der Bildnerischen Erziehung ein Licht aufgehen,
auch wenn nach gar keine „gesicherten, kon-
kreten Ergebnisse und Kenntnisse" da sind. Sol-
vitur eundo! Wir wissen, daß sehr bald die not-
wendigen Entscheidungen getroffen werden müs-
sen, damit der Weg zum Reichtum des zukünf-
tigen kosmischen Markusplatzes nicht für immer
blockiert werde... Erklären wir also die Kunst
nicht zu einem toten Fossil - es gibt bekanntlich
auch lebende Fossilien -, das ganz und gar er-
ledigt sei, sondern widmen wir uns der Akropo-
lis, von der Bloch spricht. Ohne Schwärmerei,
das versteht sich.
Diejenigen, die von der Zukunft mehr erfürchten
als erhoffen, werden mit Recht fragen, welche
Erziehung der Erzieher diesen Prospektiven ent-
spricht. lch kann mir nicht vorstellen, daß ie-
mals die Problematik der Ausbildung der Er-
zieher aufgelöst wird, wenn nicht vorher eine
entscheidende Konversion in unserem Denken
eintritt. Ganz richtig stellt ieder die Frage, was
denn Kunst sei, und erwartet eine Antwort, die
über Kalauer und Tautologien (Kunst ist, was
als solche bezeichnet wird; von der langatmigen
Erklärung dieser erstaunlichen Tatsache lebt so
mancher, den man gut kennt, nicht ganz so gut
wie man ihn kennt!) hinausgeht. Da will der
Fragende allerdings sehr viel wissen, nämlich
was war, nicht mehr ist, was sein soll und was
wird, für wen und wozu. Um das zu beantwor-
ten, bedarf es erstens einer gnoseologischen Vor-
aussetzung, ohne die gar nichts mehr verstanden
werden kann, wenn auch Berge von Kunstbü-
chern scheinbar das Gegenteil beweisen, und
zweitens der Aufhebung einer Entfremdung, die
die Kunst vorn historischen Prozeß in sublimier-
ter, aber sehr wirksamer Form abschneidet. Viel-
leicht wird nur der die Notwendigkeit dieser
beiden Akte einsehen, der bewußt zur Sache der
Menschheit, des Fortschritts und der Noogenese
konvertiert. Es versteht sich von selbst, daß dies
eine eminent politische Entscheidung darstellt,
auf die zu realisierende Polis der einen Mensch-
heit und Menschlichkeit zielend. Den Studenten
ist Recht zu geben, wenn sie politische Entschei-
dungen verlangen, also solche, die in der Politik
der Politiker grundsätzlich vermieden werden,
mögen sie auch nur dunkel ahnen, was das
wirklich heißt.
Die erste Voraussetzung des Verständnisses von
Kunst und Kultur der Gegenwart ist das Über-
schreiten einer Schwelle. Die Einsicht, daß wir
uns im Übergang von einer divergenten, einer
immer differenziertere besondere Gebilde kul-
tureller Art ausbildenden Weltstruktur zu einer
konvergenten befinden, die eine einzige be-
schleunigte Welt hervorbringt, ist bereits eine
grundlegende Bedingung unserer Erfahrung
und vernünftigen Tuns auf ieder Ebene. Ohne
diese Einsicht kann nichts mehr Gutes getan
werden, geschweige denn etwas verstanden wer-
den. Die Intensität und wachsende Dichte der
wissenschaftlichen, kritischen, technischen und
planetar-interplanetaren Zivilisation, wo jeder-
mann, ob er will oder nicht, alle Gruppen und
Nationen in dieser oder iener Form an der einen
Kultur mitarbeiten, sei es in den inneren oder
äußeren Kriegen oder im seltenen Frieden, bringt
etwas ganz anderes hervor als in aller bisherigen
Geschichte. Eine wirkliche Übermenschheil, ver-
glichen mit dem lockeren Netz lithischer Kulturen,
gestaltet (oder ruiniert. . .) ihr Biotop, ihr Techno-
top und Nootop, den Prozeß der Kultur und Zi-
vilisation. Die Formen, die dabei geboren wer-
demähneln in nichtsden Formen früherer Kunst
Die vibrierende moderne Noosphäre besitzt und
erzeugt eine Kunst, die mit der der lithischen Epo-
chen und der späten Eisenzeit, die (mit Geist) bis
ins 'l7.Jahrhundert reicht, keine Formen und Me-
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thoden mehr gemeinsam hat. Das will man nicht
hören, am allerwenigsten in der „Kunstwelt",
aber es ist so. Der zivilisatorische Gestaltungs-
prozeß, die Kunst, schafft einmal unter den al-
ten Bedingungen das Venedig zwischen San
Marco und Guardi, das andere Mal, unter mo-
dernen Bedingungen die durch Flugzeuge, elek-
tromagnetische Wellen und industrielle Prozesse
verknüpfte Metropole New York - Tokio -
Moskau - Paris - Peking etc., die ia nicht nur,
wie es ihre erklärte Absicht ist, eine unheilige
Allianz zur Arretierung des gefährlichen Fort-
schritts sein kann.
lch höre den Wutschrei, wenn einer es wagt, das
glanzvolle Venedig mit dem gar nicht so glanz-
vollen „Krebs" der modernen „Stodtkultur" zu
vergleichen... Ich weiß diesen Schrei wohl zu
deuten . . .
Wir müssen eine zweite Schwelle überschreiten:
es wird immer wieder behauptet, daß die Kunst
ein besonderer Bereich der Wirklichkeit sei, in
dem die Künstler ihre „Gesten" vollziehen. Die-
ser Bereich sei ienseits vom Bösen, ein Reich
des Schöpferischen, der Evokation und wie die
alten Shiboleths heißen mögen. Die Kunst ist
nichts Besonderes, antworten wir, sie ist ebenso
böse wie gut, ebenso desorganisiert wie organi-
siert, destruktiv wie konstruktiv, ebenso ambiva-
lent wie die Wirklichkeit, deren Formengefüge
sie darstellt, mit der sie koextensiv ist. Wenn
dies nicht so wäre, wäre die Beschäftigung mit
ihr eine furchtbare Obszönität, vielleicht nur eine
psychopathologische Absanderlichkeit. Ich höre
nicht nur den Wutschrei, ich höre auch das
Stöhnen. Nein, eine solche Sicht bedeutet nicht,
den Inhalt von „Kunst" maßlos ausdehnen, son-
dern ihn nur den gegenwärtigen sich maßlos
ausdehnenden Bedingungen adäquat erklären.
Das gibt der Kunst erst den alten Rang und die
Würde wieder, die ihr die ästhetizistischen Ver-
engungen obgezwackt haben. (Vielleicht wird
man mich auslachen, wenn ich erkläre, daß diese
restitutio ad integrum eine konservative Tat ist.
Die museale Kunst der Museen und Akademien,
die ich durchaus hin und wieder zu schätzen
weiß, teilt das Schicksal ihrer blinzelnden Be-
stätigung durch Negation, der Antikunst. Beide
proiizieren, sie tun dies nicht einmal schlecht,
alte Vorstellungen auf eine ganz neue Welt.
Sieht man denn nicht, daß dies der wahre Grund
ist, weswegen die Welt mit den Bildchen, die
man auf sie wirft, nichts anzufangen weiß...?)
Dadurch wird auch die grundfalsche Antithese
von Kunst und Wissenschaft hinfällig, welcher
Antagonismus ebenso schädlich sich auswirkte
wie der perverse Antagonismus zwischen Galilei
und den mächtigen Aristotelikern, der, wie man
wissen könnte, in vielen Köpfen bis heute nicht
beigelegt werden konnte. Jene weigerten sich
nämlich, durch das Teleskop zu schauen, und als
sie's dann doch taten, schwuren sie feierlich,
keine Jupitermonde zu sehen . . .
Der Bau (ein künstlerischer Akt, nicht wahr?) des
Sterns Erde, die Organisation eines denkenden
Sterns, das ist die Aufgabe des Menschen; Auf-
gabe dann, wenn er nicht zugrunde gehen will.
Vor der Annahme dieser Verpflichtung zum
kunstvollen Tun verblassen alle Fragen nach Wie
und Was, nach den famosen konkreten Formen
und Ergebnissen.
lch behaupte, daß die bildnerische Erziehung
erst dann aus dem Quicksand der Ratlosigkeit
tausender hektographierter und gedruckter The-
sen sich retten wird, wenn sie diese grundlegen-
den Bedingungen annimmt. Verlangt da ge-
stelzter anthropologischer und anthropomorphi-
sierender Übermut nicht Unmögliches vom ge-
wöhnlichen Kunststudenten? Nein, das glaube
ich nicht. Diese Entscheidung ist nämlich von