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Volltext: Alte und Moderne Kunst XVIII (1973 / Heft 126)

:0 Antonia Graf 
3er den notwendigen 
auguß der Bildnerischen 
ziehung 
Lußi die Toien ihre Toten begraben. 
Jesus von Nazcreih. 
Volentum fata ducunt, nolentem trahunt. Ich 
übersetze: Wer der Zukunft feindlich gegenüber- 
tritt, kann nicht wahrnehmen, was sie im Schilde 
führt; wer ihr aber angestrengt nachfolgt, der 
sieht, wohin die Reise geht. Hat die Bildnerische 
Erziehung eine gute Zukunft zu erwarten? Hat 
sie, was etwas ganz anderes ist, eine solche zu 
fordern? Kaum lösbare Konflikte entstehen,wenn 
die Erwartungen, die in die Sache gesetzt wer- 
den, mit den Möglichkeiten gegenwärtiger Gei- 
stesabwesenheit zusammenstoßen. Dies ist, wie 
nicht anders zu erwarten, dort der Fall, wo die 
Lehrer ihre Ausbildung erhalten, an den Kunst- 
akademien. Was soll da nicht alles getan wer- 
den? Der Student soll einmal, so wollen es die 
einen, die Interessen der akademischen Hoch- 
kunst im Erziehungssystem vertreten, das Volk 
zum Künstler hinführen (die letztere Formulie- 
rung stammt von Loas). Er soll kunstgeschicht- 
Iiche Kenntnisse verbreiten. Selbstverständlich 
fehlt nicht der diffuse, aber weit verbreitete 
Wunsch nach einem allgemeinen, entlastenden 
Alibi in Sachen „Kunst und Kultur", von denen 
kaum iemand weiß, was man sich darunter vor- 
zustellen hat. Die Kinder sollen nicht nur malen 
und zeichnen lernen und ihre schöpferischen, 
künstlerischen Fähigkeiten, deren Existenz em- 
phatisch beiaht wird, entwickeln; man will sie 
auch in einer allgemeinen „visuellen Sprache" 
und Ausdrucksföhigkeit ausgebildet sehen. Die 
Möglichkeit, daß sich die Schüler austoben und 
den aggressiven Druck der Fächer, die mit dem 
Nichtgenügend drohen können, abreagieren, 
wünschen andere Menschenfreunde, die resigniert 
haben, gewährleistet zu sehen. Strenge Mensch- 
heitsfreunde, deren Resignation noch aussteht, 
erklären mit der Naivität, die nur der buntfarbi- 
gen Theorie entspringt - das Leben ist etwas 
grauer -, das alles zum apolitischen Unfug und 
Unsinn und verlangen, daß den Schulkindern kri- 
tische, politische Bewußtseinserweiterung und 
Aufklärung zuteil werden müsse. Die Technokra- 
ten treten auf den Plan, fordernd, daß techni- 
sches Werken und Zeichnen der Berufsausbil- 
dung in der industriellen Gesellschaft konstruk- 
tiv zu dienen habe! Zum Schluß erheben die 
Freunde einer Erziehung zu „allgemeiner Krea- 
tivität", was immer das sein möge, ihre Stimme, 
unterstützt vom Gemurmel der viel zu zahlrei- 
chen Absolventen der Akademien, die ihre Faul- 
heit auf Kosten von Gevatter Staat subventio- 
nieren Iassen. Selbst an solchen herrscht aber 
Mangel... Den Abschluß des Festzuges bilden 
die Theologen des Todes der Kunst, denen die 
ganze Angelegenheit ein idealistisches Greuel 
bedeutet und das eine oder andere angehängte, 
noch feuchte Kalb, das etwas von neuen Inhal- 
ten muht. 
Das ist alles leider wahr und gar nicht lustig. 
Ebenso wahr ist die geringe Zahl der Schul- 
stunden, in denen die Menschheit so ideenreich 
beglückt werden soll und die weiter gar nicht 
so seltsame Tatsache, daß in der Brust iedes 
einzelnen Vertreters der Bildnerischen Erziehung 
mindestens drei oder vier dieser Stimmen strei- 
tendes Konzilium halten. 
Alles blickt gespannt auf das neue Institut an 
der Akademie, aus dem das Licht der Weisheit 
und Einheit erstrahlen sall, um endlich ein siche- 
res System, das alle Fragen auflöst, zu gebären. 
Ein solches System könnte nur eine Zensurbe- 
hörde sein, die bestimmte Fragen erlaubt, an- 
dere aber, nämlich die den Fragenden ieweils 
wirklich interessierenden,verbietet und verdrängt. 
Damit wäre in Wahrheit niemandem geholfen. 
Warum denn nicht? Die Akademie lebt nicht 
außerhalb der Gesellschaft, in der alle diese Vor- 
stellungen (und mehr!) mit Energie vertreten 
werden. Komplizierte Gesetze und die Reform 
der Hochschulen dürfen wir nicht vergessenl Also 
muß das Institut inmitten der Konflikte leben 
und den Studenten Menschlichkeit zu lehren ver- 
suchen. Was soll das wieder heißen? Nichts 
anderes, als die Fähigkeit, Konflikte ohne Ver- 
zweiflung zu ertragen und geduldig am Fort- 
schritt der Welt mitzuwirken. 
Stehen wir nicht vor einem unlösbaren Dilemma, 
wenn wir den iungen Leuten einerseits Freude an 
der Kunst zumuten, anderseits von der ungenü- 
gehden Substanz der gegenwärtigen Kunst re- 
den und laut darüber nachdenken, daß die Kunst 
der Akademien trotz mancher Schönheit und 
manchen Wertes vielleicht nicht mehr ganz das 
sei, wovon wir hoffen, es möge zum unverlier- 
baren Besitz der Geschichte gehören? Da fragt 
die Erwartung der allzeit „positiven Kritik" ge- 
spannt, was denn an die Stelle des Alten treten 
soll? An schnellem Ersatz sei ohnedies kein 
Mangel, antworten viele Geisterstimmen. 
Ich sehe aber da einstweilen kein ernsthaftes 
Dilemma, sondern einen guten Ausblick auf die 
Welt, der die Bildnerische Erziehung Werte, 
nicht Profit, hinzuzufügen verpflichtet ist. Sie ret- 
tet sich, so scheint es mir, nur dann aus ihrer 
unglücklichen Lage, wenn sie den gesamten Kon- 
text der gegenwärtigen Welt überlegt, um her- 
auszufinden, was not tut. Je größer der Abstand, 
desto schärfer der Blick. Da können wir uns 
allerdings gar keinen groß genug gearteten 
Begriff von der Aufgabe machen, einen denken- 
den Stern kunstvoll zu organisieren, zu humani- 
sieren und zu hominisieren. Hic Rhodos, hic 
salta! In uns und um uns vollzieht sich, auch 
durch alle chaotischen Exzesse blind herum- 
schlagender politischer Dinosaurier, der Neuguß 
der Menschheit, die aus der langen, vielleicht zu 
langen Geschichte der Divergenz zur rasend 
sich beschleunigenden Konvergenz übergeht, die 
aus allen menschlichen Gebilden ein einziges 
Nootop schafft. Die ganze bisherige Geschidite, 
deren Größe und Jammer nicht zur Debatte 
steht, stand unter dem Zeichen der Partikulari- 
tät unzähliger Gruppen, Stämme, Palisgebilde 
und Nationen, welche ihre ie eigene Kunst be- 
saßen, durch die sie sich grundlegend von den 
anderen unterscheiden wollten. Das ist vorbei, 
das scheiterte in den letzten beiden Jahrhun- 
derten. Die Grundenergien der menschlichen 
Evolution und Organisatiansarbeit, Reflexion und 
Sozialisation äußerten sich dauernd und an- 
dauernd in den Inhalten der Kunstgeschichte. Ich 
sehe keine Ursache, anzunehmen, das sei in der 
Gegenwart nicht mehr der Fall und werde in der 
Zukunft anders sein. Freilich ändern sich die 
Formen, die der Ausdruck der Grundenergien 
annimmt, bis zur Unkenntlichkeit. Ich behaupte 
nicht, daß wir schon eine solche neue Kunst 
hätten, die erkennbar und der alten gegenüber 
zu stellen wäre. (Das, was man mit wenig Be- 
rechtigung moderne Kunst genannt hat, gehört 
selbst noch bis in die läppische Zauberei und Ma- 
gie der „Land Art" und des unsäglich banalen, 
iede Bestimmung des antiken Idioten erfüllenden 
Konzipistenunwesens zur euphorischen Agonie ar- 
chaischer Mentalität.) Wir wissen eben nach 
nicht, wie wir bewußt und hell einen Planeten, 
an „dessen Flanke der Reichtum und die Zu- 
kunft der Welt geheftet" (Teilhard) sind, orga- 
nisieren und eine einheitliche Polis aus ihm 
machen sollen, „mit einem Markusplatz, der ietzt 
schon essentieller dreinsieht als die gesamte 
Inflation bloß astronomischer Unendlichkeit, mit 
einer Akropolis, der ihr durchaus umbauter Raum 
genügt, um einen Vorschein des humansten darin 
zu bilden" (Bloch). Einen denkenden Stern ohne 
Kunst zu organisieren, nein, das ist undenkbar, 
eher hört das Leben auf Erden auf. Richten 
wir unser Augenmerk auf dieses Ziel. Dann wird 
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