
wie eine Vorlage wirkt (Abb. 12). Aber audi der 
Matthäus der gleichen Handschrift steht, bis auf 
die engere Fußstellung, durchaus nahe. Im Ge- 
gensatz zu den Initialen und Kananesbögen 
stehen bemerkenswerterweise die Evangelisten 
des Harburger Codex zwar den Miniaturen der 
Handschrift in der Vaticana wegen ihrer gerin- 
geren Qualität näher, ikonographisch unter- 
scheiden sie sich aber dadurch, daß sie alle 
das geöffnete Buch (mit leeren Seiten) mit beiden 
Seiten dem Betrachter vorweisen, aber nicht 
schreiben. Da der Typus des Markus in der Pari- 
ser Handschrift kein unmittelbares Vorbild in der 
karolingischen Buchmalerei besitzt, scheint uns 
auch die Annahme eines gemeinsamen Vorbildes 
denkbar. 
Neben dem iugendlichen Typus ist auch die Ar- 
chitekturrahmung dieser Seiten gleichartig. Mit 
ihren Türmchen und Mauern übertreffen sie die 
anderen Salzburger Beispiele und erweisen sich 
damit sicherlich als selbständiger Zweig, die 
Rosetten und Unterbrechungen auf den Giebeln 
haben sie mit Paris 8849 und der Handschrift der 
Harburg gemeinsam. 
Ein völlig neues Element tritt uns bei den Evan- 
gelistensymbolen entgegen. Die Halbfiguren der 
Symbole halten je ein offenes Buch, auf dem sich 
ihre Bezeichnung in lateinischer Sprache, in Ka- 
pitalis geschrieben, findet. Sie sind mit sechs 
Flügeln dargestellt und von einem kreisförmi- 
gen Rahmen umgeben, der sich aus den Innen- 
zeichnungen als Umbildung eines (Lorbeer-)Kran- 
zes erklären läßt (Abb. 2, 13). Durch streifenför- 
mige Kompartimente, teilweise auch Architek- 
turüberhöhungen, werden die Felder auf die 
gleiche Höhe gebracht wie die Gegenseite. 
Die kreisförmigen kranzartigen Rahmen können 
als ein sehr verbreitetes Motiv der spötantiken 
14 
Kunst gekennzeichnet werden. Wir denken etwa 
an die Wiener Rufinus-HandschrifV und viele 
andere Beispiele. Die sechsflügeligen Symbole 
sind dagegen sehr selten. Sicherlich wird eine 
weitere Nachsuche noch weiteres Material bei- 
bringen können. Wir möchten uns darauf be- 
schränken, auf ein Elfenbeindiptychon in Mai- 
land hinzuweisen, auf welchem die Symbole in 
Halbfigur und in Lorbeerkrünzen dargestellt sind 
(Abb. 14). Volbach hat es vermutungsweise nach 
Ravenna lokalisiert". Da dieser Sechsflügeltypus 
der Symbole (nicht der Cherubime!) der karo- 
lingischen Buchmalerei fremd zu sein scheint, 
glauben wir in diesem Salzburger Vorkommen 
einen weiteren Beleg für die unmittelbare Wirk- 
samkeit oberitalienischer Vorbilder in diesem Be- 
reich annehmen zu können. 
Auch hier möchten wir die Situation nicht zu 
einfach sehen. Einzelne Elemente des hier vor- 
liegenden Typus weisen auf weitere Zusammen- 
hänge. Ein Vorkommen sechsflügeliger Evange- 
listensymbole, nicht in Parallelen angeordnet, 
sondern eher in der Art der Cherubime, fin- 
det sich z. B. in dem zweifellos älteren Evange- 
liar des Essener Münsterschatzes'. G. Micheli 
hat dazu auf eine koptische Parallele hinge- 
wiesen, wo sechsflügelige Symbole überhaupt 
nicht selten zu sein scheinen. Eine Verfolgung 
dieser Spur wäre außerordentlich reizvoll, über- 
schreitet aber den hier möglichen Rahmen. 
Kranzgerahmte Symbole finden sich weiter in 
einigen wenigen spätkarolingischen nordfrönki- 
schen Handschriften, bei denen G. Micheli schon 
darauf aufmerksam gemadit hat, daß sie in 
ihrer Verdoppelung eine Parallele zum Codex 
Millenarius bieten". Es muß also das eine oder 
andere Exemplar einer ähnlichen Redaktion oder 
vielleicht eine Wanderschaft des nach 800 in 
Salzburg wirksam gewordenen Exemplars ange- 
nammen werden. 
Obwohl es uns nicht möglich ist, die hier ange- 
deuteten Probleme weiter auszuführen, muß doch 
noch auf einen Tatbestand aufmerksam gemacht 
werden. Das angeführte Diptychon in Mailand 
zeigt nicht nur die Evangelistensymbale, sondern 
auch deren Halbfiguren in gleichartigen kreis- 
förmigen Rahmen (Abb. 15). Bezogen auf die 
Buchmalerei hieße dies, daß zunächst ein Deko- 
rationsschema anzunehmen wäre, in welchem 
Evangelistenbüsten und Symbolbüsten, kranz- 
förmig gerahmt, einander gegenübergestanden 
wären. Ein Typus, der spötantiker Auffassung 
unseres Erachtens in außerordentlicher Weise 
entsprechen würde. Mit dem Aufkommen des 
aus dem antiken Autorenbild abgeleiteten Evan- 
gelistenporträts mußte der vielleicht ältere Ty- 
pus weichen, und er ist seit der Karalingerzeit 
fast ganz verschwunden. Ganz verdrängt war 
dieser Typus um 800 iedoch nach nicht. Wir fin- 
den in Handschriften, besonders aus dem angel- 
sächsischen Einflußbereich, in welchem spcitan- 
tike Motive immer wieder feststellbar sind, ge- 
wissermaßen am Rande, in nebensächlicher Posi- 
tion solche kreis- oder kranzförmig gerahmte 
Evangelistenbüsten. In den Kanonesbögen z. B. 
des Evangeliars van Maaseyck oder von Trier 
(Cod.61) oder über dem Symbol im Book ofCerne 
können wir sie beobachten". Wir möchten mei- 
nen, daß sie in dem hier vorgeführten Zusam- 
menhang als Beispiele, gewissermaßen Rudi- 
mente einer alten, aber nur wenig erfolgreichen 
Tradition, angesehen werden können. Der Codex 
der Vaticana gewinnt dadurch, trotz seiner nicht 
eben hervorragenden Qualität, an entwicklungs- 
geschichtlichem Interesse. Innerhalb der Salz- 
burger karolingischen Kunst möchten wir ihn als 
einen weiteren Markstein für den Nachweis un- 
mittelbarer Beziehungen zu Oberitalien, und ver- 
mutlich zu Ravenna, betrachten. 
Summary 
In the year 1964 Dr. H. Wright referred 
footnate within a work dealing with the ic 
graphy of the well-known Codex Millent 
from Kremsmünster in the "Münchner Jahr 
der Bildenden Kunst" to a carolingian Eva 
liarium in two volumes (Vat. Lot. 7224 and 7 
He stated that their pictures which cover 
whole of two pages-iust as in the Millena 
"cannot be directly related to Millenarius" 
assumes (contrarily to our interpretation) 
they originate from a later date; "they ' 
probably aclded only towards'the end ol 
ninth century", he reiects a model of the 
Roman Empire and assigns them to a car 
gian tradition which was rather simple 
unimaginative (...not based directly an 
late antique model, but on an established 
unimaginative Carolingian recension...). 
the one hand it is the task of our stud 
demonstrate the copy of the Vaticana in pl 
graphs, to range it within the series of 
other Salzburg manuscripts and to make pr 
their position in that series. The Evangelic 
made in the Salzburg Scriptorium, whir 
now to be faund in the Harburg colle 
(l, 2, Fol. 2), is of special interest; its po: 
within the history of art was stated by 
outhor of the present article in 1958. The 
of the eusebian canons in both the manusl 
stands in relation to Ravenna (cf. Clm. 6212) 
On the other hand it does not seem us t 
impossible to state a Late Roman basis o 
comparatively careless miniatures in the 
cana, being pointed out the symbols ol 
Evangelists in a circular framework. An ii 
graphic parallel in ivory (a diptychon ir 
treasury of the Milan cathedral, dating fror 
second part of the fifth century) shows us t 
has its origins in North ltaly, apparently II 
venna, too. In the carolingian scriptoria this 
was rarely imitated, and if so, it was coml 
with other models. Wherever we find simila 
tails, they suggest connections with the co 
art. As we cannot, for stilistic reasons, su; 
that it came from the irish-anglosaxon terr 
the manuscript which has certainly its orig 
Salzburg becomes rnuch more important a 
other evidence for direct connections with l 
Italy. lf the references to the coptian art II 
right, this impartance would become even 
significant. 
Anmerkungen 5-11 
fVgl. H. J. Hermann, Die varromanischan Handscl 
Besdireibendes Verzeichnis der illuminierten H 
Usterr. N. F. I. (1923), S. 145 ff. 
fVgl. die Abbildun en in den Anm. 1 
'H. J. Hermann, . c. l., S. 39H. 
vermutlich aus Ravenna. 
'W. F. Volbacfi u. W. Hirmer, Frühdtristlicha Kur 
5 ätantike in West- und Ostram. München (1958 
1 und 101. 
'G. L. Micheli, Uenluminure du haut moyen äge 
influences irlandaises. Bruxelles (1939), Fig. 95. 
"' Ebenda, S. 136, Fig. 136-188. 
"Ebenda, S. 46, 50, Fi . 158, 159, bzw. Fig. 2B. D 
meinsame Auftreten ieser Evan elistenbüsten in 
medaillans mit Sitztiguren in rkaden legt es 
dieser Kombination einen gemeinsamen Dberliefr 
weg zuzuschreiben. In unserer Handsdirift ist d 
meinsamkeit der Symbole im Kranz und der Ev 
sten als Sitzfiguren ähnlich zu erklären. Eine a 
liche Darstellung müßte aber den hier gebatenei 
men überschreiten. 
enannten Ar 
er Codex 
j Unser Autor: 
Hon.-Prof. Dr. Kurt Halter 
Maria-Theresien-Straße 3 
4600 Wels, OÜ
	        
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