die Vorstellung zu herrschen scheint, sie könne
ganz neu geschaffen und das (nach wie vor
vorhandene) Gewesene könne ignoriert werden.
Da sich ohnedies zeigt, daß derartige Forde-
rungen politischer Erziehung mittels sensorischer
Materials"" - ob berechtigt oder nicht, viel-
versprechend oder nichtssagend - von der über-
wiegenden Mehrzahl der Betroffenen nicht
übernommen werden wollen, kann befürchtet
werden, daß gar nichts geschieht. Daß also der
Einbezug eines veränderten Denk- und Arbeits-
bereichs in wenigstens gleichbleibender und
nicht verkürzter Form vor allem an unseren
höheren Schulen deswegen nicht erfolgen kann,
weil man sich über mögliche Zielsetzungen zwi-
schen „musiscW-bürgerlicher und ganze Lebens-
bereiche unter entsprechenden Aspekten be-
rücksichtigender Kommunikationsversuche über-
haupt nicht einigen kann, was zur Folge hätte,
daß selbst die simpelsten und berechtigtsten
Neuerungsvorschläge nicht durchgesetzt werden.
Erst unter Berüdßichtigung all dieser sich bei
näherer Betrachtung des Problems ergebenden
Aspekte zeigt sich die Notwendigkeit einer
Rettungsaktion für dieses Fach, scheint es drin-
gend geboten, Ansätze dafür zu finden, diesen
Bereich für die Schule einerseits überhaupt zu
erhalten und andererseits in seinem Wirkungs-
radius auf attraktive und einsichtige Weise
zu erweitern, was eine - wenn auch nur be-
scheidene - Änderung des Systems zwangsläufig
mit sich bringen müßte. Über linke Modellvor-
stellungen einerseits und Beharrungstendenzen
andererseits hinaus ergeben sich dabei, soll die
Auseinandersetzung überhaupt fruchtbar wer-
den, für deren Weitertragen vor allem zwei
simple Gesichtspunkte:
l. Ohne die Entwicklung (eines auch kritischen)
Verständnisses für Fragen, die unser Wohnen,
unsere Architektur, unsere Mode, die Werbung
und Erfahrung einer freien Gestaltbarkeit un-
serer Umwelt betreffen, bleibt das Einführen in
künstlerisch-ästhetische Probleme eine Ange-
legenheit für entsprechend vordisponierte Min-
derheiten.
2. Ohne die Ausbildung eines ganz neuen
Lehrertyps,der sich dieser Fragen annehmen und
sie entsprechend derStruktur der ihm konfrontier-
ten Schüler sowohl theoretisch wie praktisch we-
nigstens insofern zu lösen versteht, daß er ihre
Problematik bewußt werden läßt und entspre-
chende Anstöße vermittelt, sind Vorstellungen
nicht annähernd realisierbar, die darauf abzie-
len, eine gemeinsame anthropologische Basis zu
gewinnen, die „zugleich eine gemeinsame Be-
gründungsebeneaw sein könnte.
in Österreich unterrichten hauptsächlich noch
immer Halb- oder Dreiviertelkünstler meist sehr
durchschnittlicher Qualität ohne iede pädagogi-
sche Ausbildung und mit einer Selbstzufrieden-
heit, die wenig dazu angetan ist, ihre Partei zu
ergreifen oder ihre Interessen zu unterstützen.
Darum geht es auch nicht: Was uns interessieren
muß, ist die neu heranwachsende Generation,
der mit anderen Methoden und Argumenten ge-
holfen werden muß, kein abgestumpftes Lei-
stungstier ohne Sensorium zu werden, als es mit
den althergebrachten Mitteln, die keine Folge-
erscheinungen haben, möglich war. Wer sich da-
bei auf einen für neue Vorstellungen keinen
Raum bietenden Lehrplan beruft, muß daran
erinnert werden, doß es sich bei ihm um „Leer-
formeln" handelt, die „mit Leben zu erfüllen"
sind". ln der Konfrontation kulturell-schöpfe-
rischer Bereiche mit den wissenschaftlichen sollte
stets bedacht werden, daß die Welt nur nüchtern
ist, „wenn man die Wirklichkeit der Wissen-
schatten für die volle Wirklichkeit der Welt
hält" (K. Fiedler)'5.
32
6 Thema Rudern. Pinselzeichnung eines Achtzehn-
iähri en zum Aspekt: „Strukturelle Ausprägun-
en er Bildwirklicltkeit auf der figuralen Ebene".
s entsteht ein in sich bewegtes und rhythmisch
strukturiertes Formfeld für den lnhalt Rudern.
(Aus: Klaus Sliwka, a. o. O.)
(Anmerkungen 32-35 s. S. 31)
7 „Kybernetes' Schiffchen". Arbeit eines 17- bis
l8iährigen Schülers, entwickelt aus dem Anlaß
Faltobiekte „möglichst in gleicher Größe unc
Gestalt" herzustellen, „sie aber nicht als ver-
stümmelte, zertretene Abfälle wirksam werder
zu lassen, sondern ihren ästhetischen Wert ZL
erhalten". (Aus: Florian Merz, Material-Bildet
und Obiekte im Kunstunterricht. Ravensburg 1971
_ Unser Autor:
Kristian Sotriffer
Kunstkritiker
Grillparzerstraße 5
lOlO Wien