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Volltext: Alte und Moderne Kunst XVIII (1973 / Heft 126)

der Bildnerischen Erziehung ein Licht aufgehen, 
auch wenn nach gar keine „gesicherten, kon- 
kreten Ergebnisse und Kenntnisse" da sind. Sol- 
vitur eundo! Wir wissen, daß sehr bald die not- 
wendigen Entscheidungen getroffen werden müs- 
sen, damit der Weg zum Reichtum des zukünf- 
tigen kosmischen Markusplatzes nicht für immer 
blockiert werde... Erklären wir also die Kunst 
nicht zu einem toten Fossil - es gibt bekanntlich 
auch lebende Fossilien -, das ganz und gar er- 
ledigt sei, sondern widmen wir uns der Akropo- 
lis, von der Bloch spricht. Ohne Schwärmerei, 
das versteht sich. 
Diejenigen, die von der Zukunft mehr erfürchten 
als erhoffen, werden mit Recht fragen, welche 
Erziehung der Erzieher diesen Prospektiven ent- 
spricht. lch kann mir nicht vorstellen, daß ie- 
mals die Problematik der Ausbildung der Er- 
zieher aufgelöst wird, wenn nicht vorher eine 
entscheidende Konversion in unserem Denken 
eintritt. Ganz richtig stellt ieder die Frage, was 
denn Kunst sei, und erwartet eine Antwort, die 
über Kalauer und Tautologien (Kunst ist, was 
als solche bezeichnet wird; von der langatmigen 
Erklärung dieser erstaunlichen Tatsache lebt so 
mancher, den man gut kennt, nicht ganz so gut 
wie man ihn kennt!) hinausgeht. Da will der 
Fragende allerdings sehr viel wissen, nämlich 
was war, nicht mehr ist, was sein soll und was 
wird, für wen und wozu. Um das zu beantwor- 
ten, bedarf es erstens einer gnoseologischen Vor- 
aussetzung, ohne die gar nichts mehr verstanden 
werden kann, wenn auch Berge von Kunstbü- 
chern scheinbar das Gegenteil beweisen, und 
zweitens der Aufhebung einer Entfremdung, die 
die Kunst vorn historischen Prozeß in sublimier- 
ter, aber sehr wirksamer Form abschneidet. Viel- 
leicht wird nur der die Notwendigkeit dieser 
beiden Akte einsehen, der bewußt zur Sache der 
Menschheit, des Fortschritts und der Noogenese 
konvertiert. Es versteht sich von selbst, daß dies 
eine eminent politische Entscheidung darstellt, 
auf die zu realisierende Polis der einen Mensch- 
heit und Menschlichkeit zielend. Den Studenten 
ist Recht zu geben, wenn sie politische Entschei- 
dungen verlangen, also solche, die in der Politik 
der Politiker grundsätzlich vermieden werden, 
mögen sie auch nur dunkel ahnen, was das 
wirklich heißt. 
Die erste Voraussetzung des Verständnisses von 
Kunst und Kultur der Gegenwart ist das Über- 
schreiten einer Schwelle. Die Einsicht, daß wir 
uns im Übergang von einer divergenten, einer 
immer differenziertere besondere Gebilde kul- 
tureller Art ausbildenden Weltstruktur zu einer 
konvergenten befinden, die eine einzige be- 
schleunigte Welt hervorbringt, ist bereits eine 
grundlegende Bedingung unserer Erfahrung 
und vernünftigen Tuns auf ieder Ebene. Ohne 
diese Einsicht kann nichts mehr Gutes getan 
werden, geschweige denn etwas verstanden wer- 
den. Die Intensität und wachsende Dichte der 
wissenschaftlichen, kritischen, technischen und 
planetar-interplanetaren Zivilisation, wo jeder- 
mann, ob er will oder nicht, alle Gruppen und 
Nationen in dieser oder iener Form an der einen 
Kultur mitarbeiten, sei es in den inneren oder 
äußeren Kriegen oder im seltenen Frieden, bringt 
etwas ganz anderes hervor als in aller bisherigen 
Geschichte. Eine wirkliche Übermenschheil, ver- 
glichen mit dem lockeren Netz lithischer Kulturen, 
gestaltet (oder ruiniert. . .) ihr Biotop, ihr Techno- 
top und Nootop, den Prozeß der Kultur und Zi- 
vilisation. Die Formen, die dabei geboren wer- 
demähneln in nichtsden Formen früherer Kunst 
Die vibrierende moderne Noosphäre besitzt und 
erzeugt eine Kunst, die mit der der lithischen Epo- 
chen und der späten Eisenzeit, die (mit Geist) bis 
ins 'l7.Jahrhundert reicht, keine Formen und Me- 
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thoden mehr gemeinsam hat. Das will man nicht 
hören, am allerwenigsten in der „Kunstwelt", 
aber es ist so. Der zivilisatorische Gestaltungs- 
prozeß, die Kunst, schafft einmal unter den al- 
ten Bedingungen das Venedig zwischen San 
Marco und Guardi, das andere Mal, unter mo- 
dernen Bedingungen die durch Flugzeuge, elek- 
tromagnetische Wellen und industrielle Prozesse 
verknüpfte Metropole New York - Tokio - 
Moskau - Paris - Peking etc., die ia nicht nur, 
wie es ihre erklärte Absicht ist, eine unheilige 
Allianz zur Arretierung des gefährlichen Fort- 
schritts sein kann. 
lch höre den Wutschrei, wenn einer es wagt, das 
glanzvolle Venedig mit dem gar nicht so glanz- 
vollen „Krebs" der modernen „Stodtkultur" zu 
vergleichen... Ich weiß diesen Schrei wohl zu 
deuten . . . 
Wir müssen eine zweite Schwelle überschreiten: 
es wird immer wieder behauptet, daß die Kunst 
ein besonderer Bereich der Wirklichkeit sei, in 
dem die Künstler ihre „Gesten" vollziehen. Die- 
ser Bereich sei ienseits vom Bösen, ein Reich 
des Schöpferischen, der Evokation und wie die 
alten Shiboleths heißen mögen. Die Kunst ist 
nichts Besonderes, antworten wir, sie ist ebenso 
böse wie gut, ebenso desorganisiert wie organi- 
siert, destruktiv wie konstruktiv, ebenso ambiva- 
lent wie die Wirklichkeit, deren Formengefüge 
sie darstellt, mit der sie koextensiv ist. Wenn 
dies nicht so wäre, wäre die Beschäftigung mit 
ihr eine furchtbare Obszönität, vielleicht nur eine 
psychopathologische Absanderlichkeit. Ich höre 
nicht nur den Wutschrei, ich höre auch das 
Stöhnen. Nein, eine solche Sicht bedeutet nicht, 
den Inhalt von „Kunst" maßlos ausdehnen, son- 
dern ihn nur den gegenwärtigen sich maßlos 
ausdehnenden Bedingungen adäquat erklären. 
Das gibt der Kunst erst den alten Rang und die 
Würde wieder, die ihr die ästhetizistischen Ver- 
engungen obgezwackt haben. (Vielleicht wird 
man mich auslachen, wenn ich erkläre, daß diese 
restitutio ad integrum eine konservative Tat ist. 
Die museale Kunst der Museen und Akademien, 
die ich durchaus hin und wieder zu schätzen 
weiß, teilt das Schicksal ihrer blinzelnden Be- 
stätigung durch Negation, der Antikunst. Beide 
proiizieren, sie tun dies nicht einmal schlecht, 
alte Vorstellungen auf eine ganz neue Welt. 
Sieht man denn nicht, daß dies der wahre Grund 
ist, weswegen die Welt mit den Bildchen, die 
man auf sie wirft, nichts anzufangen weiß...?) 
Dadurch wird auch die grundfalsche Antithese 
von Kunst und Wissenschaft hinfällig, welcher 
Antagonismus ebenso schädlich sich auswirkte 
wie der perverse Antagonismus zwischen Galilei 
und den mächtigen Aristotelikern, der, wie man 
wissen könnte, in vielen Köpfen bis heute nicht 
beigelegt werden konnte. Jene weigerten sich 
nämlich, durch das Teleskop zu schauen, und als 
sie's dann doch taten, schwuren sie feierlich, 
keine Jupitermonde zu sehen . . . 
Der Bau (ein künstlerischer Akt, nicht wahr?) des 
Sterns Erde, die Organisation eines denkenden 
Sterns, das ist die Aufgabe des Menschen; Auf- 
gabe dann, wenn er nicht zugrunde gehen will. 
Vor der Annahme dieser Verpflichtung zum 
kunstvollen Tun verblassen alle Fragen nach Wie 
und Was, nach den famosen konkreten Formen 
und Ergebnissen. 
lch behaupte, daß die bildnerische Erziehung 
erst dann aus dem Quicksand der Ratlosigkeit 
tausender hektographierter und gedruckter The- 
sen sich retten wird, wenn sie diese grundlegen- 
den Bedingungen annimmt. Verlangt da ge- 
stelzter anthropologischer und anthropomorphi- 
sierender Übermut nicht Unmögliches vom ge- 
wöhnlichen Kunststudenten? Nein, das glaube 
ich nicht. Diese Entscheidung ist nämlich von
	        
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